Von Tom J. Wellbrock
Dennoch: Nichts ist unmöglich, und so verfasste ich sozusagen zur Sicherheit eine Neujahrsansprache für Olaf Scholz.
Am 29. Dezember 2023 titelte der Spiegel:
“Scholz muss reden”
Hintergrund war laut dem Spiegel die Tatsache, dass sämtliche Redenschreiber des Kanzlers sich plötzlich krankgemeldet hatten. Und zwar, nachdem der Auftrag für die Neujahrsansprache von Scholz bekannt gegeben worden war. Voller Stolz sollte sie sein, diese Rede, mit einer Prise hanseatischem Humor, und die Regierungspolitik sollte in positiven Farben gezeichnet werden.
Nichts leichter als das! Hier kommt also die Kanzler-Rede für den Fall der Fälle:
Liebe Bürger und Bürger,
Sie kennen mich. Nein, pardon, das war Merkel. Also, noch mal:
Liebe Bürger und Bürger,
Sie kennen mein Motto: “You’ll never walk alone.” Das habe ich damals, als ich es das erste Mal sagte, nicht so gemeint. Und ich meine es auch heute nicht so. Selbstverständlich walken Sie “alone”, und glauben Sie mir, 2024 wird für Sie das “alonste” Jahr, das Sie sich vorstellen können.
Ich bin stolz darauf, Ihnen heute, an der Schwelle von einem Wahnsinn zu nächsten sagen zu können, dass wir noch viel vorhaben. Wir, der Lindner, der Habeck, die Baerbock und all die anderen unqualifizierten Sprachfehler meiner Regierung, denken groß, und wir tun das aus gutem Grund.
Denn, liebe Bürger und Bürger, das Ende der regenbogenfarbenen Fahnenstange ist noch längst nicht erreicht. Denken Sie nur an Russland, denken Sie an unsere, nein, an Ihre Außenministerin, die zwar weitsichtig genug war, uns im Krieg mit Russland zu wähnen, die aber in der praktischen Umsetzung noch Schwächen zeigt. Ich kann nicht erkennen, dass wir Truppen in Moskau haben, dass wir den Roten Platz bunt angemalt und einige unserer besten Klimakleber dort fest installiert haben. Ihre Außenministerin weiß das, im Rahmen ihrer intellektuellen Möglichkeiten durchdenkt sie die Problematik jeden Tag. Und es wird der Moment folgen, an dem sie ihre Gedanken endlich beendet hat, inklusive korrekter Grammatik und Interpunktion. Nun, das wird vermutlich noch nicht im neuen Jahr gelingen, aber sie hat ja auch noch zwei Jahre Zeit.
Liebe Bürger und Bürger, lassen Sie mich auch etwas zur wirtschaftlichen Kraft unseres Landes sagen. Sicher, Sie haben in den vergangenen Jahren die eine oder andere Entbehrung in Kauf nehmen müssen. Wobei ich besser nicht “in Kauf” sagen sollte, denn das dürfte Ihnen die Laune verhageln, müssen Sie doch gerade in Kauf nehmen, so wenig kaufen zu können. Aber trösten Sie sich: Unser, nein, Ihr Wirtschaftsminister hat die Sache im Griff. Und seien Sie nicht zu hart mit ihm, denn wie Sie wissen, gibt es nur einen, der für unsere missliche Lage verantwortlich ist: Wladimir Putin.
Natürlich leiden Sie unter den hohen Preisen für Lebensmittel, können Ihre Energie nicht mehr bezahlen, selbstverständlich wandern Unternehmen aus Deutschland ab oder gehen, wenn schon nicht ins Ausland, so doch wenigstens pleite. Und ja, es gibt auch Unternehmen, die nicht mehr produzieren oder verkaufen, das ist nicht schön, aber Sie wissen ja: Putin feiert mit uns keinen Kindergeburtstag, er kann ja nicht einmal Kinderbücher schreiben, aber eines kann er wie kein anderer: Einfluss nehmen auf alles, was unser Land ausmacht.
