Noch liegt die Wiese unterhalb des Schützenhauses still da, als sei nichts geschehen. Doch zwischen den Grashalmen brennen Kerzen, Stofftiere liegen auf der Erde, neben handgeschriebenen Briefen. Worte des Abschieds, niedergelegt von jenen, die den Schock noch kaum fassen können. Denn hier, am Waldrand von Berikon, endete am Sonntag das Leben eines 15-jährigen Mädchens – mutmaßlich durch die Hand ihrer besten Freundin.
Täterin besonders schutzbedürftig, weil sie minderjährig ist: Behörden geben im Fall Berikon AG keine Infos mehr heraus. https://t.co/oTdtTNX7i0
— 20 Minuten (@20min) May 13, 2025
Die Polizei spricht von einem Tötungsdelikt. Die mutmaßliche Täterin: ein 14-jähriges Mädchen aus demselben Schulkreis. Beide besuchten die Kreisschule Mutschellen. Die beiden Mädchen, berichten Mitschüler, waren einst unzertrennlich – bis ein Streit sie entzweite. Am Muttertag wollten sie sich aussprechen. Statt Versöhnung kam es zur Eskalation. Am Ende lag eine von ihnen leblos im Gras, die andere blutend und verstört wenige Meter entfernt.
Spaziergänger fanden die beiden Jugendlichen am frühen Nachmittag. Eine Zeugin berichtet gegenüber 20 Minuten, sie habe mit ihrem Sohn einen Muttertagsspaziergang unternommen, als sie auf das verletzte Mädchen traf: blutüberströmt, die Hände zitternd, die Hose rot gefärbt. “Sie sagte, sie habe einen Streit mit einer Kollegin gehabt.” Zwei Passanten leisteten Erste Hilfe, riefen die Rettungskräfte. Für das Opfer kam jede Hilfe zu spät. Die Polizei nahm die 14-Jährige noch am Tatort fest.
Die Aargauer Oberstaatsanwaltschaft hat eine Strafuntersuchung eingeleitet. Das Institut für Rechtsmedizin in Aarau soll die Todesursache klären – bislang geht man von Stichverletzungen aus. Die Polizei geht davon aus, dass es sich um eine Einzeltäterin handelt. Hinweise auf Dritte gibt es bislang nicht.
Die Bevölkerung von Berikon und der Nachbargemeinden Rudolfstetten und Widen ist fassungslos. Nicht nur, weil ein junges Leben ausgelöscht wurde. Sondern auch, weil sich kaum jemand vorstellen kann, dass ausgerechnet dieses Mädchen zur Tat fähig gewesen sein soll. Freunde der Opferfamilie beschreiben die 15-Jährige als ruhig, zurückhaltend, geradezu schüchtern. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich gestritten hat”, sagt ein Bekannter gegenüber dem Blick.
Auch die Mutter der mutmaßlichen Täterin sei am Tatort erschienen, berichten Augenzeugen. Drei Stunden lang habe sie versucht, ihre Tochter telefonisch zu erreichen – vergeblich. Dann wurde sie mit einer Realität konfrontiert, die jeder elterlichen Vorstellungskraft spottet.
An der Kreisschule Mutschellen herrscht Ausnahmezustand. Der Gemeinderat, zugleich Mitglied der Schulführung, spricht von “tiefster Erschütterung”. Am Montag unterstützte die Kantonspolizei die Schule bei der Krisenkommunikation. Der schulpsychologische Dienst und das Care Team Aargau waren im Einsatz. Lehrerinnen und Lehrer wurden instruiert, Klassen aufgefangen, Gespräche geführt. “Wir können nach so einem Ereignis nicht einfach zur Tagesordnung übergehen”, sagt Patrick Stangl, Gemeinderat und Mitglied des Schulvorstands.
Gleichzeitig zeigt sich die Polizei in der Umgebung der Schule vermehrt präsent. Nicht aus Angst vor weiteren Straftaten, sondern um präventiv einzugreifen, falls Jugendliche aus Überforderung mit der Situation reagieren. Die Sensibilität sei hoch, betont Stangl. Auch Gerüchten soll so entgegengewirkt werden.
Dass die Tat aus dem Innersten einer engen Beziehung entstand, erschwert vielen die Einordnung. Es gibt keine Anzeichen für organisierte Gewalt, keine Hinweise auf Banden, keine Waffen aus dem Internet. Nur zwei Mädchen, ein Streit – und ein Messer. Das reicht, um ein Leben auszulöschen und ein weiteres für immer zu prägen.
Was genau in den Minuten vor der Tat geschah, bleibt vorerst ungeklärt. Die Behörden geben keine Details preis. Zu schwer wiegt der Schutz der minderjährigen Beschuldigten. Das Jugendstrafrecht kennt keine öffentliche Anklage, keine medialen Vorverurteilungen. Es dient der Resozialisierung – nicht der Rache. Umso größer ist die Kluft zwischen Informationsbedürfnis und Schweigepflicht.
Die Bürger von Berikon suchen derweil weiterhin nach Worten, doch sie bleiben sprachlos zurück.
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