
Von Olga Samofalowa
Die Zentralbank Russlands hat den Zinssatz um 0,5 Prozentpunkte auf 16,5 Prozent gesenkt. Einerseits handelt es sich um die vierte Zinssenkung in Folge, obwohl erwartet wurde, dass die Regulierungsbehörde bis zum Frühjahr nächsten Jahres eine Pause einlegen würde. Andererseits hat die Finanzbehörde ihre Prognose für den durchschnittlichen Leitzins für das Jahr 2026 auf 13 bis 15 Prozent angehoben.
Auch die wirtschaftlichen Erwartungen der Regulierungsbehörde haben sich geändert. Die Bank von Russland hat ihre Inflationsprognose für das Jahr 2026 auf vier bis fünf Prozent angehoben und erwartet nun erst 2027 (ein Jahr später) einen Zielwert von vier Prozent. Darüber hinaus hat die Zentralbank ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum im Jahr 2025 auf 0,5 bis 1 Prozent gesenkt. Grigori Schirnow, Mitarbeiter des Labors für makrostrukturelle Modellierung der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Nationalen Forschungsuniversität Wirtschaftshochschule Moskau, erklärt:
“Die Bank von Russland hat den Zyklus der Senkung des Leitzinses fortgesetzt, da sich die Wirtschaft in einer Abkühlungsphase befindet, der Inflationsdruck moderat ist und der reale Leitzins immer noch auf einem sehr hohen Niveau liegt. Dennoch haben sich die inflationsfördernden Risiken, die mit den sekundären Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung und dem Preisanstieg bei Referenzgütern verbunden sind, kurzfristig verstärkt. Daher wurde der Schritt zur Senkung des Leitzinses reduziert.”
Natalja Miltschakowa, leitende Analystin bei Freedom Finance Global, bezeichnet die Entscheidung der Zentralbank als Kompromiss:
“Die Entscheidung der Zentralbank der Russischen Föderation war ein Kompromiss, der die Interessen einerseits der Unternehmen und Bankkreditnehmer, insbesondere Hypothekarkreditnehmer sowie kleiner und mittlerer Unternehmen, für die niedrige Zinssätze einfach lebenswichtig und hohe Zinssätze ruinös sind, und andererseits der Bevölkerung, der ‘Mittelschicht’ und der einkommensschwachen Bürger, die der Inflation überdrüssig sind, ausgleicht.”
Was die Inflation betrifft, so war es das Ziel der Zentralbank, eine stabile Jahresinflationsrate von vier Prozent zu erreichen. Dieses Ziel sollte ursprünglich bis zum Ende des Jahres 2026 erreicht werden. Bei dieser Sitzung räumte die Regulierungsbehörde jedoch ein, dass dies nicht gelingen werde. Schirkow meint:
“Es ist ein wichtiges Signal, dass die Zentralbank aufgrund einmaliger Faktoren eine Inflationsrate von über vier Prozent bis zum Ende des Jahres 2026 zulässt und nicht versucht, dieses Ziel im nächsten Jahr um jeden Preis zu erreichen. Das ist ein positives Szenario für die Wirtschaft.”
Zu den einmaligen inflationsfördernden Faktoren gehört die Erhöhung der Mehrwertsteuer ab dem 1. Januar 2026, die zum zweiten Mal in sechs Jahren erfolgt. Zweitens weist Miltschakowa auf den Anstieg der Haushaltsausgaben hin, der für das Jahr 2025 erwartet wird und die Inflation im Jahr 2026 ankurbeln könnte.
Zu den Risiken zählt die Zentralbank auch ein schnelleres Wachstum der Kreditvergabe als von der Regulierungsbehörde erwartet. Miltschakowa schließt nicht aus, dass die Zentralbank ihre Prognosen erneut in Richtung eines Inflationsanstiegs korrigieren muss.
