Von Wladimir Kornilow
In der Ukraine gibt es einen neuen Politiker. Sein Name: Wladimir Selenskij.
Wenn man alles, was er Anfang des Jahres gesagt hat, mit dem vergleicht, was er in den letzten Tagen von sich gibt, wird man zu dem Schluss kommen, dass jemand den Präsidenten mit dem abgelaufenen Gültigkeitsdatum durch jemand anderen ersetzt hat.
Vielleicht war Donnerstag, der 27. Juni, der Tag, an dem der Austausch unbemerkt geschehen ist. An jenem Tag gab Selenskij, der nach Brüssel gereist war, um die nächsten “schicksalhaften” Dokumente mit der Europäischen Union zu unterzeichnen, plötzlich die schweren Verluste seiner Streitkräfte auf dem Schlachtfeld und die Tatsache zu, dass er “nicht mehr viel Zeit hat”. Daher versprach er, “innerhalb von Monaten” einen “Friedensplan” auszuarbeiten und diesen auf dem nächsten Friedensgipfel vorzuschlagen, zu dem Russland eingeladen werden soll.
Nur 24 Stunden später entwickelte dieser Selenskij bei einem Treffen mit dem slowenischen Präsidenten seine Gedanken weiter und erklärte wörtlich Folgendes:
“Es ist sehr wichtig für uns, einen Plan zur Beendigung des Krieges vorzulegen, der von der Mehrheit der Welt unterstützt wird. Das ist der diplomatische Weg, an dem wir arbeiten. […] Es handelt sich um zwei parallele Prozesse: stark zu sein und einen detaillierten, verständlichen Plan zu entwickeln, der noch in diesem Jahr fertig sein wird.”
In dieser kurzen Passage sind gleich mehrere Punkte enthalten, die darauf hindeuten, dass Selenskij durch einen Doppelgänger abgelöst wurde. Das Eingeständnis schwerer Verluste der ukrainischen Streitkräfte steht im Widerspruch zu der Aussage des damals noch rechtmäßigen Präsidenten der Ukraine, seine Truppen hätten in zwei Jahren Kampfeinsatz nur 31.000 Mann verloren. Die Erklärung über die Bereitschaft, mit Russland zu verhandeln, steht in direktem Widerspruch zu dem Dekret desselben Präsidenten vom 30. September 2022, das den ukrainischen Behörden Verhandlungen mit unserem Land strengstens untersagt. Der neue Selenskij verstößt gegen das Dekret des alten Selenskij!
Und die ständigen Äußerungen über die Entwicklung eines bestimmten “Friedensplans” zeigen, dass der neue Selenskij die “Friedensformel”, mit der der alte Selenskij in der ganzen Welt hausieren ging, vergessen hat. Erinnern wir uns: Diese “Formel”, die der russische Außenminister Sergei Lawrow treffend als “nichts” bezeichnete, bedeutete in Wirklichkeit “Krieg bis zum siegreichen Ende” – mit der Rückgabe der Grenzen von 1991 und Reparationen vom besiegten Russland. Nach dem zu urteilen, was die Hofschreier des ukrainischen Präsidialamtes sagen, ist davon nicht mehr die Rede.
Hier lohnt es sich, dem Gespräch zwischen den beiden “talking heads” des Teams von Andrei Jermak besondere Aufmerksamkeit zu schenken, dem Leiter eben jenes Büros, das faktisch die gesamte Macht in Kiew übernommen hat und im Übrigen der Hauptorganisator des jüngsten “Friedensgipfels” in der Schweiz war. Es ist schon lange aufgefallen, dass die Thesen, die Jermak als Erstes in der Öffentlichkeit ausprobieren will, immer über die Fernsehmoderatorin Natalija Mossejtschuk und den Hofpolitologen Wladimir Fesenko eingebracht werden. Und natürlich ist es kein Zufall, dass unmittelbar nach Selenskijs lautstarken Äußerungen über den “Friedensplan” am Samstag, dem 29. Juni, eine Videoaufzeichnung eines Gesprächs zwischen diesen beiden Personen auftauchte.
Wir möchten daran erinnern, dass es sich um dieselben Mossejtschuk und Fesenko handelt, die zwei Jahre lang ausführlich über die Unvermeidlichkeit des kommenden “Sieges der Ukraine” sprachen und einen “Krieg bis zum siegreichen Ende” forderten. Die erste war dabei besonders voll von Eifer – erst vor anderthalb Monaten warnte sie die ukrainischen Männer:
“Der SBU wird bei jedem an die Tür klopfen. Die Zeit des Spielzeugs, des Blumenstraußes und der Schokolade in der Ukraine geht zu Ende.”
