Von Dmitri Skworzow
Am 9. April 1865 – also vor 160 Jahren – wurde der Amerikanische Bürgerkrieg mit der Kapitulation von General Lees Armee de facto beendet. Man kann natürlich davon ausgehen, dass er am 10. Mai endete, als der Präsident der Konföderation, Jefferson Davis, verhaftet wurde. Dieses Datum könnte auch auf den 23. Juni verschoben werden, als sich die letzten Einheiten der Indianer von General Stand Watie ergaben. Aber erst die Kapitulation der Hauptarmee des Südens setzte diesem für die Südstaaten von Anfang an aussichtslosen Kampf ein Ende: In diesem Konflikt hatten die USA in vier Jahren mehr Opfer zu beklagen als in jedem anderen Krieg, einschließlich des Zweiten Weltkriegs (über 612.000 Tote, 410.000 Vermisste, 412.000 Verwundete).
Der Bürgerkrieg als Manifestation des Klassenkampfes
Unsere Vorstellung von diesem Krieg beruht weitgehend auf einem sowjetischen Ansatz, der sich an der Darstellungsweise von Marx und Engels orientiert. Sie stellten den Amerikanischen Bürgerkrieg als einen Kampf zwischen Vertretern eines progressiveren kapitalistischen Systems und reaktionären Anhängern eines auf der Ausbeutung von Sklavenarbeit basierenden, veralteten Systems der Agrarwirtschaft dar. Sie sahen in der Arbeiterklasse und den Vertretern der europäischen revolutionären Bewegung die Hauptantriebskraft für den siegreichen Krieg gegen die Sklaverei.
Dies traf weitgehend zu: So reisten zahlreiche Akteure der europäischen Revolutionen von 1848 bis 1849 in die USA, um dort im Bürgerkrieg zu kämpfen. Abraham Lincoln lud nach Ausbruch des Bürgerkriegs sogar Giuseppe Garibaldi ein, die Armee des Nordens anzuführen. Doch der Italiener verwies darauf, dass die Einigung Italiens noch nicht vollständig vollzogen sei, versprach aber, dass er nach der Erfüllung seiner Mission in der Heimat – vorausgesetzt, der Amerikanische Bürgerkrieg sei noch nicht zu Ende –, bereit sein würde, sich für die gerechte Sache der Nordstaatler einzusetzen.
Der Krieg zur Befreiung von Sklaven
Im Westen herrscht die weitverbreitete Auffassung, dass das Hauptziel der Nordstaatler im Amerikanischen Bürgerkrieg die Abschaffung der Sklaverei war. Betrachtet man das Endergebnis, so wurde die Sklaverei nach dem Ende des Bürgerkriegs tatsächlich abgeschafft. Doch zu Kriegsbeginn wurde kein solches Ziel gesetzt. So zeigte sich Abraham Lincoln in seinem Wahlprogramm bezüglich des Themas der Sklaverei sehr zurückhaltend. Nach der Machtübernahme achtete er darauf, auch nach dem Kriegsausbruch mit dem Süden keine voreiligen Schritte zu unternehmen, um die in der Union verbliebenen und nicht der Konföderation beigetretenen Sklavenhalterstaaten nicht zu verärgern.
Es dauerte mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Kriegshandlungen, bis am 17. Juli ein Gesetz zum Einzug des Eigentums der an diesem Aufstand Beteiligten erlassen wurde. Da auch die Sklaven als Eigentum betrachtet wurden, stellte sich die Frage nach ihrem Schicksal. Aus diesem Grund unterzeichnete Lincoln am 22. September 1862 einen Erlass, der alle Sklaven in allen US-Staaten, die bis zum 1. Januar 1863 nicht in die Union zurückgekehrt waren, für frei erklärte. Und am 1. Januar 1863 unterzeichnete er einen zweiten Erlass, in dem die zehn Staaten aufgelistet waren, in denen die Sklaverei abgeschafft werden sollte. Die Befreiung der Sklaven diente also als Maßnahme zur Bekämpfung der feindlichen Wirtschaft. Außerdem wurde die Menschenbasis zur Versorgung der Armee vergrößert: In die Armee wurden nun auch freigelassene Sklaven aufgenommen.
Erst ganz am Kriegsende, am 31. Januar 1865, verabschiedete der Kongress den 13. Zusatzartikel zur US-Verfassung, der die Sklaverei und die Zwangsarbeit – außer für Straftäter – im gesamten US-Hoheitsgebiet abschaffte. Dieser Zusatzartikel trat am 18. Dezember 1865 in Kraft, nachdem er von 27 Staaten ratifiziert worden war. Kurioserweise ratifizierte Kentucky den 13. Zusatzartikel erst 1975. Missouri ratifizierte ihn zwar, aber aufgrund von Unachtsamkeiten in der Dokumentationsbearbeitung wurde diese Ratifizierung erst am 7. Februar 2013 rechtskräftig.
