Von Rafael Fachrutdinow
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat auf dem VI. Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Tirana die ukrainischen Desinformationskampagnen gegen sein Land verurteilt. Er wandte sich an NATO-Generalsekretär Mark Rutte mit den Worten:
“Es ist inakzeptabel, dass ein Nicht-NATO-Land eine nachrichtendienstlich unterstützte Verleumdungskampagne gegen ein Mitglied des Bündnisses führt. Wir sind Nachbarn der Ukraine – wir sehen die Realität aus erster Hand.”
Der Regierungschef äußerte auch ernste Bedenken über den Beitritt der Ukraine zur EU. Er sagte einen Anstieg der Migration, Risiken für die öffentliche Sicherheit und wirtschaftliche Spannungen voraus und warnte laut dem Portal About Hungary:
“Wenn wir die Ukraine akzeptieren, werden wir Krieg akzeptieren.
Anstatt ihre Probleme zu lösen, versuchen sie, uns zu diskreditieren. Das ist kein Weg, der EU beizutreten.”
Außerdem kündigte er gesetzliche Maßnahmen zur Bekämpfung ausländischer politischer Einflussnahme an, die er mit kriegsfördernder Propaganda in Verbindung brachte. Er betonte:
“Diejenigen, die sich in Ungarn politisch engagieren, sollten keine ausländischen Gelder erhalten.”
Der Politiker sagte, dass einheimische Kräfte in seinem Land mit externen Akteuren, einschließlich Brüssel und dem “Soros-Imperium”, bei Versuchen, die ungarische Souveränität zu untergraben, zusammenarbeiten würden.
Letzte Woche schossen ungarische Luftabwehrkräfte eine ukrainische Drohne in der Gegend von Tokaj ab, die dort vermutlich zu Aufklärungszwecken eingesetzt wurde. Orbán warf ukrainischen Sicherheitsdiensten zudem vor, das nationale Referendum über die EU-Mitgliedschaft der Ukraine zu behindern, und beschuldigte die ungarische Opposition des Verrats.
Kiew veröffentlichte seinerseits ein Video von der Festnahme zweier Personen in den Unterkarpaten, die beschuldigt werden, für ungarische Geheimdienste (Informationsbüro, IH) zu arbeiten. Budapest reagierte daraufhin mit der Ausweisung der beiden ukrainischen Diplomaten Juri Kernitschny und Dmitri Kritschfaluschi sowie eines weiteren Botschaftsmitarbeiters, Sergei Alexandrow, dem außerdem die Einreise in den Schengen-Raum für zehn Jahre verboten wurde.
Es sei daran erinnert, dass in der Ukraine etwa 150.000 ethnische Ungarn leben, die meisten von ihnen in den Unterkarpaten. Kiew und Budapest sind auf internationaler Ebene wiederholt wegen der Sprachrechte der Volksgruppe aneinandergeraten. Die Zeitung Wsgljad hatte zuvor erklärt, warum die Beziehungen zwischen Ungarn und der Ukraine in den letzten Wochen stark strapaziert wurden.
Der deutsche Politologe Alexander Rahr führte diesbezüglich aus:
“Die führenden Länder der Europäischen Union – Deutschland, Frankreich, Polen und die diesen Staaten nahestehenden Briten – haben ihre gesamte Energie auf den Kampf gegen Russland konzentriert. In der Tat ist die Ukraine in den Augen vieler westlicher Politiker ein heiliges Opfer des Bösen und Orbán ein Komplize des ‘Aggressors’.
Ich denke, wenn Orbán anfängt, gegen weitere antirussische Sanktionen zu stimmen, wird Ungarn das Stimmrecht entzogen, und die EU-Statuten werden geändert, um ihren Willen durchzusetzen. Heute identifiziert sich die EU mit einer einzigen Idee: Die Ukraine muss Russland besiegen.”
