Die russische Neuverfilmung von Bulgakows “Der Meister und Margarita” ist ein Meisterwerk. Dramaturgie, Regie und schauspielerische Leistung sind herausragend und vereinen sich zu einem Gesamtkunstwerk. Das russische Publikum dankt es. Der Film brachte allein am ersten Spieltag 57,3 Millionen Rubel ein. Von der Kritik wurde er überwiegend positiv aufgenommen. Dass der Film auch regierungskritisch interpretiert werden kann, macht ihn umso interessanter. Dass ihn Journalisten wie Wladimir Solowjew wegen dieser Möglichkeit, ihn regierungskritisch zu verstehen, beanstandet haben, hat sicherlich eher zu seinem Erfolg beigetragen als seiner Popularität geschadet.
Der in Berlin geborene deutsche Schauspieler August Diehl spielt Professor Woland, die zentrale und gleichzeitig teuflische Figur, die im Moskau der Stalinzeit für Chaos sorgt. Er spielt seine Figur ohne Einschränkungen gut. Sein deutscher Akzent unterstreicht das Diabolische in jedem einzelnen Satz.
Dass ihm die russische Gesellschaft trotz seines Aufenthalts dort fremd geblieben ist, macht Diehl in einem Interview mit der Berliner Zeitung deutlich. Dort hält er im Wesentlichen an der deutschen Propaganda-Erzählung über Russland fest.
Obwohl er gerade an der Entstehung eines herausragenden Films beteiligt war, den man in Deutschland aufgrund des dortigen politischen Klimas wohl nicht zeigen wird, antwortet Diehl auf die Frage nach der Möglichkeit von gemeinsamen deutsch-russischen Projekten:
“Es ist eine Tragödie für Russland. Aber so war es jedes Mal in der Vergangenheit. Immer, wenn ein Land totalitär und gewalttätig wird, trocknet es kulturell aus.”
Dabei kommt die Verweigerung, der Zusammenarbeit aus Deutschland. Russische Künstler werden ausgeladen, russische Werke verbannt. Das gilt in ähnlicher Weise für Künstler, die eine kritische Haltung zu Israel einnehmen. Es ist Deutschland, das sich kulturell austrocknet, nicht Russland. Die Atmosphäre in beiden Ländern unterscheidet sich grundlegend. Es gibt in Russland keine Cancel Culture, die der deutschen vergleichbar wäre.
Russland mangele es an Demokratie-Erfahrung, glaubt Diehl und macht die russisch-orthodoxe Kirche dafür verantwortlich.
“Hinzu kommt natürlich auch die stark verankerte orthodoxe Religiosität, vor allem in der Landbevölkerung, nach der Art: Was, wenn mir etwas Schlimmes widerfährt? Wenn ich viele Kinder verliere? Dann will Gott das. Mit so etwas kann die Regierung unglaublich viel machen, weil nach der Logik alles, was von der Regierung kommt, von Gott gewollt ist.”
Diehl nimmt Russland als voraufgeklärte, unterentwickelte Gesellschaft wahr. Es ist bedauerlich, dass es ihm nicht gelungen ist, mit Russland tatsächlich in Kontakt zu kommen. Dass es ihm auch an Kontakt zur deutschen Gesellschaft fehlt, macht eine weitere Bemerkung deutlich:
“Ich muss mich oft fragen: Was würde ich tun, wenn Deutschland jetzt wieder ein Kriegstreiber wäre? Würde ich in dem Land bleiben oder würde ich weggehen? Das weiß ich erst, wenn es so weit ist, wenn ich in dieser Situation bin.”
Diese Anmerkung ist unfreiwillig komisch. Diehl ist bereits in der Situation, hat es bisher jedoch nicht bemerkt. Deutschland ist Kriegstreiber im aktuellen Konflikt, lehnt Diplomatie ab, setzt ausschließlich auf eine militärische Lösung und darauf, dass die Ukraine durch deutsche Waffenlieferungen einen Sieg über Russland erlangen kann.
So herausragend seine schauspielerische Leistung als Professor Woland ist, so erschreckend ist Diehls politische Naivität. Mit seiner Darstellung der teuflischen Figur in “Der Meister und Margarita” steht er dem großen Mephistopheles-Darsteller Gustaf Gründgens in nichts nach. Mit seiner gesellschaftspolitischen Unbedarftheit allerdings auch nicht.
Begabte Menschen sind eben nicht zu allem, sondern immer nur zu wenigem begabt. Dort leisten sie Großes, zu allen anderen Themen aber sollten sie schweigen, denn es schadet ihrer Reputation.
Mehr zum Thema – “Meister und Margarita” mit August Diehl als Teufel führt in Russland die Kinokassen an