Parallelen zur heutigen Zeit
Es lassen sich einige Parallelen zwischen den Ereignissen von vor 160 Jahren und der heutigen Realität in Amerika ziehen. Die USA sind intellektuell und kulturell immer noch in zwei gegensätzliche Gesellschaftsschichten gespalten, die diametral entgegengesetzte Ansichten über die Vergangenheit und die Zukunft des Landes haben. Die aristokratische Landbesitzergesellschaft des Südens stand im Konflikt mit der puritanischen, aber materiell orientierten Gesellschaft des Nordens. Heute bilden die christlichen Traditionalisten einen wichtigen Kern von Trumps Wählerschaft. Die US-Demokraten hingegen setzen sich für die Ablehnung “überholter Dogmen”, geschlechtliche Vielfalt und einen Multikulturalismus ein, der nicht mit den religiösen Geboten übereinstimmt.
So wie die prodemokratische Presse zu Beginn des Amerikanischen Bürgerkriegs die Handlungen Lincolns kritisierte und dem Präsidenten die Verfassungswidrigkeit seines Handelns vorwarf (manchmal nicht ohne Grund), so kritisiert die prodemokratische Presse des heutigen Amerikas Trump und bezeichnet auch sein Handeln als verfassungswidrig.
Lincolns Machtübernahme erfolgte nach einer langen Periode der Dominanz von Vertretern der Demokratischen Partei im politischen Leben der USA. Heute – trotz des formellen Machtwechsels zwischen Vertretern der Republikanischen und der Demokratischen Partei im Weißen Haus – kontrollieren die US-Demokraten weitgehend die außen- und innenpolitische Agenda und ideologisieren die amerikanische Außenpolitik und das innerstaatliche öffentliche Leben.
So wie Lincoln nach den militärischen Misserfolgen in den ersten anderthalb Jahren des Bürgerkriegs den Kommando- und Offizierskader der Bundesarmee von Südstaatensympathisanten säubern musste und aus denselben Gründen Beamte in den Bundesbehörden austauschte, muss auch Trump Personalsäuberungen vornehmen (man denke nur an die jüngsten Entlassungen an der Spitze der National Security Agency).
In manchen Fällen lassen sich die Ereignisse der Vergangenheit widerspiegeln. So setzen heutzutage die US-Demokraten auf nationale Minderheiten und den unbegrenzten Zustrom von Migranten in die USA. Im 19. Jahrhundert unterstützten die Republikaner die Einwanderung aus Europa (die dem Norden einen Zustrom von Arbeitskräften bescherte), während einige Demokraten über die Folgen dieser Migration besorgt waren, denn diese verstärkte den demografischen Vorteil der Nordstaaten gegenüber den Südstaaten.
Der wirtschaftliche Hintergrund des Bürgerkriegs
In wirtschaftlicher Hinsicht bestand die Spaltung zwischen Demokraten und Republikanern damals wie heute in der Frage der Beziehungen der USA zur übrigen Welt. Die Demokraten traten für eine Liberalisierung des Außenhandels ein, während die Republikaner, wie auch heute, darauf bestanden, hohe – protektionistische – Importzölle zu erheben, um die Voraussetzungen für die Entwicklung der eigenen Industrie zu schaffen.
Schließlich gibt es Parallelen in der Außenpolitik. Sowohl im 19. Jahrhundert als auch heute gibt es in Europa starke Tendenzen, die alte Ordnung beizubehalten. Damals lag das europäische Interesse in der kontinuierlichen Versorgung mit billiger amerikanischer Baumwolle. Zu Beginn des Amerikanischen Bürgerkriegs machten Baumwolllieferungen aus den USA 72 Prozent der Baumwollimporte nach Großbritannien, 90 Prozent der Importe nach Frankreich und 92 Prozent der Importe nach Russland aus.
Gleichzeitig hätten Frankreich, Spanien und die deutschen Länder mit einer Teilung der USA in Nord und Süd (unter Beibehaltung der Baumwolllieferungen aus dem Süden) zufrieden sein können. Dies hätte die Monroe-Doktrin aufgehoben und die Voraussetzungen für die Rückkehr der europäischen Großmächte auf den amerikanischen Kontinent geschaffen (im Dezember 1861 – also nach Beginn des Amerikanischen Bürgerkriegs – begann die anglo-französisch-spanische Intervention in Mexiko, die jedoch 1867 völlig scheiterte).
In Großbritannien erwies sich die Situation als noch komplizierter. Damals waren nicht die USA die systemrelevante Weltwirtschaft mit dominierender Stellung, sondern Großbritannien. Und dort gab es verschiedene Kräfte, die ihre eigenen Interessen verfolgten und versuchten, die Staatspolitik zuweilen in entgegengesetzte Richtungen zu beeinflussen.
