Von Felicitas Rabe
Am vergangenen Freitag veranstaltete das “Friedensbündnis Neuss” eine Podiumsdiskussion mit Friedensaktivisten unterschiedlicher Parteien, darunter auch der Kreistagsabgeordnete Christian Föhr von der SPD. Auf der Veranstaltung erklärte Föhr, wie er aufgrund seines Friedensengagements von seinen Parteikollegen behandelt wird und warum er nicht mehr für die SPD kandidieren darf.
In seinem Aufruf zur Neusser Friedenskonferenz erklärte das regionale Friedensbündnis im Rheinland: “Deutschland und die EU sollen nicht nur materiell aufgerüstet werden! Die Bevölkerung soll mental auf einen Krieg gegen Russland vorbereitet werden. Dazu dienen auch eine massive Werbung der Bundeswehr in Schulen, die Wiedereinführung der Wehrpflicht, die Infragestellung der Zivilklausel an Hochschulen und zum Beispiel die Vorbereitung des Gesundheitswesens auf einen Krieg.”
Auf der Veranstaltung befasste man sich mit den folgenden Fragen: Wie realistisch sind die aktuellen Kriegsszenarien sind? Welche Folgen würde dies für den Sozialstaat Deutschland mit sich bringen? Und was würde das für den Weltfrieden bedeuten? Der Einladung folgten rund 50 Teilnehmer.

Am Podium beteiligten sich der frühere Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (BSW), Renate Koppe von der DKP, Simon Massone von der SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend), Bernhard Trautvetter von der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) und schließlich auch der SPD-Kreistagsabgeordnete Christian Föhr.
In einer E-Mail wurde dem Friedensbündnis Neuss vor der Veranstaltung vom Vorstand des SPD-Kreisverbands Neuss mitgeteilt, dass Christian Föhr von der SPD nicht autorisiert worden sei, auf der Friedenskonferenz zu sprechen. Darauf wies der Moderator Vincent Cziesla vorab hin. Insofern durfte der Kreistagsabgeordnete seine Meinung nur als Privatperson kundtun.
Bedrohung geht von der NATO aus, nicht von Russland
Andrej Hunko vom BSW erläuterte zu Beginn der Diskussion, warum die zur Kriegsvorbereitung “skandalöse Änderung des Grundgesetzes” vom Verfahren her rechtswidrig gewesen sei. De facto habe man damit eine “Flatrate für Rüstungsausgaben” beschlossen. Darin sieht Hunko eine Parallele zu den Kriegskrediten zu Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914.
Als Hauptbegründung für Aufrüstung und Mobilmachung diene den Kriegstreibern die Behauptung, Russland würde in spätestens vier Jahren angreifen, erklärte Renate Koppe von der DKP. Dabei wäre das NATO-Waffenarsenal um ein Vielfaches größer als das der Russischen Föderation. Laut offiziellen NATO-Angaben habe das westliche Bündnis seine jährlichen Verteidigungsausgaben von 2014 bis 2021 beträchtlich gesteigert, während Russland seine Ausgaben im gleichen Zeitraum geringfügig reduzierte. Schon allein daran erkenne man, wer hier wen immer stärker bedrohe, so Koppe.
Details des neuen deutschen Wehrpflichtgesetzes
Simon Massone vom Vorstand der SDAJ fasste noch einmal die Fakten über das neu verabschiedete Gesetz zur Wehrpflicht zusammen. Demnach bekommen alle über 18-Jährigen ab Januar 2026 einen Fragebogen von der Bundeswehr zugeschickt – allerdings müssten nur die jungen Männer das Formular verpflichtend beantworten. Bis Juli 2027 könnten sich die allseits erfassten Jugendlichen noch freiwillig zum Kriegsdienst melden.
Ab Juli 2027 gebe es dann bereits eine verpflichtende Musterung für alle Männer ab 18 Jahren. Vorgesehen sei ab 2027 auch weiterhin ein freiwilliger Wehrdienst. Sollten die vorgegebenen Personalziele bei der Bundeswehr aber nicht erreicht werden, würde per Verordnung aus dem Wehrdienst eine Wehrpflicht. Der SDAJ-Vorstand erklärte, wie man die Jugend mental darauf vorbereite. Um tatsächlich genügend “Kanonenfutter” für einen Krieg gegen Russland zu bekommen, sei man aktiv dabei, die heutige Jugend zu ideologisieren – und auf Drill und Gehorsam vorzubereiten.