Jetzt, in einem Gespräch mit ihrem Kollegen, ärgerte sie sich über den “Krieg bis zum letzten ukrainischen Mann”. Es ist also nicht nur Selenskij, der gegen Doppelgänger ausgetauscht wurde?
Plötzlich gab Fesenko zu, dass die Ukraine einen Krieg mit Russland nicht gewinnen kann. Und er warnte Selenskij vor der Falle, die seine Kiewer Rivalen ihm stellen wollen:
“Wenn Sie Frieden mit Russland schließen – das war’s, Sie sind ein Verräter! Wir werden Sie brandmarken: Sie sind ein Verräter, Sie haben verraten, Sie haben diesen Krieg verloren, und so weiter.”
Und dann schaltete sich Mossejtschuk selbst in das Gespräch ein und enthüllte tatsächlich den Inhalt von Selenskijs neuem “Friedensplan”:
“Noch einmal, man muss den Leuten erklären: Nun, derjenige, der die Hauptstadt, den größten Teil des Territoriums und den Zugang zum Meer behält, verliert den Krieg nicht!”
So sieht es also aus! Das heißt, es geht nicht mehr um die Grenzen von 1991, sondern darum, dass das Regime Kiew und den Zugang zum Meer – also Odessa – behält.
Fesenko stimmte sofort zu:
“Unser Hauptinteresse ist nicht nur die Rückgabe von Territorien! Wir müssen die Macht, die Nation retten! Und das Territorium können wir ein wenig später zurückholen. […] Und die zweite Sache ist, das Land in die Europäische Union und dann in die NATO zu bringen. Das ist die Formel für unseren Sieg!”
Hier ist sie, die ganz neue “Formel” aus dem Munde von Persönlichkeiten, die ihre Ansichten nicht einfach so dramatisch ändern würden – und absolut jeder versteht sie. Eine völlig neue Herangehensweise Kiews an Fragen von Krieg und Frieden!
Es ist schwer zu sagen, was genau der Grund für diese Veränderungen in der Rhetorik Kiews war. Vielleicht war es das Scheitern des berüchtigten “Friedensgipfels”, bei dem Selenskij und Jermak vom Globalen Süden (sowohl von denen, die an der Veranstaltung teilnahmen, als auch von denen, die “mit den Füßen abstimmten”) gesagt wurde, dass Frieden ohne Russland nicht möglich ist. Vielleicht die mangelnde Bereitschaft der westlichen Länder, alle militaristischen Forderungen Kiews zu finanzieren. Vielleicht war es die Einsicht, dass der Sieg von Donald Trump unvermeidlich ist, während Joe Biden als sein Rivale im Rennen um die US-Präsidentschaft bleibt. Oder vielleicht haben alle diese Faktoren zusammen (vor allem aber die Situation auf dem Schlachtfeld) Selenskijs Team dazu gebracht, die drohende Katastrophe für sich zu erkennen. Daher die neu erwachte “Friedfertigkeit”, wie es sie zuletzt sie im Frühjahr 2022 gab, als russische Soldaten vor den Toren von Kiew standen.
Aber es sind die Lehren aus den vom Westen vereitelten Istanbuler Gesprächen, die Russlands aktuelles Verhalten bestimmen. Am 14. Juni hat Wladimir Putin bei einem Treffen mit der Führung des russischen Außenministeriums klar und unmissverständlich unseren Friedensplan definiert, der die Befreiung des gesamten russischen Territoriums, einschließlich der zurückgegebenen Gebiete Neurusslands, und die Entmilitarisierung der Ukraine vorsieht. Darüber hinaus hat der russische Präsident Kiew noch einmal deutlich gemacht, dass im Falle einer verspäteten Antwort “die Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen anders sein werden”. Und Sergei Lawrow hat bereits wiederholt betont, dass wir die Feindseligkeiten jetzt nicht für die Dauer der Verhandlungen einstellen werden, wie wir es im Jahr 2022 getan haben.
All diese Tricks von Selenskijs Team haben also keinen Sinn – sie sind leicht zu entlarven und zu berechnen. Sie erklären sich aus dem völligen Scheitern der “Friedens-Formel von Selenskij” und laufen auf den Versuch hinaus, einen neuen Plan für einen neuen Selenskij zu entwerfen, um Russland noch einmal täuschen zu können. Da es bislang nicht funktioniert hat.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 1. Juli 2024 auf ria.ru erschienen.
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