Von Rainer Rupp
Kaum hatte der US-Präsident in spe, Donald Trump, am Wochenende seine Wünsche zur Annexion Grönlands in einer langatmigen Pressekonferenz in seinem Anwesen in Florida ausgesprochen, da landete zwei Tage später, am 7. Januar, bereits sein Sohn Donald Junior im unternehmenseigenen Boeing Passagierjet auf einer Piste in dem eisigen territorialen Objekt der Trumpschen Begierde. Gegen die entsetzten Kommentare aus Dänemark, das bisher Grönland als Autonome Region verwaltet und wie sein nationales Territorium behandelt hat, hat Trump die Drohung mit maximalen Zöllen auf dänische Exporte in die USA in Stellung gebracht.
Allerdings ist anzumerken, dass der Umgang der dänischen Verwaltung mit der einheimischen Inuit-Bevölkerung eher zu einem kolonialen Verhältnis passt als zu einer gleichberechtigten Region in einem Nationalstaat. Unter der einheimischen, aber zahlenmäßig kleinen Inuit-Bevölkerung gibt es seit einigen Jahren ganz offen Forderungen nach mehr Eigenständigkeit und sogar nach Unabhängigkeit von Dänemark. Denn in Kopenhagen wird entschieden, was gut für Grönland ist.
Die Entscheidung vor sechs Jahren, die Inuit-Sprache der Vertreter Grönlands im dänischen Parlament zu verbannen, indem keine Dolmetscher mehr zur Verfügung standen und alle Dokumente nur noch in dänischer Sprache verfasst waren, hat die Lust auf Unabhängigkeit unter den Inuit in Grönland nur noch verstärkt. In dieser regional angespannten Situation kommt nun Trumps Angebot, Grönland zu kaufen, verbunden mit der Drohung gen Kopenhagen, den Verkauf mit Sanktionen zu erzwingen.
Zugleich bietet die soziale und politische Situation der Inuit in Grönland für Trump eine ideale Ausgangsposition, um eine starke Sezessionsbewegung in Grönland in Gang zu setzen. US-Geheimdienste bringen diesbezüglich viel Erfahrung mit. Letztlich aber wird alles vom Kaufpreis und von weiteren, nicht monetären Angeboten Trumps an die einheimische Bevölkerung abhängen.
Derweil haben etliche EU-Europäer aus den Regierungen der Mitgliedsländer mit verschiedenen Stellungnahmen auf Trumps Pläne reagiert. Das zeigt, dass man im EU-Rat und auch in der EU-Kommission noch zu keiner einheitlichen europäischen Meinung gekommen ist. Der Grund dafür dürfte in der Sorge liegen, Trump nicht noch zusätzlich zu verärgern und seinen Zorn auf die eigene Regierung zu lenken.
Berichten auf sozialen Medien und in der Presse zufolge hätten französische Regierungsvertreter klargemacht, dass die EU ihre Grenzen verteidigen müsse (Grönland ist jedoch kein Teil der EU). Der französische Außenminister Jean-Noël Barrot habe betont, dass Europa sich “weiter stärken” müsse, um auf solche Herausforderungen zu reagieren. Das ist allerdings ein Eingeständnis des Nichtstuns. Denn es sagt, dass die Europäer jetzt nichts tun können, erst irgendwann in der Zukunft, wenn sie stärker sind.
Auch in anderen Ländern der EU soll es Berichten zufolge Stimmen geben, die zumindest verbal Dänemark unterstützen. Einige Kommentare, vor allem wieder in französischen Medien, beschwören die EU, dass die Bedrohung souveräner Grenzen durch Trump nicht toleriert werden dürfte. Aber letztlich wird der von Trump erniedrigten EU nichts anderes übrigbleiben, als die Riesenkröte zu schlucken.
In diese Falle haben sich die EU-Länder als US-Vasallen letztlich selbst hineinmanövriert. Was das für Europa bedeutet, hat der französische Geschäftsmann und international bekannte Blogger und Kritiker westlicher China- und Russlandpolitik, Arnaud Bertrand, in einem aktuellen, zutreffenden Kommentar dargelegt, aus dem ich nachfolgende Auszüge übersetzt habe:
Kommentar von Arnaud Bertrand:
Falls Sie noch nicht davon überzeugt waren, dass Europa in sein Jahrhundert der Demütigung eingetreten ist, sollte Trumps jüngste Aktion Anlass genug sein: Trump sagt, dass die USA Grönland “für Zwecke der nationalen Sicherheit” und “für die freie Welt” benötigen. Und er behauptet, dass “die Menschen in der Tat nicht einmal wissen, ob Dänemark ein verbrieftes Recht darauf hat” (was zu 100 Prozent falsch ist).
