Die ohnehin frostigen Beziehungen zwischen der Ukraine und Ungarn haben einen neuen Tiefpunkt erreicht: Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU teilte am Freitag mit, ein angebliches ungarisches Spionagenetzwerk in der westukrainischen Region Transkarpatien zerschlagen zu haben. Im Zentrum des Vorwurfs: mutmaßliche Aktivitäten des ungarischen Militärgeheimdienstes – mitten auf ukrainischem Territorium.
“Zum ersten Mal in der Geschichte der Ukraine hat der Inlandsgeheimdienst ein ungarisches Militärgeheimdienstnetzwerk aufgedeckt, das Spionageaktivitäten zum Nachteil unseres Staates unternommen hat”, schreibt der SBU.
In seiner offiziellen Mitteilung erklärte der SBU, dass ein Mann und eine Frau – beide ehemalige Angehörige der Streitkräfte – unter dem Verdacht des Hochverrats festgenommen wurden. SBU-Sprecher Artjom Degtjarjenko bezeichnete den Vorfall als historisch, da erstmals ein ungarisches Spionagenetzwerk auf ukrainischem Boden enttarnt worden sei.
Die festgenommenen Personen sollen laut den Ermittlern Informationen über militärische Infrastruktur, insbesondere Luftabwehrsysteme in Transkarpatien, an ausländische Dienste weitergegeben haben. Zudem sei es dem Netzwerk darum gegangen, soziopolitische Stimmungen in der Region zu analysieren – offenbar mit Blick auf mögliche Reaktionen der dortigen ungarischstämmigen Bevölkerung im Falle eines militärischen Konflikts mit Budapest.
Ein vom SBU veröffentlichtes Video zeigt die Festnahme des verdächtigen Mannes – unterlegt mit martialischer Musik und patriotischer Rhetorik. Beiden Beschuldigten drohen im Falle einer Verurteilung lebenslange Haft und die Einziehung ihres Vermögens.
Die ungarische Regierung reagierte umgehend und mit scharfer Ablehnung. Außenminister Péter Szijjártó wies die Spionagevorwürfe kategorisch zurück.
“In den vergangenen drei Jahren hat sich leider gezeigt, dass der Ukraine-Krieg auch ein Propagandakrieg ist”, sagte er in Budapest.
Es sei offensichtlich, dass Kiew gezielt antiungarische Narrative verbreite, die häufig jeder Grundlage entbehrten.
In einem begleitenden Facebook-Beitrag sprach Szijjártó von einer “intensivierten Verleumdungskampagne” und nannte als Motiv die ungarische Weigerung, Waffenlieferungen an die Ukraine zu unterstützen. Als direkte Gegenmaßnahme habe Ungarn zwei ukrainische Diplomaten zur “persona non grata” erklärt – laut dem Außenministerium handelt es sich um Geheimdienstmitarbeiter unter diplomatischer Tarnung.
Die neuerliche Eskalation zwischen Kiew und Budapest kommt nicht überraschend – sie ist Ausdruck eines tiefer liegenden geopolitischen Zerwürfnisses. Während die Ukraine den Westen – insbesondere die EU – um militärische, politische und finanzielle Unterstützung bittet, verweigert sich die Regierung unter Viktor Orbán einer konfrontativen Haltung gegenüber Russland.
Ein weiterer Brennpunkt ist die ungarische Minderheit in Transkarpatien, einer Region mit rund 150.000 ethnischen Ungarn. Budapest wirft Kiew seit Jahren vor, diese durch Sprachgesetze und Bildungsreformen systematisch zu diskriminieren. Die Ukraine hingegen sieht in Ungarns Engagement für die Minderheit eine Einmischung in innere Angelegenheiten – mit zunehmend nationalistisch geprägtem Unterton.
Ungarn ist nicht nur EU-Mitglied, sondern auch Teil der NATO. Der Vorwurf, ein NATO-Staat betreibe verdeckte Operationen gegen ein Land im Krieg, wiegt schwer – und könnte das Bündnis politisch unter Druck setzen. Brüssel reagierte bislang zurückhaltend, doch diplomatische Kreise berichten von wachsender Unruhe über den Kurs Budapests.
Die Ukraine wiederum versucht, durch öffentlichkeitswirksame Aktionen wie die Spionage-Enthüllung den Druck auf Ungarn zu erhöhen – in der Hoffnung, andere EU-Staaten für eine geschlossene Haltung zu mobilisieren.
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