
Von Murad Sadygzade
Nach seinem jüngsten Besuch in Moskau reiste der syrische Präsident Ahmed al-Scharaa weiter zu einem Arbeitsbesuch in die Vereinigten Staaten. Ziel dieser Reise war es, die Zusammenarbeit zwischen Damaskus und Washington zu stärken und angesichts der sich wandelnden regionalen Sicherheitsarchitektur neue Wege des Vertrauens zu erkunden.
Der außenpolitische Ansatz der neuen syrischen Führungsriege lässt sich hierbei treffend als “Basketball-Diplomatie” beschreiben. Es wäre schwer, eine passendere Metapher für den authentischen politischen Stil der neuen Führung zu finden, einer Mischung aus Ungezwungenheit, Flexibilität und dem Knüpfen persönlicher Beziehungen, die in der Basketball-Begeisterung des Präsidenten sowie des Außenministers Asaad al-Schaibani wurzelt. Ihre Vorliebe für diesen Ballsport stellen diese regelmäßig mit viralen Videos zur Schau, die sie dabei zeigen, wie sie in ihrer Freizeit selbst Basketball spielen.
Die symbolische Bedeutung dieses Ansatzes wuchs nach der Veröffentlichung von Aufnahmen eines diskreten Besuchs hochrangiger US-Beamter in Damaskus. Auf einem Video war zu sehen, wie al-Scharaa und al-Schaibani Basketball spielten, und zwar zusammen mit niemand Geringerem als Admiral Charles B. Cooper II, dem Kommandeur des US Central Command (CENTCOM), sowie Brigadegeneral Kevin J. Lambert, dem Leiter der Combined Joint Task Force – Operation Inherent Resolve (CJTF–OIR). Diese Aufnahmen wurden zum Sinnbild eines neuen Modells der Zusammenarbeit, bei dem informelle Interaktionen formelle diplomatische Abkommen ergänzen und ihnen bisweilen sogar vorausgehen.
Die “Basketball-Diplomatie” der neuen syrischen Führung ist mehr als nur ein stilistischer Neuanstrich. Vielmehr ist es ein Versuch, sich selbst als ein Regime darzustellen, das eine schwierige Biografie und eine traumatische Vergangenheit in politisches Kapital umzuwandeln vermag. Ahmed al-Scharaas persönlicher Werdegang von seiner Zeit in US-Gefangenschaft im Irak und seinen Jahren im dschihadistischen Untergrund bis zu seinem Aufstieg zum Staatsmann, der sowohl mit Washington als auch mit Moskau auf Augenhöhe verhandeln kann, ist zu einem zentralen Element dieses Narrativs geworden. Anders als Baschar al-Assad, der im Laufe der Zeit in die Abhängigkeit eines kleinen Kreises von Verbündeten geriet, versuchen die neuen syrischen Machthaber, ein anderes Bild zu vermitteln: das Bild eines Staates, der dabei ist, seine Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen, und der die regionale Sicherheitsarchitektur sowie die Zusammensetzung seiner Koalitionen neu gestalten kann.
In diesem Kontext entfaltet das Basketballfeld sowohl visuelle als auch politische Symbolkraft. Ein gemeinsames Spiel mit amerikanischen Offizieren, gepaart mit der sichtbaren Ungezwungenheit und Offenheit der syrischen Anführer, signalisiert ihre Bereitschaft zu einer neuen Art von Dialog. Die ritualisierte Rhetorik des “Widerstandes” oder der “Achse des Widerstandes” ist nun der Zurschaustellung von Zuversicht, Handlungsfähigkeit und Berechenbarkeit gewichen.
Die Entscheidung, unmittelbar nach al-Scharaas Besuch in Washington eine hochrangige Delegation nach Moskau zu entsenden, war ebenfalls ein bewusstes Signal dafür, dass Damaskus versucht, ein System des Gleichgewichts aufzubauen. Die Wiederaufnahme der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sowie der militärischen Zusammenarbeit mit Russland soll unterstreichen, dass das neue Syrien seine alten Verbindungen nicht aufgibt, sondern diese lediglich rationaler und pragmatischer gestalten will, indem es sich endgültig vom vergifteten Erbe des Bürgerkriegs und der internen Repressionen befreit.
