Von Nikita Mironow
Die Ukraine hat inzwischen praktisch auf eine Ausbildung der Militärangehörigen verzichtet, sagt Wladimir Selenskij. Das Oberhaupt des Kiewer Regimes führt dazu aus:
“Nach 3,5 Jahren Krieg verlegen wir nicht unsere Soldaten, sondern laden Offiziere und Vertreter aus anderen Ländern ein, hier zu lernen.”
Anscheinend wollte Selenskij damit zeigen, dass die ukrainischen Soldaten inzwischen besser als die europäischen kämpfen können, doch in Wirklichkeit hat er damit etwas ganz anderes bewiesen.
Der Militärexperte und Historiker Iwan Konowalow sieht das Problem in der niedrigen Moral der ukrainischen Kämpfer. Er erklärt:
“Wenn sie ins Ausland gelangen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie schlichtweg fliehen.”
Ein Beispiel dafür ist die ukrainische Brigade “Anna von Kiew”, die in Frankreich ausgebildet wurde. Die Brigade war als eine Mustereinheit gedacht, die die Unterstützung des Westens demonstrieren sollte. Doch während der Ausbildung verließ etwa ein Drittel der Brigade – etwa 1.700 Menschen – eigenmächtig die Truppe.
Selbstverständlich fliehen die Menschen noch aktiver aus jenen Einheiten, die sich bereits an der Front befinden. So wurden in der 119. Brigade der Territorialverteidigung der Ukraine sogar Urlaube für das Personal abgeschafft, nachdem die Soldaten massenhaft nicht zurückgekehrt waren. Davon berichtete der Kämpfer der Brigade Sergei Besborodow, der sich den russischen Truppen in der Nähe des Serebrjanka-Forsts ergab. Er erklärte:
“Wir hatten Fälle, bei denen Menschen zu ihren Verwandten nach Hause in den Urlaub fuhren und nicht zurückkehrten, weil sie verstanden, dass das nicht ihr Krieg ist. Wegen dieser Menschen, die nicht aus dem Urlaub zurückkehrten, wurden uns Urlaube einfach verboten.”
Im August floh gleich ein Drittel eines Bataillons der 60. separaten mechanisierten Brigade des ukrainischen Militärs samt Kommando von ihren Stellungen am Frontabschnitt Krasny Liman. Zuvor hatte der gefangen genommene Leutnant eines Schützenbataillons der Brigade, Wladimir Kalnowski, den russischen Militärangehörigen berichtet, dass selbst Offiziere aktiv aus der ukrainischen Armee fliehen würden:
“Wir wurden ins Gebiet Lwow zu einer Offiziersausbildung geschickt. Selbst da flohen zwei Mann nach Polen: Sie nahmen Urlaub und schafften es irgendwie, zu fliehen.”
Iwan Konowalow erklärt:
“Die Menschen fliehen aktiv aus der ukrainischen Armee, weil die Moral der Truppe gefallen ist. Die Ukrainer haben verstanden, dass sie keinen Sieg sehen werden, mit dem sie in den Jahren 2022–2023 noch rechneten. Es ist mittlerweile ebenso klar geworden, dass sie die durch Russland befreiten Territorien nicht zurückerobern werden. Wozu dann kämpfen, wenn Russland selbst einen Frieden vorschlägt?”
Auch die sonst dem Kiewer Regime wohlgesonnene westliche Presse stellt den Niedergang der Moral fest. So berichtet die deutsche Zeitung Junge Welt von dem dramatischen Ausmaß der Fahnenflucht aus der ukrainischen Armee:
“In den ersten acht Monaten dieses Jahres sind mindestens 142.000 Soldaten desertiert. Das geht aus offiziellen Angaben über die Zahl der neu eröffneten Ermittlungsverfahren wegen der Paragraphen 406 (‘eigenmächtige Entfernung von der Truppe’) und 407 (‘Desertion’) hervor, die jetzt der kanadisch-ukrainische Wissenschaftler Ivan Katchanovski ausgewertet hat.”
Nach Katchanovskis Angaben seien die Zahlen auf Grundlage der eingeleiteten Ermittlungsverfahren “mit Sicherheit untertrieben”. Denn in der Regel verschlössen die Kommandeure die Augen vor kurzfristiger Abwesenheit, um nicht selbst durch Vorgesetzte wegen “Disziplinproblemen” oder “mangelnder Menschenführung” bestraft zu werden. In dem Artikel heißt es weiter:
“Die monatlichen Desertionszahlen liegen für 2025 stabil in einer Bandbreite zwischen 16.000 und 19.000 Fällen pro Monat. Wenn wir die 142.000 Verfahren seit Januar hochrechnen auf den Rest des Jahres, kämen wir auf etwa 210.000 Fälle bis Ende Dezember.”
