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Theater und Neurose: USA erniedrigen Europa vor aller Augen

rtnews by rtnews
21/08/2025
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Das Gipfeltreffen in Washington zeigte eines deutlich: Europa kann nicht formulieren, worin seine eigenen Interessen bestehen. Der Bedeutungsverlust der EU begann nicht unter Donald Trump und wird auch nicht nach seiner Präsidentschaft enden. Ungefährlich ist dies aber nicht.

Von Fjodor Lukjanow

Donald Trumps Treffen mit den europäischen Staatschefs im Weißen Haus war ein äußerst schillerndes Spektakel, das man aus theatralischer Sicht interpretieren kann: Wer trat in welcher Rolle auf und wie gut meisterte er diese? Doch das ist nur die äußere Erscheinung. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass der wesentliche Inhalt nicht mit der Ukraine-Krise zusammenhängt. Die Versuche, diese Krise zu lösen, dauern an, und es ist schwer zu sagen, wie sie enden werden. Klar ist aber, dass es nichteuropäische Länder sein werden, die die finale Konfiguration bestimmen. Dabei trat der Charakter der Beziehungen innerhalb der westlichen Gemeinschaft während des Gipfeltreffens in vollem Umfang zutage. Und das ist das wichtigste Ergebnis im Hinblick auf die Bewertung künftiger politischer Perspektiven.

Aufgrund der Kommunikation der europäischen Führer mit Trump lässt sich eine Schlussfolgerung ziehen: Europa hat keine politische Subjektivität in Beziehungen mit den USA. Alle Bemühungen der Staatschefs der Alten Welt zielen auf die Ausarbeitung einer Verhaltenstaktik ab: Was ist zu tun, damit sich der US-Präsident (“Papi” in den Worten des NATO-Generalsekretärs Mark Rutte) nicht ärgert, in schlechte Laune gerät und sie bestraft? Das klingt absurd, doch gerade das ist es, was passiert. Und die Quellen melden stolz, welche wertvollen Ratschläge der britische Ministerpräsident Keir Starmer dem ukrainischen Staatschef Wladimir Selenskij erteilte: was er anziehen soll, wie zu danken ist, welche Worte zu benutzen sind und so weiter.

Sicher sollte “Papis” Persönlichkeit berücksichtigt werden, doch den Kern ändert das nicht. Europa ist gezwungen, sich zu drehen und zu winden, um es sich nicht mit den USA zu verscherzen, denn die Alte Welt spürt plötzlich ihre äußerste strategische, politische und wirtschaftliche Abhängigkeit von der Neuen Welt. Einfacher gesagt: Ohne Amerika kann Europa sehr wenig – selbst in Angelegenheiten, die direkt europäische Interessen betreffen.

All das ereignete sich nicht erst jetzt und nicht plötzlich. Die Phase, deren Kulmination wir heute sehen, begann noch unter Trumps Vorgänger Joe Biden. Gerade er bürdete Europa faktisch die Hauptlast des Konflikts mit Russland auf – weniger die direkte finanzielle, als vielmehr die politische und makroökonomische. Auch wenn all das von eindringlichen Beteuerungen beispielloser transatlantischer Solidarität begleitet wurde, fand in Wirklichkeit eine Übertragung der wirtschaftlichen Profite auf die USA und der Ausgaben an die Alte Welt statt.

Unter Trump verlor dieser Prozess seinen bisherigen latenten Charakter, und wurde offen und sogar demonstrativ. Sicher spielen dabei die Eigenarten des gegenwärtigen Herrn des Weißen Hauses eine Rolle, doch das gilt eher für äußere Erscheinungen, als für den Kern der Sache. Trump zeigt ohne Scheu, dass ihn Europa ausschließlich als ein Instrument zur Lösung bestimmter Probleme interessiert, und zwar vor allem als ein Finanzinstrument, das die Vereinigten Staaten entlastet. Außerdem verfügt Europa nach Trumps Ansicht noch über einige weitere nützliche Funktionen. Wahrscheinlich wird es mit der technischen Unterstützung der Ukraine beauftragt, die nach der Regulierung des Konflikts notwendig sein wird. Doch Europa wird nicht als ein Partner erachtet, dessen Position im Fall ihrer Abweichung von derjenigen der USA zu berücksichtigen sei. Der Verlauf von Verhandlungen zum Handelsabkommen vor einigen Wochen und die getroffene Vereinbarung wurden zum Beleg dafür.

