Von Geworg Mirsajan
Der Führer des Kiewer Regimes, Wladimir Selenskij, lässt Russland auch weiterhin nicht im Stich. Aus rein banaler Logik hätte er vor dem Londoner Treffen Trumps Vorschlag zum Einfrieren des Konflikts – der keine Bedingungen zur Entmilitarisierung, Entnazifizierung und zum Abzug der Truppen aus allen russischen Gebieten enthielt – akzeptieren müssen. Zumindest hätte er ihn nicht öffentlich ablehnen dürfen.
Hätte Selenskij logisch gehandelt, wäre Moskau in eine schwierige Lage geraten – es hätte nun den bereits von den USA, der EU und der Ukraine vereinbarten Kompromiss selbst ablehnen müssen und sich damit in die Isolation begeben.
Stattdessen lehnte Selenskij den Vorschlag öffentlich ab und weigerte sich, Zugeständnisse zu machen oder Kompromisse einzugehen – unter anderem wollte er sich nicht damit abfinden, dass die USA die russische Krim als russisches Hoheitsgebiet anzuerkennen bereit sind. Schlimmer noch: Er lehnte den Vorschlag nicht nur ab, sondern wies ihn in rüpelhafter Weise zurück – er bezeichnete die Reaktion des US-Präsidenten als “Emotionen”, forderte ihn auf, gemäß seinen Entscheidungen zu handeln und veröffentlichte eine Deklaration des US-Außenministeriums aus dem Jahr 2018, in der es hieß, die Krim werde nicht als russisch anerkannt.
Damit brachte Selenskij Trump noch mehr in Rage, und allem Anschein nach wird das nächste Kompromissangebot der USA für Kiew weit weniger akzeptabel sein als das jetzige. Entsprechend äußerte der US-Präsident bereits, dass er den Verzicht Moskaus, die gesamte Ukraine zu besetzen, für ein großes Zugeständnis Russlands halte. Es ist jedoch nicht sicher, dass die USA überhaupt einen neuen Kompromissvorschlag vorlegen werden – Analytiker schließen nicht aus, dass der US-Präsident in den nächsten Tagen seine Hände in Unschuld waschen wird. Mit anderen Worten: Er wird sich aus dem Konflikt zurückziehen und der Ukraine jegliche militärische und finanzielle Unterstützung entziehen.
Und nun hat Wladimir Selenskij eigentlich drei Verhaltensmuster zur Auswahl: ein vernünftiges, ein passives und sein eigenes.
Vernünftigerweise wäre es zwingend geboten, das bisherige Verhalten zu ändern: Der Kiewer Machthaber sollte Trump bei jeder Gelegenheit loben und seine Bereitschaft erklären, alle Vorschläge der “lieben amerikanischen Verbündeten” zur Konfliktbeendigung zu berücksichtigen. Er sollte niemals “Nein” zum US-Präsidenten sagen, sondern nur: “Ja, aber …” Zum Beispiel so: “Ja, die Anerkennung der Krim ist eine souveräne Entscheidung der Vereinigten Staaten, und wir werden die USA nicht darüber belehren – aber wer weiß, wohin diese Entscheidung letztendlich führt.” Gleichzeitig könnte Selenskij seine logischen, nicht-maximalistischen Kompromissvorschläge vorlegen, einschließlich des Einfrierens des Konflikts.
Einfach ausgedrückt: Selenskij sollte sich Trump formell unterordnen und gleichzeitig Initiativen vorschlagen, die vom US-Präsidenten als vernünftig, von Moskau aber als inakzeptabel angesehen werden.
Doch der Führer des Kiewer Regimes ist dazu – zum Glück für Russland – nicht in der Lage. Erstens, weil er nicht bereit ist, von der Haupt- in eine Nebenrolle zu schlüpfen – für den von vielen Komplexen geplagten Selenskij ist es sehr wichtig, sich als globale Führungspersönlichkeit zu präsentieren, die die Tagesordnung bestimmt. Und er ist nicht bereit, in dieser Rolle Donald Trump den Vortritt zu lassen oder die mediale Überlegenheit des US-Präsidenten anzuerkennen.
Zweitens muss er auf die Stimmung in der ukrainischen Gesellschaft Rücksicht nehmen. Aufgeputscht durch den Medienmarathon und die Märchen, dass “das Ausland uns helfen wird”, plädiert sie für eine Fortsetzung des Krieges und lehnt jegliche Zugeständnisse an Moskau ab. Sollten diese Zugeständnisse indes gemacht werden, wird Selenskij (der die Rolle des Patrioten spielt) nicht nur an Popularität verlieren. Eine Kollision mit der Realität könnte einen Dominoeffekt auslösen und (über eine Phase der wütenden Reaktion) zu einer groß angelegten ideologischen Ernüchterung der Ukraine führen. Das aber ist genau das, was Selenskij zu vermeiden versucht.