Die seit Mitte des 18. Jahrhunderts weltweit dominierende britische Textilindustrie wurde ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit der wachsenden Konkurrenz der europäischen Länder konfrontiert. Und ihre Vertreter hatten ein Interesse daran, die Versorgung mit billiger Baumwolle aus dem amerikanischen Süden aufrechtzuerhalten. Für sie war es nicht wichtig, ob dieses Land die Bezeichnung USA oder CSA tragen würde.
Zu dieser Zeit tendierte das Finanzkapital in Großbritannien jedoch zu einer Stärkung, was wiederum Exportmärkte erforderte. Der Kapitalexport ist aber dort sinnvoll, wo sich die eigene Industrie entwickelt. Deshalb unterstützte England 1848–1849 die Bürgerrevolutionen in Europa (wenn es sie nicht sogar anzettelte), um in die wachsende Industrie zu investieren, die nun von den Fesseln der absolutistischen Klassenmonarchien befreit wurde.
In den Vereinigten Staaten kam die Krise von 1847, die den europäischen Revolutionen vorausging, nicht vollständig zum Tragen. Sie wurde durch die Entdeckung von Gold in Kalifornien im Januar 1848 abgewendet. In der Ära des Goldstandards (oder Bimetallstandards) war die Entdeckung von Goldvorkommen gleichbedeutend mit einer monetären Emission in die Wirtschaft, und die USA nutzten diese Ressource in vollem Umfang.
Doch die Weltkrise von 1857 verschonte auch Amerika nicht. Dem britischen Finanzkapital, das diese Krise zum Aufkauf von Industriegütern für billiges Geld nicht nur in Großbritannien und den europäischen Ländern, sondern auch in den USA ausnutzte, ging es nun darum, seine Kapitalisierung zu erhöhen. Und wenn das die Blockade der US-Märkte zur Folge haben sollte, dann sei es eben so. Die Interessen der britischen Industriellen, die genau das Gegenteil wollten, waren ihnen gleichgültig – genauso wie den heutigen globalen Finanzkonglomeraten die Probleme der amerikanischen Industrie völlig egal sind.
Nach dem Sepoyaufstand im Jahr 1857 und der Neuorganisation des Regierungssystems wurde in Britisch-Indien ab 1858 ein Programm zur Umstrukturierung der Landwirtschaft eingeleitet: Es ging um die Förderung des Baumwollanbaus, die Einrichtung von Bewässerungssystemen und den Bau von Eisenbahnen zum Transport der Baumwolle in die Hafenstädte. Und damit dieses System funktionierte, musste Großbritannien den Markt zumindest vorübergehend von der billigen amerikanischen Baumwolle freimachen. Aus diesem Grund profitierte London in erster Linie nicht von den protektionistischen Zöllen Lincolns, sondern von der Blockade des Südens im Rahmen des Amerikanischen Bürgerkriegs und der Unterbrechung der Baumwolllieferungen nach Europa (genauso verhielt es sich mit den Nord-Streams und den amerikanischen Schiefergaslieferungen).
Russland ist nicht Amerikas Feind
Traditionell bevorzugte Russland in seiner damaligen Politik den Status quo auf staatlicher Ebene und betrachtete die amerikanischen Konföderierten als Separatisten. Russland hatte auch Probleme mit polnischen Separatisten (die sich in der Vergangenheit oft als Konföderierte bezeichnet hatten), deren erneuter Aufstand mit Unterstützung von Großbritannien und Frankreich im Januar 1863 ausbrach. Die am 19. Februar 1861 in Russland proklamierte Bauernbefreiung machte es für Russland zudem automatisch problematisch, die für die Aufrechterhaltung der Sklaverei plädierende Konföderation zu unterstützen.
Im Gegensatz zu den europäischen Staaten unterstützte Russland ausdrücklich Lincolns föderale Regierung, da es in der Erhaltung der Einheit der USA – so Kanzler Gortschakow – “ein wesentliches Element des allgemeinen politischen Gleichgewichts” sah. Nach dem Krimkrieg setzte sich Russland dafür ein, die von den damaligen globalen Eliten in London und Paris auferlegte Ordnung in Europa zu durchbrechen. Und unter den heutigen Bedingungen ist Russland, zumindest für den Zeitraum, in dem das überholte Wirtschaftsmodell der Globalisierung durchbrochen wird, ein objektiv echter Pfeiler bei der Neuformierung der Welt – es sei denn, Trump zerstört diesen Pfeiler zugunsten der antirussischen Stereotypen der USA.
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Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 9. April 2025 zuerst auf der Homepage der Zeitung Wsgljad erschienen.