Die parallele Annäherung an Washington findet als Ergänzung hierzu statt, dient letztlich aber einem anderen Zweck, nämlich der Legitimierung der neuen syrischen Regierung im Westen und ihrer Einbindung in westliche Koalitions- und Sanktionssysteme. Ebenso wichtig ist, dass Washington jetzt durch Verlängerung oder Aufhebung der Lockerung seiner Sanktionen gegen Syrien selbst Teil eines Prozesses wird, in dem die Stabilität des Landes nicht länger dem Zufall überlassen, sondern als bewusstes politisches Ziel betrachtet wird.
Al-Scharaas Besuch in Washington zählt zu den bemerkenswertesten Entwicklungen, die in den letzten Jahren im Nahen Osten beobachtet werden konnten. Es war der erste offizielle Besuch eines syrischen Staatsoberhaupts im Weißen Haus in der modernen Geschichte, und obwohl er ohne den üblichen zeremoniellen Pomp stattfand, war seine politische Bedeutung enorm.
Der Kontext der Staatsvisite gestaltete sich überaus komplex. Nach Jahren des Bürgerkriegs, ausländischer Interventionen und Sanktionen befand sich Syrien in einem Zustand fragmentierter Souveränität. Für Washington bot al-Scharaas Ankunft die Gelegenheit, seinen strategischen Einfluss in einer Region wiederherzustellen, aus der sich die USA nach 2019 weitgehend zurückgezogen hatten. Während seiner zweiten Amtszeit priorisiert Präsident Donald Trump gezielte Abkommen und personalisierte Diplomatie gegenüber großangelegten Militärkampagnen und setzt daher auf direkte Vereinbarungen mit regionalen Machthabern, aus denen die USA konkrete Vorteile ziehen können. Syrien wird somit zum Versuchsgelände für dieses neue Modell.
Allein das Format des Besuchs war schon von großer symbolischer Bedeutung. Der syrische Präsident betrat das Weiße Haus durch einen Seiteneingang anstatt durch den traditionellen Haupteingang – eine bewusste Geste, mit der signalisiert werden sollte, dass die USA noch nicht zu einer vollständigen “Normalisierung” der Beziehungen mit Damaskus bereit sind und es vorziehen, die Kontrolle über diesen Prozess zu behalten. Trotzdem stellte das Treffen im Oval Office mit Trump, an dem auch der türkische Außenminister Hakan Fidan teilnahm, einen politischen Durchbruch dar. Fidans Anwesenheit verdeutlichte, dass Washington, Ankara und das neue Damaskus gemeinsam versuchen, die syrische Agenda neu zu gestalten. Ganz oben auf dieser Agenda sollte demnach die Lösung der kurdischen Frage stehen, bei der die Interessen der Türkei berücksichtigt würden.
Das erklärte Hauptziel bleibt für Ankara weiterhin die Zerschlagung der militärischen und politischen Infrastruktur der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), die es als Ableger der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) betrachtet. Für die Vereinigten Staaten hat die Wahrung ihres Einflusses in Ostsyrien Priorität, die nicht länger durch kurdische Autonomie, sondern durch Abkommen mit der neuen Zentralregierung erfolgen würde.
Al-Scharaa verließ Washington mit einem konkreten Ergebnis: der Unterzeichnung des D-ISIS-Abkommens (“Defeat ISIS”), das vom Weißen Haus als wichtigstes praktisches Ergebnis der Gespräche bezeichnet wurde. Das Abkommen verpflichtet Syrien formell zum Beitritt zur internationalen Koalition gegen die Überreste des Islamischen Staates. Seine Bedeutung reicht jedoch weit über die Terrorismusbekämpfung hinaus, denn das Abkommen erkennt den neuen syrischen Machthaber faktisch als Partner Washingtons im Bereich internationaler Sicherheit an. Für al-Scharaa, einen ehemaligen Kommandeur von Haiʾat Tahrir asch-Scham, der einst selbst als Terrorist eingestuft wurde, markiert es einen entscheidenden Schritt hin zu internationaler Legitimität. Syrische Quellen bezeichnen das Abkommen als eine Art “Steuer”, die al-Scharaa im Austausch für die Lockerung bzw. Aufhebung der US-Sanktionen entrichtet habe.
Die Sanktionsfrage rückte hierbei in den Mittelpunkt der Agenda. Der im Jahr 2019 erlassene Caesar Act war lange Zeit das Haupthindernis für Syriens wirtschaftliche Erholung, da er ausländische Investitionen und internationale Finanztransaktionen blockierte. Seit dem Regimewechsel hat Washington die Sanktionen schrittweise gelockert und begrenzte Transaktionen sowie humanitäre Ausnahmen zugelassen. Die Diskussionen haben sich nun auf die Möglichkeit einer gesetzlichen Aufhebung der Sanktionen verlagert. Dieser Schritt würde allerdings die Zustimmung des Kongresses erfordern.