Unter Berücksichtigung aller persönlichen und sachlichen Zwänge im Rahmen dieses vernünftigen Verhaltensmusters könnte er sich daher einfach passiv verhalten: Er sollte Trump nicht widersprechen, sich aber auch nicht als Friedensstifter aufspielen. Stattdessen sollte er sich einfach vom Verhandlungsprozess distanzieren und die gesamte Verantwortung für die Konfrontation mit Trump auf Europa abwälzen.
Denn hier sitzen Brüssel und Kiew im selben Boot. Für die Europäische Union sind die von Trump vorgeschlagenen Zugeständnisse an Russland nicht nur inakzeptabel – die EU sieht darin eine direkte Bedrohung für die Existenz des Blocks selbst.
Nehmen wir zum Beispiel die Krim-Frage. Für Europa bedeutet die Anerkennung des Gebietes, das Russland der Ukraine erst entriss und dann sich selbst angliederte, das Öffnen einer Flasche mit dem dort seit langem gefangenen “Geist der Territorialansprüche”. Anders ausgedrückt: Dies könnte eine ganze Reihe von Territorialkonflikten zwischen den EU-Mitgliedstaaten wiederbeleben. Und diese Konflikte könnten durch den wachsenden Einfluss rechter Nationalisten in Europa zusätzlich angeheizt werden.
Für Europa stellt die von den USA angestrebte Aufhebung der Sanktionen gegen Russland ebenfalls eine inakzeptable Situation dar. Dies könnte einen Dominoeffekt auslösen, auch innerhalb der EU. Denn die regelmäßige Verlängerung der europäischen Sanktionspakete gegen Russland muss ausschließlich im Konsens aller EU-Mitgliedstaaten erfolgen. Und wenn etwa Budapest gegen die Verlängerung der Sanktionen stimmen würde, müsste Europa nicht nur die hart erkämpften Sanktionsmechanismen aufheben, sondern auch eingefrorene russische Vermögenswerte – deren Erträge nun als Sicherheiten für Kredite an die Ukraine dienen – aushändigen sowie den öffentlichen Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern der Sanktionsaufhebung dämpfen. Und für Europa (das sein Bestes tut, um wenigstens den Anschein einer europäischen Einheit zu wahren) ist diese politische Bedrohung noch beängstigender als die finanzielle.
Daher könnte Kiew die gesamte Konfrontation der Europäischen Union aufbürden, die über weitaus mehr Möglichkeiten verfügt, Druck auf Trump auszuüben und einen Kompromiss mit den USA zu finden.
Allerdings scheint Selenskij nicht vorzuhaben, in dieser Weise vorzugehen. Zum einen, weil dies einen Verzicht auf Effekthascherei bedeuten würde, wozu er nicht bereit ist. Zum anderen, weil er allen Grund hat, der Europäischen Union zu misstrauen – nicht der Brüsseler Bürokratie (von deren Entschlossenheit, den Krieg mit Russland bis zum letzten Ukrainer fortzusetzen, Selenskij überzeugt ist), sondern den Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten. Er befürchtet, dass einige EU-Länder Zugeständnisse im Ukraine-Konflikt einfach gegen Handels- und andere Vergünstigungen austauschen werden. Und dabei geht es nicht um Ungarn, sondern um Frankreich und sogar Großbritannien (das laut britischen Medien bereits von der Idee eines Truppeneinsatzes in der Ukraine – also von einem Druckmittel gegen Trump – Abstand genommen hat).
Damit bleibt dem Führer des Kiewer Regimes nur noch die dritte Option, nämlich die Eskalation der Beziehungen zu Trump fortzusetzen: Er wird nicht nur weiterhin in rüpelhafter Form gegen Trump auftreten und mit kriegerischen Äußerungen wie “Wir geben keinen Zentimeter unseres Landes ab” drohen, sondern im Rahmen seiner Strategie der “emotionalen Diplomatie”, blutige Provokationen zu inszenieren. Das Ziel dabei wird nicht sein, Trump umzustimmen, sondern einen emotionalen und politischen Hintergrund für den Verhandlungsprozess zu schaffen, der jegliche Zugeständnisse an Moskau unmöglich macht.
Diese Strategie entspricht voll und ganz dem Psychotypus von Wladimir Selenskij. Ihr liegt sogar eine gewisse Logik zugrunde, und sie hat Chancen auf Erfolg, nämlich darauf, den russisch-amerikanischen Dialog zum Scheitern zu bringen. Allerdings dürfte sie mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass dieser Dialog (bei dem die Ukraine nur eines von vielen Themen ist) völlig ohne Berücksichtigung der Interessen Kiews verläuft. Und darüber hinaus dazu, dass Donald Trump alle rechtlichen, politischen und sogar emotionalen Gründe erhält, Pontius Pilatus zu spielen und seine Hände in Unschuld zu waschen, was die Probleme der Ukraine angeht.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 25. April 2025 zuerst auf der Homepage der Zeitung “Wsgljad” erschienen.
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