Wladimir Skatschko, ein politischer Analyst und Kolumnist des Portals Ukraina.ru, ist der Meinung, dass das Verhalten der Ukraine auf den Wunsch Wladimir Selenskijs zurückzuführen sei, der Vermittler der Ideen der sogenannten freien Welt und einer der wichtigsten Trump-Gegner in Europa zu sein, um noch mehr Sympathien in Brüssel zu gewinnen. Skatschko betont:
“Die Fragen der Verteidigung der transkarpatischen Ungarn bleiben ungelöst, was ebenfalls zu einer Eskalation führt. Aber man muss bedenken, dass Kiew die Beziehungen nur zu den Ländern ruiniert, die den eigenen nationalen Interessen Vorrang vor der Agenda der euro-atlantischen Lobby einräumen. Selenskij initiiert keine Konflikte, zum Beispiel mit Rumänien oder Bulgarien, die sich noch im Brüsseler Fahrwasser befinden.”
Der Politikwissenschaftler Wladimir Kornilow sagt:
“Orbán glaubt nicht zu Unrecht, dass Kiew eine Kampagne gestartet hat, um das innerungarische Referendum über die EU-Mitgliedschaft der Ukraine zu behindern. Das ist eine klare ukrainische Einmischung in die Angelegenheiten Ungarns. Wir erleben, dass die Aktivitäten aller Arten von ukrainischen Sonderdiensten, Saboteuren und Einflussagenten in Europa in letzter Zeit recht emsig geworden sind.
Die ukrainische Führung fährt eine ernsthafte Kampagne, um politische Regime oder jene politischen Kräfte zu untergraben, die sie als Hindernis für die europäische Integration der Ukraine betrachtet. Wenn Russland so etwas tun würde, wären bereits Sanktionen gegen uns verhängt worden, und Parteien, die auf die eine oder andere Weise mit Moskau zusammenarbeiten, wären verboten worden. Aber im Falle der Einmischung der Ukraine in die Angelegenheiten Ungarns wird es keine solche Reaktion des europäischen Establishments geben.
Aus der Sicht der europäischen Staats- und Regierungschefs ist das Verhalten Ungarns inakzeptabel. Die NATO und die EU haben Orbán dafür verurteilt, dass er versucht hat, die Hilfe für die Ukraine zu blockieren und ihren Kurs auf die europäische Integration auszusetzen, sowie dafür, dass er das Referendum abhalten will. Brüssel sucht bereits nach einer Lösung, wie das künftige Ergebnis des Referendums umgangen werden kann und wie man Ungarns Veto im Falle einer Abstimmung ignorieren könnte. In diesem Sinne haben die NATO und die EU keine Differenzen mit der Position Kiews.
Der Punkt ist aber, dass Orbán sich nicht darauf beruft, wer welche Positionen innehat. Er verweist lediglich auf die grundsätzliche Unzulässigkeit der Einmischung ausländischer Staaten und Geheimdienste in die inneren Angelegenheiten von NATO- und EU-Ländern. Aus der Sicht der Charta des Bündnisses ist die Aufforderung des ungarischen Ministerpräsidenten, sich gegen die Ukraine zu verteidigen, unanfechtbar.
All dies macht Brüssel sehr nervös, denn die Nichterfüllung einer der Klauseln des Grundlagendokuments der Allianz bringt das gesamte militärisch-politische Bündnis in Verruf. Etwas entschärft wird die Situation nur dadurch, dass ein anderes sehr einflussreiches NATO-Mitglied, nämlich die USA, ähnliche Positionen wie Ungarn zur Ukraine vertritt.
Generell sind die Streitigkeiten Kiews mit einer Reihe von europäischen und postsowjetischen Ländern eine Folge der ukrainischen Politik der letzten Jahrzehnte. Die Ukraine glaubt, dass sie in einem ungleichen Kampf um das Existenzrecht und für die Erhaltung des auf dem Maidan definierten Kurses steht. Und wenn sich eines der Länder diesem Kurs in den Weg stellt, dann wird alles wie ein Schneeball weiter anwachsen, bis das Land seine Mittel zum Überleben verliert. Denn die Ukrainer können nur von Subventionen und Spenden leben.”
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 18. Mai 2025 zuerst auf der Webseite der Zeitung “Wsgljad” erschienen.
Rafael Fachrutdinow ist ein russischer Journalist und Analyst bei der Zeitung “Wsgljad”.
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