Von Susan Bonath
Wenn es um Israel geht, darf man in Deutschland vieles: Zum Beispiel Fake News verbreiten, die brutale Besatzung leugnen, Tausende ermordete palästinensische Kinder rechtfertigen, von den USA und Israel verkündete, völkerrechtswidrige Vertreibungspläne und sogar einen mutmaßlichen Völkermord als “Selbstverteidigung” gutheißen. Doch wer in Deutschland über die palästinensische Realität berichten will, bekommt nicht nur medial die obligatorische Antisemitismus-Keule zu spüren. Mit allen Mitteln versucht die Politik, Debatten über Palästina zu verhindern – und greift dafür tief in die Wissenschaftsfreiheit ein.
Einer regelrechten Hexenjagd ist die UN-Sonderberichterstatterin über die völkerrechtswidrig besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, ausgesetzt. Gemeinsam mit der Israellobby setzten Politik und Medien alle unter Druck, die sie in diesen Tagen bei sich auftreten lassen wollen. Zwei Universitäten in München und Berlin reagierten mit Rückziehern, ebenso ein privates Ausweichdomizil in der Hauptstadt. In letzter Minute bot ihr die linke Berliner Zeitung junge Welt ein Ausweichquartier in ihren Privaträumen an – und war umgehend mit dem Polizeistaat konfrontiert.
Gecancelt in München und Berlin
Zunächst tobten die Gesinnungswächter in Bayern. Studenten der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München hatten Albanese für einen Vortrag und eine Diskussion eingeladen. Als das publik wurde, gingen die Medienkampagnen los, von den Springerblättern Bild und Welt über den Tagesspiegel bis hin zu den Öffentlich-Rechtlichen: Albanese werde Antisemitismus vorgeworfen, so jemanden dürfe die Uni nicht einladen. Sachliche Begründungen sucht man vergeblich. Die LMU-Leitung reagierte mit Raumverbot und begründete dies scheinheilig mit “Sicherheitsbedenken” und – als sei so etwas in der Wissenschaft verboten – einem drohenden “Meinungskampf”.
In Berlin ging es jüngst ähnlich zur Sache. Dort hatten Professoren der Freien Universität (FU) zusammen mit dem Studierendenrat – darunter übrigens auch Juden – ebenfalls eine Veranstaltung mit der Palästina-Kennerin, Juristin und UN-Sonderberichterstatterin geplant – zusammen mit Eyal Weizmann, einem jüdisch-israelischen Architekten und Schriftsteller. Sie hatten den Vortrag und die Diskussion gut vorbereitet, in einen professionellen Rahmen gepackt, mit der Leitung abgesprochen. Doch auch die FU knickte ein.
Hetzkampagnen und politischer Druck
Denn es passierte, was inzwischen immer passiert, wenn sich Menschen zu Wort melden, die keine Lobeshymne auf die israelische Regierung singen, die die brutale Besatzung im Westjordanland und den militärischen Vernichtungsfeldzug der israelischen Armee im Gazastreifen kritisieren, weswegen immerhin der Internationale Gerichtshof (IGH) wegen Völkermords ermittelt und der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) nicht nur inzwischen getötete Hamas-Führer, sondern auch den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinen ehemaligen Verteidigungsminister Joaw Gallant per Haftbefehl sucht.
Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, keifte nach Bekanntwerden der Veranstaltung von einem “Trainingscamp für Hamas-Anhänger”, was er auch der Uni-Leitung in einer E-Mail vorgeworfen haben soll. Der Grünen-Politiker und Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, die rechtskonservative Werteinitiative sowie Kampagnen-Schreiber vom Springerverlag bis hin zum Tagesspiegel griffen das umgehend auf. Der Regierende Bürgermeister Berlins, Kai Wegner (CDU) und die Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) setzten die Uni unter Druck.
Öffentliche Vorwürfe des “Antisemitismus” und der “Hamas-Unterstützung”, kolportiert mit einer giftigen Medienkampagne und dann massiver politischer Druck vom Berliner Senat: Dem hielt auch FU-Präsident Günter Ziegler nicht stand und sagte die Veranstaltung mit Albanese und Weizman in Präsenz ab. Er gab ebenso vor, “Sicherheitsbedenken” zu haben. Und er wich aus: Die Professoren und Studenten könnten Vortrag und Diskussion online durchführen. Das wollten sie aber nicht.