Es kann also nicht von Zufall die Rede sein, dass al-Scharaa unmittelbar nach dem Treffen im Weißen Haus spätabends noch ein Gespräch mit dem Kongressabgeordneten Brian Mast, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses, führte, dessen Stimme bei der Aufhebung der Sanktionen am Ende entscheidend sein könnte. In Washington wird die schrittweise Lockerung der Sanktionen indes als strategischer Hebel betrachtet. Ihre Aufhebung soll Syriens Belohnung für die Einhaltung der US-Sicherheitsvereinbarungen sowie die Wahrung einer gewissen Distanz zu Teheran und Moskau sein.
Für Syrien selbst sendete der Besuch ein starkes Signal der internen Konsolidierung. Al-Scharaa stärkte seine Position in den Kreisen der syrischen Eliten, indem er seine Verhandlungsfähigkeit gegenüber der Weltmacht unter Beweis stellte und Wege für ausländische Investitionen öffnete. Seine Legitimität im Inland wuchs auch, weil die Reise den Einfluss der SDF schwächte, die als letzte verbliebene große Kraft noch die östlichen Regionen des Landes kontrolliert. Sollten die USA und die Türkei tatsächlich beabsichtigen, die territoriale Kontrolle zugunsten der Zentralregierung neu zu ordnen, riskiert die SDF nicht nur ihre internationale Unterstützung, sondern auch ihre politische Relevanz zu verlieren.
Gleichzeitig werden al-Scharaas Versprechen eines “fünfjährigen Übergangs zu einem pluralistischen System” mit Skepsis aufgenommen. Seine Streitkräfte haben bereits mehrere Operationen gegen Minderheiten, vor allem gegen die Alawiten und Drusen, durchgeführt, die hunderte zivile Opfer gefordert haben und Zweifel an der Aufrichtigkeit seiner demokratischen Rhetorik aufkommen lassen. Für die Vereinigten Staaten stellt dies ein Dilemma dar: Einerseits gewinnt Washington mit al-Scharaa einen effektiven Partner im Kampf gegen den IS und Iran hinzu, andererseits riskiert es, beschuldigt zu werden, ein Regime zu unterstützen, das im eigenen Land weiterhin auf Zwang und Gewalt setzt.
Die regionale Dimension des Besuchs ist nicht weniger bedeutsam. Die Türkei, die al-Scharaa während seines Krieges gegen Assad unterstützt hat, tritt immer mehr als Vermittler zwischen ihm und dem Westen auf. Dies ermöglicht es Ankara, seine strategischen Ziele voranzutreiben, die kurdische Bedrohung an seiner Südgrenze zu neutralisieren und seinen Einfluss im Nachkriegssyrien auszuweiten.
Gleichzeitig haben die Golfmonarchien, insbesondere Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, ihre Bereitschaft signalisiert, in den Wiederaufbau Syriens zu investieren, sollten die US-Sanktionen formell aufgehoben werden. Auch europäische Staaten fangen an, ihre Positionen den neuen Umständen anzupassen, und prüfen Möglichkeiten zur Beteiligung an humanitären und Infrastrukturprojekten unter amerikanischer Aufsicht.
Insgesamt betrachtet läutet der Besuch von al-Scharaa in Washington den Beginn einer neuen Phase der syrischen Diplomatie sowie eine Neuausrichtung der regionalen Allianzen ein, bei der Syrien danach strebt, sich von einem passiven Spielball zwischen den Großmächten und Opfer ihrer Rivalität zu einem aktiven Gestalter seiner eigenen politischen Zukunft zu entwickeln.
Obwohl al-Scharaas Besuch nicht die Art von aufsehenerregenden Wirtschaftsabkommen hervorbrachte, die man typischerweise mit Donald Trumps Stil in Verbindung bringt, so fügt er sich dennoch nahtlos in Washingtons umfassendere Strategie ein, regionale Angelegenheiten an seine Partner auszulagern. Für die Trump-Administration ist die aktuelle Phase der US-Politik im Nahen Osten weniger durch direkte Intervention als vielmehr durch den Aufbau einer Architektur der Interdependenz geprägt, bei der die Türkei und die Golfstaaten die Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung der politischen Stabilität tragen, während sie gleichzeitig an die strategischen Prioritäten der USA gebunden bleiben.