Die Kontrolle der Heimatfront
Nach Berechnungen der Bundeswehr bräuchte man im Krieg gegen Russland pro Tag jeweils 5.000 neue Soldaten für die Ostfront. Gleichzeitig bräuchte man auch Militärs, die die Zivilisten im Inland in Schach hielten – an der sogenannten Heimatfront. Dort drohten neben antimilitaristischen Protesten auch Streiks in der Rüstungsindustrie. Mittels Propaganda und militärischer Gewalt müsse die Heimatfront genauso beherrscht werden wie die Ostfront.
Die Zustimmung zur Aufstellung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland sei völlig ohne öffentliche Debatte erfolgt, kritisierte der Vertreter der VVN-BdA, Bernhard Trautvetter. Heutzutage hätten sogar Teile der Linken und die Partei Bündnis 90/Die Grünen der Stationierung zugestimmt. Mit der Stationierung dieser atomaren Raketen drohe erneut ein Atomkrieg “aus Versehen”. Schließlich habe Russland keine Zeit mehr, Angriffe oder vermeintliche Angriffe zu prüfen und dann so zu parieren, dass das eigene Arsenal geschützt bleibe. Nein, in solchen Fällen würden Militärs sofort reagieren. Die Situation sei brandgefährlich. “Für die Zukunft der Menschheit braucht es ein großes Bündnis für eine starke Friedensbewegung.”
Die NATO-Osterweiterung bezeichnete Trautvetter als wesentlich für die heutige Kriegsgefahr. Dabei handele es sich ihm zufolge nicht nur um einen Wortbruch, sondern auch um einen Rechtsbruch.
Aufgrund von Friedensengagement: SPD-Kreistagsabgeordneter wird von Wahlen für politische Ämter ausgeschlossen
Die Sozialdemokraten hätten seinen Auftritt auf der Neusser Friedenskonferenz verhindern wollen, erklärte der SPD-Kreistagsabgeordnete Christian Föhr. Als SPDler beteilige man sich nicht an einer “ultralinken Veranstaltung”, lautete der Vorwurf. Föhr stellte fest, dass es keine selbstständig denkenden Sozialdemokraten mehr gebe. Dafür würden jetzt viele ehemalige SPD-Wähler die Alternative für Deutschland (AfD) wählen.
Wobei man in SPD-Ortsvereinen durchaus noch kontrovers diskutieren würde über Wehrpflicht und Kriegsvorbereitung. Aber SPD-Bürgermeister in Städten und Kommunen würden sich nicht gegen Rüstungskonzerne engagieren, weil diese Produktionsstätten viele Arbeitsplätze sicherten, erläuterte Föhr das mutmaßliche Dilemma der Verwaltungsleiter. Als Konsequenz für seine Beteiligung an der Neusser Friedenskonferenz werde er von allen SPD-Wahllisten gestrichen und dürfe auch nicht mehr für das Amt des SPD-Kreistagsabgeordneten kandidieren.
Am Ende tauschten die Redner Vorschläge zum Erhalt des Friedens und zum Engagement gegen die Kriegstüchtigkeit aus. Laut offiziellen Umfragen seien 81 Prozent der 15- bis 31-Jährigen nicht bereit, für ihr Land zu sterben. Diese unwillige Jugend gelte es, zur Aktion zu bringen, erklärte SDAJ-Vorstand Massone. Außerdem müsse man die Gewerkschaften aus dem Kriegskurs herauslösen, zitierte er den DKP-Vorsitzenden Patrik Köbele.
Unterschiedliche Jugendorganisationen müssten sich im Kampf gegen den Kriegsdienst vernetzen und gemeinsame Handlungs- und Kampfoptionen entwickeln. Inzwischen habe sich das Bündnis “Nein zur Wehrpflicht” gegründet. Für diese Vernetzung wolle man ein breites Spektrum an Jugendorganisationen von den Pfadfindern bis hin zu Schülervertretungen mobilisieren. Wichtig sei dabei auch die Aufklärung der Bevölkerung über die tatsächlichen Kriegsgründe. Den Lügen von der angeblichen russischen Bedrohung und der ganzen Kriegspropaganda müsse aktiv widersprochen werden.
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