Von Wladislaw Sankin
In den 1930er Jahren leisteten die beiden Grafiker und KPD-Mitglieder Hans und Lea Grundig künstlerischen Widerstand gegen das Hitler-Regime. Danach war Hans interniert, Lea rettete sich ins Exil, nach einem kurzen Scheineinsatz bei einer Freiwilligen-SS-Einheit am Ende des Krieges lief der Antifaschist zur Roten Armee über. Nach dem Krieg kehrte Lea aus Palästina zurück, und die beiden wurden Teil der DDR-Kunstszene. Sie hatten ein bewegtes Leben und hinterließen beeindruckende Zeichnungen zum Thema Faschismus, Krieg und Zerstörung. Doch ihr Name ist in der heutigen Bundesrepublik wenig bekannt. Zumindest war das bis Anfang dieser Woche so.
Es wurde bekannt, dass die brandenburgische BSW-Landtagsfraktion im Foyer ihrer Räume im Potsdamer Landtag eine Ausstellung von Hans und Lea Grundig eröffnen möchte. Es war ihr geglückt, die Kunstsammlerin und Leihgeberin Maria Heiner zur Mitarbeit zu gewinnen, denn sie verwaltet den Nachlass der Zeichner. Alles unbedenklich, bis auf ein Aber: Unter den eingeladenen Gästen sollte auch der russische Botschafter Sergei Jurjewitsch Netschajew sein. Eine Empörungswelle kam durch die Medien mit einem einzigen Tenor: Wer wagt es, den “Baerbock-Erlass”, mit dem die Ausgrenzung der russischen und weißrussischen Diplomaten angeordnet wurde, zu missachten?! RT DE berichtete.
Die BSW-Fraktion ließ sich von all dem nicht beeindrucken, und die Ausstellungs-Eröffnung fand wie geplant feierlich und unter der Teilnahme des russischen Botschafters und eines Vertreters der weißrussischen Botschaft statt. Und mit einem großen Zulauf des Publikums. Die 120 vorgesehenen Plätze waren ausgebucht, sodass nicht wenige die zwei Stunden des Programms im Stehen verbringen mussten. Ohne Medienberichte wären nach ND-Angaben nicht mehr als 70 Gäste gekommen.
Noch hat Herr Netschajew den Raum nicht betreten, doch die Anzahl der Menschen mit Mikrofonen und Kameras in der Hand ließ einen viel eher vermuten, dass hier im Potsdamer Landtag ein internationales Gipfel-Treffen stattfinden würde und nicht eine Ausstellungs-Eröffnung. Als er auftauchte, wurde der Botschafter schnell umringt und mit Fragen attackiert, wie etwa “Warum feuert Russland Raketen auf die Ukraine?” oder “Sehen Sie sich isoliert?”.
Herr Netschajew ließ sich nicht aus der Fassung bringen und teilte mit, dass Russland noch keine substanzielle Antwort von der ukrainischen Seite auf seine Verhandlungsvorschläge bekommen habe. Er wies auf Informationsangebote seiner Vertretung zur Erklärung der diplomatischen Positionen Russlands hin und betonte, dass er nicht Teil des Eröffnungs-Programms sei. Auf die Frage “Fühlen Sie sich aus der Politik ausgeschlossen? Hier wurde auch gesagt, dass es ein Tabubruch sei, dass Sie [zur Ausstellung] eingeladen wurden”, sagte er:
“Ich bin keineswegs isoliert. Im Gegenteil, ich fühle mich sehr oft wie zu Hause”.
Medien-Rummel um 🇷🇺 Botschafter Netschajew beim BSW-Event im Landtag #Potsdam machte ihn zum Star des Abends. Antifaschistische Künstler Hans und Lea Grundig. Der Diplomat lobt im Exlusiv-Interview freundlichen Empfang durch Gastgeber, #BSW-Fraktion in #Brandenburg. #DDR#Дружбаpic.twitter.com/E99X9KOeGJ
— Wlad Sankin (@wladsan) October 8, 2025
“Lassen Sie jetzt Kunst sprechen”, sagte schließlich der Botschafter und beendete die Fragerunde nach ca. fünf Minuten Spontan-Konferenz. Während ein Teil der Korrespondenten kein Interesse an der nachfolgenden Veranstaltung zeigte und ging, blieb ein anderer Teil sitzen, um später über die gesammelten Eindrücke zu berichten. In der Folge tauchte eine Menge weiterer Artikel in den Leitmedien auf, die diesmal ihre Verwunderung zum Ausdruck brachten, etwa darüber, dass die Versammelten so laut applaudierten, als der Botschafter dem Publikum vom Moderator des Treffens vorgestellt wurde.
Applaus für den 🇷🇺 Botschafter bei der #BSW-Fraktion in Brandenburg. Kein Platz zum Sitzen, da ausgebucht. Daniela Dahn erinnert an Forderungen Russlands Ende 2021 Gespräche über #NATO-Erweiterung aufzunehmen. So hätte der Krieg vermieden werden können. DDR-Künstlerpaar Grundig. pic.twitter.com/AB6doYgtSw
— Wlad Sankin (@wladsan) October 9, 2025
Mit kritischen Anmerkungen der eingeladenen Podiumsgäste (Wie etwa von der Schriftstellerin Daniela Dahn, der Krieg wäre womöglich gar nicht ausgebrochen, hätte der Westen Putins Gesprächsangebot an die NATO und die USA Ende 2021 nicht abgelehnt) und mit der ausgesprochen freundlichen Atmosphäre des Abends konnten sie sich nicht anfreunden und wussten sich beim obligatorischen Verriss der Veranstaltung nur mit manch einer Geschmacklosigkeit zu helfen. So musste sich laut NZZ der Botschafter nach dem Ende des musikalischen Programms “mit seinem Tross durch die engen Räume der Ausstellung quetschen”.
Die Feindseligkeit der deutschen Presse nimmt der Botschafter Netschajew gelassen. Das Problem bestehe darin, dass die deutsche Öffentlichkeit nicht sehr gut über unsere Prioritäten informiert sei, antwortete er auf meine Frage. “Leider bleiben diese Informationen der deutschen Öffentlichkeit vorenthalten”, stellte er fest. “Aber dafür gibt es eine Nachfrage. Und das sehen wir.”
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