Mit Parolen beschmiert: Auch Ersatzdomizil knickt ein
Die Organisatoren fanden zunächst einen neuen Raumgeber: das “Kühlhaus” am Berliner Gleisdreieck. Doch kurz bevor die Veranstaltung am Dienstag mit dem Titel “Den Diskurs zurückerobern: Palästina, Gerechtigkeit und die Macht der Wahrheit” beginnen sollte, kam erneut eine Absage. Offenbar übten Politik, Medien und Lobby auch hier immensen Druck aus. Überdies habe die Polizei versucht, Teilnehmer und Veranstalter bereits im Vorfeld einzuschüchtern, teilte die Partei DiEM25 als Mitorganisatorin mit.
Ein Statement gab das Kühlhaus nicht ab. Auf der Programmseite wurde die Veranstaltung am 19. Februar noch aufgeführt, allerdings mit dem Zusatz “abgesagt”. Wie die taz berichtete , habe die Einrichtung an der Tür des Gebäudes ein Schreiben angebracht, auf dem sie den Rückzieher verkündete: Man könne “aufgrund der angedrohten Eskalation” die Sicherheit nicht gewährleisten. Wer womit gedroht haben soll, ist unklar. Laut taz hatten jedenfalls Unbekannte das Gebäude mit Parolen beschmiert, mit denen Albanese “Antisemitismus” vorgeworfen wurde.
“Haben noch nie solche Schwierigkeiten gehabt”
Die Veranstaltung fand dennoch statt, denn in letzter Minute sprang die linke Berliner Zeitung junge Welt (jW) ein, sie stellte ihre Ladengalerie zur Verfügung. DiEM25 übertrug das Event live auf YouTube.
Deren Geschäftsführer Dietmar Koschmieder zeigte sich entsetzt. Er habe schon viele Repressionen des Staats erlebt, beispielsweise wenn seine Zeitung jedes Jahr Anfang Januar die Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin mit internationalen Gästen veranstaltet.
“Aber wir haben noch nie, noch nie annähernd solche Schwierigkeiten gehabt bei der Durchführung einer Veranstaltung wie für diese hier”, sagte Koschmieder.
Polizei belagert Zeitungsredaktion
Sofort nach der öffentlichen Bekanntgabe des Ortswechsels sei ein großes Polizeiaufgebot aufgetaucht, berichtete er. Beamte hätten verlangt, an einer kurzfristig angesetzten Beratung in der jW-Redaktion mit den Organisatoren teilzunehmen. Und obwohl es sich um Privaträume handelt und die Veranstaltung ohnehin live übertragen wurde, bestand die Polizei darauf, das Geschehen live vor Ort zu bewachen. Dagegen werde man später juristisch vorgehen, so jW-Geschäftsführer Koschmieder.
In einem Artikel berichtet die Zeitung von einer “martialischen Kulisse”, womit das Polizeiaufgebot in den Redaktionsräumen gemeint war. Dies sei ein Angriff auf die Pressefreiheit.
“Freiheit” für die Meinung der Herrschenden
Festzuhalten bleibt: Die politisch Verantwortlichen in Deutschland versuchen mit aller Macht, Diskussionen über die palästinensische Realität zu verhindern. Und das Gros der Leitmedien gibt sich willig für begleitende propagandistische Hetzkampagnen her. Auch eine UN-Sonderberichterstatterin und Völkerrechtlerin wie Albanese ist davor nicht gefeit, von “Journalisten” mit jeder Menge Schmutz beworfen zu werden – was auch Fragen nach ihrer Sicherheit aufwirft. Über die deutsche Unterstützung des mutmaßlichen Völkermords in Palästina zu reden, ist in Deutschland tabu.
Wenn es um heikle politische Themen geht, besteht die viel beschworene Presse- und Lehrfreiheit in Deutschland offensichtlich nur noch darin, die Meinung der Herrschenden zu verbreiten – auch wenn das so nicht im Grundgesetz steht. Das konnte man in der Corona-Zeit sehen, man bekommt es bezüglich des Ukraine-Krieges zu spüren und jetzt bezüglich des völkermörderischen Vorgehens Israels gegen die Palästinenser. So fährt der deutsche Staat seine Geschütze auf, frei nach dem aus Goethes Erlkönig zitierten Motto:
“Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt”.
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