Von Gert Ewen Ungar
Margarita Simonjan ist die Chefin von RT und damit in Russland eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Sie ist regelmäßig zu Gast in Talkshows, moderiert Diskussionen oder ist selbst als Expertin zu Podiumsdiskussionen eingeladen. Sie betreibt zudem einen eigenen Telegram-Kanal, ist Buchautorin und auch noch Ehefrau und Mutter.
Die Frankfurter Rundschau (FR) reduziert Simonjan in einem aktuellen Beitrag jedoch auf den Begriff “Propagandistin”. Das ist im deutschen Journalismus so üblich. Jeder, der vom engen Korridor des vorgegebenen Narrativs abweicht, wird abgewertet, ist “rechts” oder Nazi, betreibt Propaganda, ist ein Agent des Kremls oder einfach nicht ganz richtig im Kopf. Toleranz und Liebe zur Vielfalt gibt es in Deutschland nur auf Gay Prides; gegenüber abweichenden Meinungen gibt es im deutschen Mainstream dagegen Hass und Hetze.
Margarita Simonjan steht wie viele andere russische Journalisten selbstverständlich auf der EU-Sanktionsliste. Die EU sanktioniert Journalisten, die nicht die geo- und gesellschaftspolitische Position der EU teilen, zensiert, schränkt die Meinungsfreiheit ein und behauptet, dies diene dem Schutz der Demokratie. Die EU möchte mit dieser orwellschen Meisterleistung auch noch international als Leuchtturm der Freiheit anerkannt werden. Die FR mischt bei diesem zutiefst reaktionären Irrsinn gerne mit.
Die FR will inmitten des Sommerlochs Nervosität im Kreml ausgemacht haben. Das Blatt beruft sich auf Margarita Simonjan. Das System Putin ist wieder einmal kurz vor dem Ende, behauptet die FR und zitiert als Kronzeugin die Chefredakteurin von RT. Allerdings nicht direkt, sondern über die jemenitische Nachrichtenagentur Saba. Die FR schreibt:
“In ihrer TV-Sendung im russischen Fernsehsender Rossija 1 erklärte Simonjan laut der jemenitischen Nachrichtenagentur Saba, die Ukraine würde versuchen, das politische System Russlands zu destabilisieren, indem sie durch Drohnenattacken innere Unruhen auszulösen versuche.”
Es gibt ein Spiel, das Kinder gerne spielen. Es heißt “Stille Post” und geht so: Das erste Kind flüstert dem zweiten etwas ins Ohr, das zweite das Gehörte dem dritten und so weiter. Das letzte Kind in der Reihe sagt dann laut, was es gehört hat. Und das erste Kind sagt, was es ursprünglich gesagt hat. Dann lachen alle, weil das Erste mit dem Letzten selbstverständlich nichts zu tun hat. So stellt man sich in Frankfurt offenbar Qualitätsjournalismus vor.
Warum sich die FR für ein solch dubioses Verfahren entschieden hat, um über Margarita Simonjan zu berichten, bleibt das Geheimnis der Zeitung. Jedenfalls hat Simonjan keine eigene Fernsehsendung auf Rossija 1 und ihre Aussage habe ich zumindest auf die Schnelle auch nicht gefunden. Simonjan soll gesagt haben, dass der Beschuss von zivilen Flughäfen mit Drohnen durch die Ukraine dem Ziel diene, die russische Gesellschaft gegen Putin aufzubringen und das System zu destabilisieren.
Dass ich den entsprechenden Wortlaut nicht gefunden habe, heißt nicht, dass sie es nicht gesagt haben könnte, denn was die FR als journalistische Aufdeckung verkauft, ist in Russland eine Binsenweisheit. Der Westen versucht, in Russland einen Regimechange zu erzielen. Dazu dienen die Sanktionen, die Russlands Wirtschaft ruinieren sollen; dazu dient der Einsatz von Terror durch die Ukraine, zu dem der Westen schweigt. Dazu dient der Wille der westeuropäischen Länder, den Krieg in die Länge zu ziehen, um die Kosten für Russland zu erhöhen. Putin muss weg, wünscht man sich in Berlin, Brüssel, Paris, Warschau und London. Daraus macht man auch kein Geheimnis.
“Die Ukraine und all die anderen versuchen, eine Revolte in unserem Land anzustacheln”, zitiert die FR Simonjan aus irgendeiner dubiosen Quelle. Ja, das ist so. Dass die FR die möglicherweise authentische Aussage Simonjans mit einem “behauptet” versieht, ist bestenfalls schlechter journalistischer Stil. Russland kämpft um seine Souveränität als Staat. Der Westen führt wieder mal nichts Gutes im Schilde. In Russland weiß man das.
Dabei zählen die Drohnenangriffe auf Flughäfen zur Hauptreisezeit sicherlich noch zu den harmloseren Methoden, mit denen der russische Staat erschüttert werden soll. Von der Ukraine ist man hier ganz anderes gewöhnt: abgefackelte Konzertsäle mit weit über hundert Toten, Anschläge auf Journalisten, Autobomben, Angriffe auf Wohnhäuser und zivile Einrichtungen. Beim Rückzug aus Kursk haben die ukrainischen Soldaten Zivilisten in den Dörfern, aus denen sie sich zurückziehen mussten, einfach erschossen. In den deutschen Nachrichten fand sich dazu nichts. Auch Auslassung ist eine Methode der Propaganda, der sich deutsche Medien sehr gern bedienen. Und die FR lässt besonders viel aus.
Jedenfalls haben all der ukrainische Terror und die westliche Bösartigkeit und Niedertracht bisher nicht zu einem Regimechange oder auch nur einem Rückgang der Popularitätswerte Putins geführt. Im Gegenteil. Im vergangenen Jahr wurde er mit einer Zustimmung von 87 Prozent im Amt bestätigt. Von einem “Wanken des Regimes”, einem baldigen Ende des “Systems Putin” ist hier überhaupt nichts zu spüren. Es gibt nicht einmal den sanften Hauch einer Wechselstimmung.
Wenn die FR schreibt, “Simonjans Warnung vor politischen Unruhen in Russland durch ukrainische Attacken offenbart, dass man innerhalb des Kreml durchaus nervös ist, dass der Missmut in Russland wegen des Ukraine-Kriegs anwachsen und Putins Regime gefährden könnte”, dann ist das reines Wunschdenken der deutschen Propaganda.
Ob Simonjan wirklich gewarnt hat, ist ohnehin fraglich. Noch fraglicher ist, ob jemand im Kreml nervös ist. Die russische Wirtschaft wächst, die Löhne steigen, im Ukraine-Krieg spielt die Zeit Russland in die Hände. Das tägliche Bahn-Chaos in Deutschland trägt wohl deutlich mehr zu einem Regimechange in Berlin bei als die Verspätungen von Flügen wegen ukrainischer Drohnenangriffe zur Hauptreisezeit zu einem Machtwechsel in Moskau.
Die deutschen Gazetten sagen den Sturz Putins übrigens seit rund zwanzig Jahren vorher. Meistens im Sommer, weil es dann einfach einen Mangel an echten Themen gibt. Dass dabei Margarita Simonjan als Gewährsfrau für den publizierten Unsinn herhalten muss, ist allerdings neu.
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