In diesem noch im Entstehen begriffenen System agieren die USA sowohl als Koordinator als auch als Vermittler. Sie versuchen nicht länger, die Syrien-Krise direkt zu lösen, sondern legen die Rahmenbedingungen fest, innerhalb derer regionale Akteure zu agieren haben. In diesem Sinne kann al-Scharaas Besuch als Teil eines größeren amerikanischen Plans gesehen werden. Es wäre somit ein Versuch, die Führungsrolle in der Region mit ihren alltäglich anfallenden Angelegenheiten an Ankara und die Golfmonarchien zu delegieren, während die Finanzströme, das Sanktionsregime und die internationale Legitimation neuer politischer Akteure weiterhin der eigenen Kontrolle obliegen würden.
Für al-Scharaa selbst hatte das Treffen eine noch tiefere Bedeutung. Es war ein Schritt zur Festigung seiner politischen Machtposition und zur Erweiterung seines Handlungsspielraums auf der internationalen Bühne. Der neue syrische Präsident hat bisher stark auf informelle Kanäle gesetzt, insbesondere auf seine “Basketball-Diplomatie”, bei der Sportaustausch und symbolische Gesten dazu dienen, die Offenheit und Modernität der syrischen Führung zu demonstrieren.
Mithilfe solcher Formen von Soft Power versucht al-Scharaa, die Wahrnehmung seiner umstrittenen Vergangenheit abzumildern und sich als pragmatischer Vermittler zwischen rivalisierenden Machtzentren zu präsentieren. Seine Außenpolitik ist darauf ausgerichtet, ein sensibles Gleichgewicht zwischen Moskau und Washington zu wahren, indem er die Beziehungen zu Russland, das im Syrien-Konflikt eine entscheidende Rolle spielte, aufrechterhält, während er gleichzeitig danach strebt, politische Legitimität und wirtschaftlichen Zugang vom Westen zu erhalten.
Obwohl keine offiziellen Stellungnahmen zum Inhalt seines Gesprächs mit Trump und Fidan abgegeben wurden, ist es sehr wahrscheinlich, dass Israels Rolle zu den besprochenen Themen gehörte. In den vergangenen Jahren hat Israel eine Reihe von Präzisionsangriffen gegen syrische Militär- und Infrastrukturziele durchgeführt und dies mit der Notwendigkeit begründet, den Einfluss Irans in der Region einzudämmen. Für die neue syrische Führung stellen diese Operationen eine ernsthafte Bedrohung dar, da sie die innere Stabilität untergraben und die Wahrnehmung verstärken, dass Damaskus weiterhin anfällig für Einmischung von außen ist.
Es ist wahrscheinlich, dass al-Scharaa und Fidan sich von Washington zumindest informelle Zusicherungen erhofft hatten, dass Israel die Intensität seiner Angriffe während des politischen Übergangs in Syrien reduzieren oder idealerweise ganz einstellen würde. Selbst eine ungeschriebene Vereinbarung dieser Art würde der neuen Regierung ein entscheidendes Zeitfenster eröffnen, um die innere Stabilisierung voranzutreiben und die politische Integration der diversen ethnisch-religiösen Gruppen des Landes zu fördern – insbesondere der Drusen, die unter den jüngsten gewalttätigen Auseinandersetzungen schwer zu leiden hatten.
Al-Scharaas Besuch in Washington war somit nicht nur ein Akt diplomatischer Anerkennung, sondern eine Gelegenheit, das neu entstehende Machtgleichgewicht im neuen Syrien zu konsolidieren. Für die USA spiegelt dies eine Strategie der “engagierten Distanzierung” wider: eine Politik, bei der die USA die Spielregeln festlegen, ohne sich dabei direkt zu involvieren. Für al-Scharaa stellt es dagegen den Versuch dar, durch Kontakte zu Trump, Fidan und anderen internationales Engagement als Instrument zur Stärkung seiner Legitimität, zur Förderung der inneren Stabilität und zur Gestaltung einer neuen diplomatischen Identität Syriens innerhalb der regionalen Ordnung zu nutzen.
Dieser Beitrag ist zuerst bei RT auf Englisch erschienen.
Murad Sadygzade ist Präsident des Russischen Zentrums für Nahoststudien und Gastdozent an der Wirtschaftshochschule Moskau.
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