Doch im Jahr 2024 werden Sie, liebe Bürger und Bürger, blühende Landschaften erleben! Fragen Sie die ganzen AfD-Wähler im Osten, denen einst, als unser wundervolles Land wiedervereinigt wurde, die gleichen Landschaften versprochen wurden. Sie können Ihnen bestätigen, dass es stimmt, dass diese Landschaften in greifbarer Nähe sind. Es dauert nicht mehr lange, dann wird der Osten Deutschlands ebenso erblühen wie der Westen. Zeigen Sie noch ein wenig Geduld, es kann nicht mehr lange dauern. Und bedenken Sie, wer dafür verantwortlich ist, wenn es wider Erwarten doch nicht funktionieren sollte. Sie wissen, wen ich meine, oder?
2024 wird auch das Jahr des Klimaschutzes, liebe Bürger und Bürger. Wir streben, das wissen Sie, die Klimaneutralität an, und wir werden sie auch erreichen. Zugegeben, die eine oder andere Zielvorgabe lässt sich in Anbetracht der Umstände nicht in dem Zeitfenster erreichen, das wir alle angestrebt hatten. Aber wir setzen weiterhin auf Sonne, Mond und Sterne, und wir sind zuversichtlich, dass wir künftig ganz ohne Grundversorgung, dafür aber mit einem Maximum an Grundlast auskommen werden.
Liebe Bürger und Bürger, lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, von dem ich weiß, dass er Ihnen besonders wichtig ist. Viele von Ihnen machen sich große Sorgen um die Demokratie. Einige von Ihnen befürchten, dass die Meinungsfreiheit unter die Räder kommt. Und nicht wenige von Ihnen haben Sorge, dass sich das Land einem Totalitarismus zuwendet, ja, sogar vom Faschismus ist hier und dort die Rede.
Ich bin Ihr Kanzler, und ich bin nicht hier, um Ihnen Lügen aufzutischen, auch wenn ich weiß, dass eine fette Lüge immer noch besser ist als ein leerer Kühlschrank. Was aber Ihre Befürchtungen angeht, so muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen, dass diese nicht unbegründet sind. Ich weiß, dass ich hier einen heiklen Punkt anspreche, und mir ist bewusst, dass eine Entwicklung, die in Totalitarismus oder gar Faschismus mündet, unbedingt zu vermeiden ist. Dafür stehe ich ein, dafür werde ich kämpfen, und zwar bis zum letzten Ukrainer, liebe Bürger und Bürger.
Denn Sie wissen ja: In der Ukraine werden auch unsere Werte verteidigt, und ich bin wirklich froh, dass der Ort, an dem Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und die Wasserversorgung der russischsprachigen Bevölkerung für immer und ewig gewährleistet sein werden, für uns kämpft und täglich Schlachten gegen das Reich des Bösen führt. Wenn Ihnen also mal wieder Querdenker, Schwurbler, Antisemiten und Rechtsextreme etwas vom Pferd des Faschismus erzählen wollen, denken Sie daran: Selenskyj ist mit seinen Gedanken bei Ihnen, auch wenn er sich gerade wichtige strategische Gedanken über die nächsten Schritte gegen Putin auf einer Jacht macht, während er auf dem Bootstisch kleine Figuren aus Puderzucker zeichnet.
Liebe Bürger und Bürger, lassen Sie uns mit Zuversicht und Stolz auf das kommende Jahr 2024 blicken. Es ist längst nicht alles so gut, wie es Ihnen eingeredet wird, und wir werden gemeinsam dafür sorgen, dass sich daran auch nichts ändert. Wir setzen unsere erfolgreiche Fahrt gegen die Wand fort, wir arbeiten am Erfolgsmodell Deutschland, das Ihnen schon bald wie Kacke am Schuh erscheinen wird, die man einfach nicht loswird.
Und denken Sie daran: You’ll ever walk alone, ich hab Sie gar nicht lieb, und ich lüge nie, ich vergesse nur hin und wieder mal was. In diesem Sinne: Frohes Neues!
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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