von Tina Kandelaki
Da denke ich mir: Ich hätte die Möglichkeit, gleich drei Staatsangehörigkeiten auf einmal zu erhalten, diejenigen Georgiens, Armeniens und sogar die Griechenlands. Der Traum eines jeden Emigranten! Ich werde gewiss in allen europäischen Ländern Broterwerb finden – der Traum aller Intellektuellen, die entweder schon zurückgekehrt sind oder vom “europäischen” Arbeitslosengeld leben. Nun, einige der Emigranten haben tatsächlich das Glück, Fördermittel vielfältiger “Institutionen der Demokratie” zu erhalten, aber das ist der Weg des Judas – man nimmt 30 Silberlinge und beendet sein Leben an einem Ast des nächsten Baumes.
Vor fast drei Jahrzehnten hatte ich mich für Russland entschieden. Laut und offen ausgesprochen bedanke ich mich für all die Möglichkeiten, die es mir gegeben hat, und aufrecht durchlebe ich hier alle Prüfungen, die mir im gleichen Maße zufallen, wie uns allen.
Es ist kein Geheimnis (es gibt viele Beispiele in der Geschichte), dass selbst die kleinste Unruhe viele Intellektuelle zu Kosmopoliten macht. Plötzlich fällt ihnen wieder ein, dass an den Grenzen des Landes, das sie zu Multimillionären gemacht hat, die Welt nicht aufhört. Und dann strömen die Künstler, Artisten, Schauspieler, Entertainer nach Tel Aviv, Tiflis, Jerewan oder Riga. Der eine hat sich nach Europa verdrückt und verflucht Putin in Grund und Boden. Ein anderer hat sich in die USA abgesetzt und erzählt von der Gesamtschuld des russischen Volkes. Legt sozusagen Beichte für die 145 Millionen Menschen, die er gerade verraten hat, ab – Hauptsache, er kriegt seinen Rubel. Beziehungsweise: seinen Euro oder Dollar.
Die Liste der Heuchler ist lang. Sie würde selbst ohne Kommentierung nicht in diesen einen Artikel passen. Sehr viele Menschen aber haben gesehen und begriffen, dass sie Europa völlig egal sind. Dass das Stigma des Russischsprachigen dem hinlänglich bekannten Aufnäher im polnischen Ghetto ähnelt. Und Russland nimmt sie, wie der Vater den “Verlorenen Sohn”, alle wieder auf und schützt sie unter seinen Flügeln. Für Mutter Heimat ist eben auch ein Hurensohn – ihr Hurensohn.
Die Heuchelei duldet keine Wahrheit. Sie hält keiner Prüfung stand
Über einige dieser Akteure möchte ich doch ein paar Sätze verlieren. Da schrieb Andrei Makarewitsch (Frontman der Popband Maschina Wremeni) einst Lieder darüber, dass der Held mit seinem Licht andere wärmt – und mag er dabei selber auch verbrennen. Er selbst jedoch schnappte sich seine Taschenlampe, die Klamotten samt seinem Snobismus und “wärmt” nun die auch ohne ihn warmen Küsten fremder Länder. Oder die gescheiterte Präsidentschaftskandidatin Sobtschak – sie verdünnisierte sich augenblicklich.
Führt nun ihre Kanäle auf Telegram und bei Instagram, nachdem sie ihre Wähler und Abonnenten gegen ein süßes Leben unter den neuen jüdischen Verwandten eintauschte. Juri Dud wärmt sich in Barcelona, die herzzerreißenden Tränen anderer Auswanderer und “Flüchtlinge” filmend. Er filmt in russischer Sprache – wohl für diejenigen, die er unlängst fluchtartig verlassen hatte.
Leider werden viele Meinungsführer und Prominente unserer Zeit in den künftigen Geschichtsbüchern, die mit Sicherheit noch geschrieben werden, in den Fußnoten eines Kapitels mit dem folgenden Titel abgehandelt werden: “Personen des öffentlichen Lebens, die zu unbedeutenden Emigranten der Putin-Ära wurden.” Und das ist nichts Neues, ich erinnere mich an Ippolit Matwejewitsch Worobjaninow in “Zwölf Stühle”:
„Monsieur, je ne mange pas six jours. Geben Sie mir bitte ein paar Kopeken für ein Stück Brot. Meine Herren, je ne mange pas … six jours. Meine Herren, reichen Sie etwas fürs Essen, mir, dem ehemaligen Abgeordneten … der ehemaligen Kadettenfraktion … der ehemaligen Staatsduma!”
Übersetzt aus dem Russischen.
Tina Kandelaki ist Medienmanagerin und Fernsehmoderatorin.
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