Es gibt jedoch auch entgegengesetzte Einschätzungen. Ewgeni Gorjunow, Leiter des Labors für Geld- und Kreditpolitik am Gaidar-Institut für Wirtschaftspolitik, ist überrascht über die Einschätzung der Zentralbank, dass die nachhaltige Inflation erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2026 wieder auf das Zielniveau von vier Prozent zurückkehren wird. Er glaubt, dass dies deutlich früher geschehen werde – bereits im ersten Quartal 2026. Der Experte hebt hervor:
“Derzeit liegen die Inflationsraten bereits im Bereich von vier bis sechs Prozent, und bei der derzeitigen Strenge der Politik sollte die Stabilisierung der Inflation auf dem Zielwert spätestens im ersten Quartal 2026 erfolgen.”
Was jedoch die Änderung der Prognose der Zentralbank zum Wirtschaftswachstum angeht, sind sich die Experten einig. Die Geschäftstätigkeit im Zeitraum Januar bis September hat bereits deutlich gemacht, dass alles darauf hindeutet. Grigori Schirnow erklärt:
“Die Analysten haben bereits vor langer Zeit begonnen, ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr vor dem Hintergrund des hohen Leitzinses und des Personalmangels zu revidieren. Es ist wichtig zu beachten, dass das geringere Wachstum – weniger als ein Prozent im Jahresvergleich – höchstwahrscheinlich auch im nächsten Jahr anhalten wird.”
Einige große Banken haben bereits begonnen, ihre Prognosen für das russische Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach unten zu korrigieren. Natalja Miltschakowa stellt klar:
“Der Hauptgrund für diese Prognosen ist der nach wie vor hohe Leitzins der russischen Zentralbank. Zwar sind 16,5 Prozent nicht 21 Prozent oder 20 Prozent pro Jahr, aber dennoch ist dies ein sehr hoher Wert. Die Sanktionen haben nur einen geringen Einfluss auf die Prognose. Einen stärkeren Einfluss hat der für 2026 erwartete niedrige Ölpreis: Die russische Regierung rechnet mit einem durchschnittlichen Brent-Preis von 59 US-Dollar pro Barrel.”
Ein weiteres wichtiges Signal, das die Zentralbank bei ihrer Sitzung am Freitag gegeben hat, ist die Erklärung der Zentralbankchefin Elwira Nabiullina, dass im Dezember die Beibehaltung des Leitzinses auf dem gleichen Niveau geprüft werden könnte. Miltschakowa betont:
“Die Regulierungsbehörde hat zum ersten Mal offen darüber gesprochen, dass der Abwärtstrend des Leitzinses zumindest vorübergehend zum Stillstand kommen könnte. Dies ist ein Signal dafür, dass es kein Wirtschaftswunder geben und das BIP-Wachstum sehr gering ausfallen wird – zumindest in diesem Jahr, solange die Zinssätze hoch bleiben.”
Die Zentralbank signalisiert den Märkten, dass es noch zu früh sei, sich zu entspannen – eine schnelle und tiefgreifende Senkung des Leitzinses wird zumindest Ende 2025 und Anfang 2026 nicht stattfinden. Für den Aktienmarkt war dies ein Signal zum Verkauf von Aktien, für den Rubel hingegen zu einer Aufwertung, meint die Analystin.
Allerdings dürfte sich der Trend zu sinkenden Zinsen insgesamt kaum ändern, und im Jahr 2026 wird die Zentralbank ihre Senkungen fortsetzen, wobei es zu Pausen kommen kann. Die erste solche Pause erwartet Miltschakowa bereits im Dezember, kurz vor der Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Was Kredite angeht, so haben sie sich trotz der nach wie vor hohen Zinsen belebt. Die Verfügbarkeit von Krediten hänge jedoch nicht nur vom Nominalzinssatz, sondern auch von der Inflationsrate ab, sagt Schirnow. Insgesamt deute die aktuelle Prognose darauf hin, dass die Verfügbarkeit von Krediten in der zweiten Jahreshälfte 2026 deutlich zunehmen wird.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 27. Oktober 2025 auf der Website der Zeitung “Wsgljad” erschienen.
Olga Samofalowa ist Wirtschaftsanalystin bei der Zeitung “Wsgljad”.
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