Europa wählte die Taktik der hemmungslosen Schmeichelei und versucht, in deren Flut sorgfältig eigene Widersprüche und Vorschläge hineinzustreuen. Die Wirksamkeit einer solchen Herangehensweise erscheint fraglich. Trump nimmt Schmeichelei gerne entgegen, weil er die Lobpreisungen für eine Feststellung seiner angeblich offensichtlichen Stärken hält. Dabei handelt er natürlich nach eigenem Ermessen: Wenn ihr mich schon so bewundert, mache ich alles richtig, macht also mit! Und verehrt mich bitte weiter.

Man könnte einwenden, dass Europa hier in der gleichen Lage ist, wie alle anderen Verhandlungspartner der USA, doch das ist nicht so. Unter den US-Verbündeten bezog Kanada unter dem neuen Ministerpräsidenten eine recht unnachgiebige Position, und Trump fuhr seine Pöbeleien herunter. Außerhalb der atlantischen Gemeinschaft ist die Lage schon ganz anders. Trumps Druck gegen große nichtwestliche Länder – China, Indien, Brasilien, Südafrika –, der aus unterschiedlichen Gründen, aber mit ähnlichen Mitteln erfolgte, zwang sie nicht zum Gehorsam. Niemand will einen Konflikt provozieren, doch ebenso wenig lassen sich die Regierungen dieser Länder offen erpressen. Also ist Europa der unbestrittene Meister in der Bereitschaft, sich beim “großen Bruder” einzuschmeicheln.

Die Europäer mögen sich selbst einreden, dass das Problem konkret in Trumps Persönlichkeit liegt. Angeblich würden sich die Dinge bessern, wenn sich der Herr des Weißen Hauses ändert. Sicher werden wir nicht so schnell wieder einen so schillernden US-Präsidenten wie Trump sehen, doch die Enttäuschung der Europäer wird umso bitterer ausfallen, wenn sie erleben, dass neue Staatschefs der USA, sogar Demokraten, zwar den Stil, aber nicht den Kern des Verhaltens ändern werden. Während eines Vierteljahrhunderts, seit der Präsidentschaft von George Bush, blendete Europa Washingtons strategischen Kurs, sich zunehmend von atlantischen Verbündeten zugunsten anderer Ziele abzuwenden, sorgfältig aus. Indessen war dieser Kurs – sehr konsequent – unabhängig davon, wer im Weißen Haus herrschte. Auch nach Trump wird sich dieser Prozess fortsetzen. Und wenn man die außerordentliche Bereitschaft der gegenwärtigen EU-Führer zur Selbsterniedrigung betrachtet, werden die kommenden US-Präsidenten von ihnen das Gleiche erwarten.

Eine andere wichtige Frage ist, wie Moskau danach die Beziehungen zu einem solchen Europa aufbauen soll, wenn diese überhaupt irgendwann aufgebaut werden. Immerhin waren russisch-europäische Beziehungen gerade in jenen Zeiten besonders produktiv, in denen die Alte Welt ihre eigenen Interessen bewusst wahrnahm und verfolgte und in der Lage war, sie zumindest teilweise vor äußeren Einflüssen, darunter auch dem Druck der USA, zu schützen. So war es Anfang der 1980er Jahre, als der sowjetisch-amerikanische Dialog zwar extrem abkühlte, die westeuropäischen Verbündeten der USA aber Reagan dazu brachten, die Umsetzung von großen europäischen Energieprojekten gemeinsam mit der Sowjetunion nicht zu behindern – weil sie für Europa selbst notwendig und vorteilhaft waren. Inzwischen besteht das Problem darin, dass sich Europa ausschließlich im US-amerikanischen Kielwasser bewegt. Europa ist nicht in der Lage, für sich selbst zu formulieren, worin sein Vorteil besteht, und folgt daher entweder bewusst oder unbewusst den USA. Dabei gehen die USA ausschließlich von eigenen Interessen aus und betrachten Europa teils als Konkurrenten, teils als Ressource.

Es ist unklar, worin für Russland der Sinn bestünde, sich mit einem solchen Europa auszutauschen. Doch in jedem Fall ist das eine hypothetische Frage und betrifft eine ferne Zukunft. Gegenwärtig kann dieses Problem zu einer schweren gesellschaftlichen und politischen Neurose in der Alten Welt führen. Und wie die Geschichte zeigt, kann dies sowohl für Europa, als auch für seine Nachbarn gefährlich werden.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen in der Zeitschrift Profile am 19. August.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs, Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Internationalen Diskussionsklubs Waldai.

Mehr zum Thema –Der Krieg wird vorerst weitergehen – Reaktionen in Russland auf “Spektakel” in Washington



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Tags: allerAugenerniedrigenEuropaNeuroseTheaterundUSAvor
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