Iwan Skorikow, Leiter der Ukraine-Abteilung des Instituts für GUS-Staaten erwartet eine Zunahme der Desertionen beim ukrainischen Militär. Der Grund liege in der niedrigen Moral der Truppe:
“Der Großteil der ukrainischen Frontsoldaten sind zwangsrekrutierte Menschen – in der Regel im mittleren Alter oder älter. Sie stammen entweder vom Land oder aus den Vorstädten, sind also arme Bürger, die einfach kein Geld hatten, um sich von den Musterungsbehörden freizukaufen. Ihre Kampfmoral liegt nicht bei null, sie ist sogar negativ.”
Außerdem sehen die Zwangsrekruten keine Perspektive, fügt der Experte hinzu. Wenn keine Demobilisierung, geschweige denn ein Sieg, dafür eine sehr hohe Todeswahrscheinlichkeit zu erwarten ist, sind die Kämpfer geneigt, ihre Stellungen zu verlassen:
“Viele Deserteure fliehen in bevölkerungsarme oder verlassene Dörfer, lassen sich in leeren Häusern nieder und leben davon, was sie im Gemüsegarten anbauen können. Ein Teil versteckt sich bei Verwandten auf dem Land. Einige fliehen in die Karpaten, graben dort Erdhütten aus und wohnen dort in Erwartung eines Endes des Kriegs.”
Nach Skorikows Angaben verlassen die Deserteure die Ukraine auch mit gefälschten Dokumenten:
“Die Grenze zu Rumänien und Ungarn wurde von Selenskij halbwegs geschlossen. Über die Theiß kann man nicht mehr schwimmen – man wird gefangen genommen oder erschossen. Deswegen gibt es in der Ukraine ein neues Geschäftsmodell – gefälschte Dokumente für eine Ausreise aus dem Land anzufertigen.”
Peer de Jong, französischer Oberst a. D. und Vizepräsident des militäranalytischen Instituts Themiis prognostiziert:
“Der kommende Winter wird eine entscheidende Rolle spielen. Die Ukrainer haben verstanden, dass es keine amerikanische Unterstützung mehr geben und dass Europa ihnen keine Truppen schicken wird. Sie wissen, dass die Europäer ihnen Geld, Material und Logistik geben können, doch der entscheidende Faktor sind die USA. Dadurch entstehen viele Ungewissheiten, unter denen die Moral in den kommenden Monaten ernsthaft leiden kann.”
Chas Freeman, ehemaliger US-Botschafter in Saudi-Arabien, vermutet ebenfalls, dass die ukrainische Armee am Abgrund steht. In einer YouTube-Sendung des pensionierten US-Oberstleutnants Daniel Davis betonte er:
“Der ukrainischen Armee mangelt es an der Front an Personal, an ausgebildeten Truppen und an der Fähigkeit, ihre Stellungen zu halten. Das ukrainische Militär kann seine Stellungen nicht mehr halten und bröckelt allmählich.”
Wieso aber konnten sich die ukrainischen Truppen trotz aller Probleme bisher halten? Iwan Konowalow erklärt:
“Der gegnerische Generalstab nutzt eine richtige Taktik. An der vordersten Frontlinie kämpfen Mobilisierte, die die größten Verluste erleiden. Hinter ihnen stehen viel motiviertere und erfahrenere Verbände aus Nazis. Sie werden sowohl als Sperrtrupps, als auch als ‘Feuerwehr’ im Fall eines Durchbruchs der Front eingesetzt.”
Der ukrainische Generalstab schone die überzeugten Nazis, denn sie würden nicht fliehen, ergäben sich nicht und kämpften gut. Gerade sie hätten bisher einen Zusammenbruch der ukrainischen Verteidigung verhindert. Der Experte fügt hinzu:
“Der zweite Grund, warum wir noch nicht gesiegt haben, ist der Charakter der Kampfhandlungen selbst. Wir sickern in eine Siedlung hinein, sammeln Kräfte und nehmen sie dann im Sturm ein. Anders geht es in Anbetracht der Übermacht der Drohnen nicht. Der gegenwärtige Krieg ist objektiv sehr langsam.”
Dadurch sei eine Großoffensive mit einem Durchbruch der Front auf dutzenden Kilometern und einer Flucht ganzer gegnerischer Verbände, wie im Zweiten Weltkrieg, technisch unmöglich. Das ukrainische Militär verliere täglich eine bis drei Siedlungen. Es verliere sie aber nur allmählich. Daher hätten viele ukrainische Soldaten noch nicht das Gefühl einer Katastrophe und seien bereit, noch ein wenig länger zu kämpfen. Doch eines Tages werde die russische Taktik der “tausend Schnitte” ihre Wirkung zeigen, und dann würden sich die ukrainischen Militärangehörigen massenhaft ergeben, meint der Experte.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei der Zeitung “Wsgljad” am 18. September.
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