Würde Trump es jemals wagen, das in Bezug auf chinesisches oder russisches Territorium zu sagen? Nicht in einer Million Jahren. Aber er sieht, dass Europa nicht nur schwach ist, sondern sich auch in einer absolut katastrophalen strategischen Lage befindet, in der es von ihm “verteidigt” wird! Das bedeutet, dass Europa effektiv in einem Schutzgeldsystem nach Mafia-Art gefangen ist und kurz davorsteht, den alten geopolitischen Grundsatz wieder zu erlernen: “Die Starken tun, was sie können, und die Schwachen erleiden, was sie müssen”, der dem alten Griechen Thukydides zugeschrieben wird.
Trumps Erklärung trieft von Ironie, angefangen bei seiner Behauptung, die “freie Welt” durch territoriale Annexion zu schützen. Die zweite Ironie ist, dass Europas hysterische Fixierung auf den russischen Imperialismus – mehr Phantom als Realität angesichts der von Russland gezeigten Aktionen – dazu geführt hat, dass Europa in den Armen eines waschechten Imperialisten eingeschlummert ist, der nun ganz nebenbei die Frage angeht, wie man es am besten aufteilen kann.
Zu guter Letzt, und wahrscheinlich die größte Ironie: Niemand auf der ganzen Welt wird sich dafür interessieren, was mit Europa passiert, wegen Europas Doppelmoral und Heuchelei in seinen eigenen Beziehungen zur restlichen Welt, insbesondere zu Gaza. Seit Beginn des Gaza-Konflikts habe ich immer wieder daran erinnert, dass die schlimmste Konsequenz des europäischen Verhaltens in Bezug auf Gaza und Israel das Ende jeder Vorstellung einer globalen Ordnung auf der Grundlage des Völkerrechts sein würde. Und genau da sind wir jetzt angekommen, mitten in Europa. Indem Europa für jeden ersichtlich auf seine hohen Prinzipien verzichtet hat, hat es im Wesentlichen das Prinzip des Dschungels als seine Handlungsmaxime bestätigt, nämlich “Macht ist Recht”. Ein monumentaler Fehler, wenn man selbst nicht mächtig ist.
Europas Führer (wenn man sie so nennen kann), haben in ihrer Eilfertigkeit, “gute Verbündete” zu sein, die Verletzung des Völkerrechts in Gaza unterstützt, und damit haben sie de facto die Möglichkeit der zukünftigen Zerstückelung ihres eigenen Kontinents unterschrieben. Sie haben vergessen, dass Prinzipien keine moralischen Luxusgüter sind – sie sind praktische Schutzschilde, und sobald diese Schilde für andere gebrochen sind, schützen sie auch einen selbst nicht mehr.
Dieses Vergessen ist besonders schändlich angesichts von Europas eigener Geschichte. Denn wir haben das schon viele Male zuvor gesehen, und vielleicht das auffälligste Beispiel ist die Reaktion – oder das Fehlen einer solchen – auf Mussolinis Invasion in Äthiopien im Jahr 1935, die hunderttausende äthiopische Todesopfer zur Folge hatte. Obwohl Äthiopien Mitglied des Völkerbunds war, des Vorläufers der UNO, der genau solche Aggressionen verhindern sollte, entschieden sich die Großmächte, ihre europäische Macht zu schützen, anstatt das Völkerrecht aufrechtzuerhalten. Mit den Konsequenzen, die wir alle kennen: dem Tod des Völkerbunds und der klaren Botschaft an andere europäische Mächte, dass die Jagd auf schwächere Nationen und Völker offiziell wieder eröffnet war. Innerhalb weniger Monate danach begann Hitler mit der Remilitarisierung des Rheinlands.
Das Jahrhundert der Demütigung, in das Europa eingetreten ist, hat eine einzigartige, selbstverschuldete Qualität, die aus seiner eigenen moralischen Korruption und strategischen Kurzsichtigkeit resultiert. Im Gegensatz zu China, das zumindest behaupten konnte, vom europäischen Imperialismus überrascht worden zu sein, beteiligt sich Europa aktiv daran, die rechtlichen Schutzschilde zu demontieren, die es vor stärkeren Mächten schützen könnten. Das bedeutet, dass es nicht einmal die moralische Autorität haben wird, um zu protestieren.
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