Von Felicitas Rabe
Schön wär’s, würde vielleicht mancher sagen, auf die Frage: Schränken Beleidigungen das Wirken von Politikern ein?Eine Beleidigung könne niemals geeignet sein, das politische Wirken einzuschränken, erklärte Rechtsanwältin Viktoria Dannenmaier.
Am Donnerstagabend gaben die drei Rechtsanwälte Viktoria Dannenmaier, Dirk Sattelmaier und Markus Haintz in Bochum Einblicke in die deutsche Strafjustiz. Sie berichteten über ihre Erfahrungen als Strafverteidiger an deutschen Amts- und Landgerichten und bewerteten den aktuellen Umgang mit Gesetzen und Rechtsnormen in unserem Land.
Im zweiten Teil berichtet Felicitas Rabe über den Vortrag der Rechtsanwältin Viktoria Dannenmaier. Auf der Veranstaltung “Meinung schützt vor Strafe nicht” beleuchtete sie den vor vier Jahren neu eingeführten Straftatbestand der Politikerbeleidigung. Der im Jahr 2021 eingeführte Straftatbestand der Politikerbeleidigung erinnert an die alte, feudal anmutende Rechtsnorm der Majestätsbeleidigung. Die sogenannte Majestätsbeleidigung wurde erst im Juni 2017 per Parlamentsbeschluss abgeschafft – gegen den Widerstand der Partei Bündnis 90/Die Grünen.
Zu Beginn ihres Vortrags trug die Strafverteidigerin den Gesetzestext des diesbezüglich erweiterten § 188 Strafgesetzbuch (StGB) vor: “Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts eine Beleidigung aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene.”
Bis zur Einführung der Politikerbeleidigung als Straftatbestand sei man nach dem damaligen § 188 StGB nur wegen nachgewiesener übler Nachrede oder Verleumdung eines Politikers strafrechtlich verfolgt worden. Da es sich bei der Politikerbeleidigung um eine neue Tatbestandsvariante handele, seien die Gerichte in der Folgezeit zunächst bei der Handhabung der Politikerbeleidigung unsicher gewesen, erklärte Dannenmaier.
Unsicherheit habe insbesondere in Bezug auf die Frage geherrscht: Welche Äußerung gegenüber einem Politiker ist noch von der Meinungsfreiheit gedeckt, und ab wann ist eine Äußerung gegenüber einem Politiker eine strafrechtlich relevante Beleidigung? Nach der Einführung des neuen Strafgesetzes hätten sich die Gerichte auch nicht auf wegweisende richterliche Entscheidungen berufen können.
Dies habe sich vor zwei Jahren geändert. Im Juni 2023 habe das Amtsgericht Schwetzingen ein wegweisendes Urteil zur Ausweitung des § 188 StGB gefällt, der den Schutz von Politikern vor Beleidigungen betrifft. In dem Entscheid habe das Schwetzinger Gericht festgestellt: Um den Straftatbestand der Politikerbeleidigung zu erfüllen, müsse die Äußerung geeignet sein, das politische Wirken des Beleidigten erheblich zu erschweren. Das habe man in der vorliegenden Strafanzeige nicht nachweisen können.
Dem Gerichtsurteil zufolge sei es zudem grundsätzlich fraglich, ob Beleidigungen dazu geeignet sein könnten, die Arbeit von Politikern einzuschränken. Dazu führte das Amtsgericht Schwetzingen in seinem Urteil vom 26.06.2023 aus: “Es sind nämlich kaum Fälle der §§ 186 und 187 StGB denkbar, die dann nicht zu einer Erfüllung des Qualifikationstatbestandes führen, wenn die Tatsache in Bezug auf eine Person des politischen Lebens geäußert wird.”
Während also der Bundesgerichtshof (BGH) bis dato überhaupt nur geprüft habe, ob es sich bei den Äußerungen dem Inhalt nach um eine Politikerbeleidigung handelte – ja oder nein –, habe das Schwetzinger Amtsgericht eine dem Gesetz entsprechende qualifizierte Prüfung des Tatbestands vorgenommen. Schließlich habe das Gericht in seinem Urteil begründet, dass zur Erfüllung des Straftatbestands der Politikerbeleidigung auch die äußeren Umstände der Tat berücksichtigt werden müssen. Insbesondere müsse geprüft werden, ob die Beleidigung geeignet sei, das politische Wirken des Politikers einzuschränken.
Eine Beleidigung könne niemals geeignet sein, das politische Wirken einzuschränken, bekräftigte Dannenmaier das Gerichtsurteil. Anders verhalte es sich bei sogenannten Verleumdungsdelikten und dem Delikt der üblen Nachrede. Diese Straftaten seien sehr wohl geeignet, dass politische Leben einzuschränken. Man brauche sich nur vorzustellen, jemand behaupte, dieser oder jener Politiker habe sexuellen Missbrauch begangen.
So eine falsche Tatsachenbehauptung erfülle den Tatbestand der Verleumdung und der üblen Nachrede und würde das Wirken des Politikers erheblich einschränken. Insofern gelte es zu unterscheiden zwischen bloßen Beleidigungen, die sich nicht auf die Arbeit des Politikers auswirkten, und falschen Tatsachenbehauptungen, die sich sehr wohl darauf auswirkten.
Das Urteil von Schwetzingen habe auch das Recht zum Gegenschlag betont: Ein Politiker, der Beleidigungen austeile, müsse schließlich auch solche einstecken können. Inzwischen seien auch zwei Oberlandesgerichte dem Schwetzinger Amtsgericht gefolgt und hätten dessen Entscheidung bestätigt. Allmählich zeichne sich bei den Gerichten ein Wandel im Umgang mit Politikerbeleidigungen ab. Man sehe dies auch daran, dass mittlerweile immer mehr Verfahren gegen Geldauflage eingestellt würden. Damit bewahrten sich die Richter davor, überhaupt ein Urteil sprechen zu müssen. Zudem werde die Politikerbeleidigung in der juristischen Fachliteratur zunehmend kritischer diskutiert.
Letztendlich verstoße die Bestrafung von mutmaßlichen Beleidigungen auch gegen das Europäische Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Dannenmaier fasste ihre Bewertung der Erweiterung des § 188 StGB um die sogenannte Politikerbeleidigung so zusammen: “Die Beleidigungserweiterung ist einfach missglückt.”
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