Von Igor Karaulow
Am Mittwoch waren es genau 40 Jahre, dass der Filmemacher Andrei Tarkowski am 10. Juli 1984 auf einer Pressekonferenz in Mailand verkündete, dass er für immer im Westen bleiben werde. Damit wurde er zum letzten nennenswerten “Nicht-Rückkehrer” der sowjetischen Kulturelite.
Es ist eine tragikomische Geschichte. Komisch, weil Tarkowski kein ideologischer Gegner des Sowjetregimes war und sich gar nicht für Politik interessierte. Auch deshalb, weil er sich zum Zeitpunkt seiner Pressekonferenz bereits seit zwei Jahren offiziell in Italien aufhielt, angeblich auf einer “kreativen Geschäftsreise”. Er war ohnehin stets ein “Reisekader”, für den die sowjetische Grenze stets in beide Richtungen offen blieb.
Die Komik dieser Geschichte liegt auch darin, dass Perestroika und Glasnost bereits an die Tür klopften: Die Generalsekretäre segneten bereits einer nach dem anderen das Zeitliche, die Luft im Heimatland war erfüllt von einer Vorahnung des Wandels.
Außerdem nahmen die sowjetischen Behörden den “Verrat” des Regisseurs selbst nicht ganz ernst und entzogen ihm nicht die Staatsbürgerschaft (im Gegensatz zu Juri Ljubimow, der an der gleichen Pressekonferenz teilgenommen hatte und am nächsten Tag kein Sowjetbürger mehr war). Auch das Verbot, die Filme des Meisters zu zeigen – eine übliche Maßnahme in solchen Fällen – dauerte nicht lange, nämlich eineinhalb Jahre.
Das Tragische an der Geschichte ist, dass Tarkowski nicht bekam, was er sich von seinem Schritt erhoffte. Als er sich von seinem Heimatland lossagte, wollte er zwei Dinge: kreative Freiheit und mehr Geld. Das ist verständlich, denn in der UdSSR musste er kämpfen, um seine Projekte durch die staatliche Filmaufsicht Goskino zu bringen, während er in Europa als der fortschrittlichste russische Regisseur von den Filmkritikern gelobt wurde, Ingmar Bergman bewunderte ihn und Tonino Guerra war mit ihm befreundet.
Doch weder in materieller noch in kreativer Hinsicht erfüllten sich Tarkowskis Hoffnungen. Das europäische Publikum brauchte seine Filme noch weniger als das einheimische, sein regiebezogenes “Ich sehe es so” wurde von den Produzenten missachtet und die Tantiemen für den Autor des nichtkommerziellen Films wurden beschnitten.
Statt eines wohlhabenden Lebens in einer Wohnung mit Blick auf den Eiffelturm hatte Tarkowski mit einer tödlichen Krankheit zu kämpfen – Lungenkrebs. Man kann nicht einmal sagen, ob die Krankheit ihn aus Angst vor dem Bruch mit seiner Heimat heimsuchte oder ob die Entscheidung, nicht zurückkehren zu wollen, im Gegenteil bereits unter dem Einfluss der sich entwickelnden, aber noch unentdeckten Krankheit getroffen wurde.
Aber war das Leben des Regisseurs im Land der Sowjets so schlecht? Ja, er beklagte sich, dass er nicht arbeiten durfte, dass er in der UdSSR nur fünf Filme drehen konnte. Ist das so wenig? Alow und Naumow beispielsweise haben im gleichen Zeitraum ebenfalls fünf Filme gedreht, darunter den Superhit “Teheran 43”. Eldar Rjasanow hingegen hat zehn Filme gedreht, allerdings im Genre der “Lieblingsfilme fürs Volk”.
Es ist schon erstaunlich, dass der Staat, der glaubte, dass die Kunst dem Volk gehört, Geld für solche “Tarkowschtschina”, für ein “Kino, das nicht jedermanns Sache ist”, ausgab. Der Staat erkannte aber die Einzigartigkeit von Tarkowskis Talent und verstand, dass Filme auch für solches Publikum gemacht werden sollten. Und es galt, auch im Ausland zu zeigen, dass wir nicht nur Filme über Melkerinnen machen können.
Und die Budgets der Meister wurden nicht angetastet. So kostete Tarkowskis Film “Der Spiegel” den Fiskus 622.000 Rubel, während Wassili Schukschins “Kalina Krassnaja” (der Kassenschlager des Jahres 1974) nur 289.000 Rubel kostete.
Auch Tarkowski und die Zensur bieten ein zweideutiges Thema. Ja, in der späten UdSSR wurde der eine oder andere Film gerne für bessere Zeiten auf Eis gelegt. Auch der große Regisseur blieb von dieser Geißel nicht verschont. Sein “Andrei Rubljow” (ein zutiefst orthodoxer Film, der in einem atheistischen Land gedreht wurde) wanderte für vier Jahre in die Archive. Ebenso wurden aber zur gleichen Zeit “Eine böse Anekdote” von Alow und Naumow gemeinsam, “Intervention” von Gennadi Poloka und “Straßenkontrolle” von Alexei German anderthalb oder zwei Jahrzehnte lang vor den Zuschauern versteckt. Und keiner dieser Regisseure verließ das Land.
Gleichzeitig erhielt Tarkowski selbst in den Jahren der kreativen Pause ein Gehalt, Tantiemen für Vorträge, Artikel und Interviews. Verhungern musste er jedenfalls nicht.
Es ist klar, dass selbst ein nach sowjetischen Maßstäben wohlhabender Mensch sich den Westen als Paradies vorstellte, aber Tarkowski verwechselte wie in der berühmten Anekdote auf grausame Weise Tourismus mit ständigem Wohnsitz.
Seine letzten Filme – “Nostalghia” (Nostalgie) und “Offret” (Opfergabe) –, die im Westen gedreht wurden, erlangten selbst bei seinen glühenden Verehrern, die seinen Namen sonst mit Inbrunst aussprachen, keinen Kultstatus. So sehr er auch danach strebte, ein Weltbürger zu werden, so sehr blieb er doch ein sowjetischer Filmregisseur.
Ironischerweise starb Andrej Tarkowski in Paris, nur sechs Tage nach der Rückkehr von Andrej Sacharow und Elena Bonner aus dem Exil in Gorki nach Moskau. Es würden noch ein paar Jahre vergehen und der Begriff “Überläufer” würde jede Bedeutung verlieren.
Wäre der Regisseur jedoch am Leben geblieben, hätte er nirgendwohin zurückkehren können: Die Treibhausbedingungen, in denen die exotische Blüte, die sich “Andrei Tarkowskis Kino” nannte, nur gedeihen konnte, brachen in der Sowjetunion, mit ihrer Zensur und dem Diktat ihrer Partei zusammen.
Übersetzt aus dem Russischen und im Original am 10. Juli 2024 auf absatz.ru erschienen.
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