Von Marina Achmedowa
Selenskij hat die serbische Künstlerin Marina Abramović dazu eingeladen, Botschafterin für den Wiederaufbau von Schulen in der Ukraine zu werden. Er bat sie, ukrainischen Kindern zu helfen. Nicht allen europäischen Medien gefiel diese Nachricht. Einige erinnerten an die Nähe der Künstlerin zu Satanismus und Hexerei.
Vielleicht erklärt sich diese unerwartete Kühnheit in der Wortwahl dadurch, dass es schon zuvor kritische Reaktionen auf die kürzlich eröffnete Ausstellung von Abramović in der Königlichen Kunstakademie in London gehagelt hatte. Die britische Presse hatte die ausgestellten “Kunstwerke” als “ein trauriges Gewirr aus Selbstverstümmelung und Erstickung” bezeichnet und angedeutet, dass Abramović auf die schiefe Bahn geraten sei.
In die Ausstellungsräume gelangt man durch einen engen Durchgang, in dem sich ein nackter Mann und eine Frau gegenüberstehen. Man muss sich zwischen den zwei Körpern hindurchzwängen und reibt sich dabei an ihren Geschlechtsteilen. Weiter hinten sieht man eine nackte Frau in einer Kreuzigungspose. Eine andere nackte Frau liegt auf dem Boden und auf ihr ein echtes Skelett. So geht es weiter im Geist von Sadismus, Masochismus und morbider Erotik.
Performances dieser Art sind nicht neu. Man muss sogar betonen, dass in London sogar die leichteste Variante dessen präsentiert wird, was Abramović seit einem halben Jahrhundert einer Welt zeigt, die sie als Kultkünstlerin anerkennt. Im Mittelpunkt ihrer Performances stand immer sie selbst – oft in einem schwarz-roten Bild, das ihren Hang zum Mystizismus betonte.
Mystisch wurde es auch, als 2016 WikiLeaks einen Brief von Abramović an Hillary Clintons Wahlkampfmanager John Podesta veröffentlichte. Darin lud die Künstlerin Podesta und dessen Bruder ein, ihr bei einem “spirit cooking” (Geisterkochen) Gesellschaft zu leisten. Die Künstlerin selbst erklärte dazu verärgert, dass “spirit cooking” nur eine Bezeichnung sei und es sich nicht um okkulte Gerichte handelte, die serviert wurden. Aber ihre Einladung wurde schnell mit ihrer gleichnamigen Performance in Verbindung gebracht, bei der sie mit Schweineblut Rezepte an die Wände schrieb: “Frische Muttermilch mit Sperma mischen, trinken …” Ich will nicht weiter zitieren – es ist ekelhaft.
Abramović gilt als Psychologin der Performance, die verborgene Schmerzen aufdeckt. Aber die Psychologie erklärt klar und deutlich, was es mit Okkultismus auf sich hat: Sich darauf einzulassen ist ein Zeichen von Schwäche. Es geschieht aus dem Wunsch aufzufallen heraus. Wer sich Geheimem und Verbotenem nähert, ist quasi automatisch mit dem Siegel des Auserwählten gezeichnet. Die Kehrseite: Auf dem Weg der Selbstverstümmelung, des Sadismus und Masochismus, gepflastert mit Blut und Knochen, findet im Inneren unmerklich der Prozess des Verfalls statt. Unbemerkt von dem okkulten “Künstler” selbst, der sich in der Verherrlichung durch eine Sekte düsterer Anhängerschaft sonnt.
Abramovićs Sekte ist besonders groß: Sie hat einer großen Zahl unbegabter Menschen den Glauben gegeben, dass sie alle Künstler werden können. Du hast keine natürlichen Talente? Trinke einen Liter Wein mit Honig, schneide dir mit einer Klinge einen Stern auf den Bauch, peitsche dich aus und lege dich mit einem Heizkörper auf ein Kreuz aus Eis. Dies ist die Beschreibung einer weiteren Performance von Abramović, deren einzelne Bestandteile an sich bereits ausreichen, dass normale Menschen zu Hilfe geeilt kommen.
Die Kreuzigung ist ein häufiges Element in dem Werk der Serbin. Gut und richtig: so ist es einfacher, Gefühle zu verletzen – die Leute werden einen Skandal auslösen und schreien, es wird Ruhm einbringen. Ob das aber bereits einen Schöpfer ausmacht?
Wenn ich das nicht mehr ganz junge Gesicht Abramovićs sehe, komme ich wieder einmal zu dem Schluss, dass ein Mensch im reifen Alter das Gesicht zeigt, das seine innere Welt widerspiegelt. Einst wurde dieses damals noch junge Gesicht in den Mittelpunkt jeder Aufführung gestellt und verlieh ihr Glanz, trügerische Schönheit und Rechtfertigung. Heute schreit es – geschwollen und mehlig – die ganze Wahrheit über diese Art “Kunst” heraus, und der Geruch des Verfalls kann nicht mehr durch kreative Raffinesse überdeckt werden.
Aber Selenskij riecht den Gestank nicht – er stinkt genauso. Er fordert die Künstlerin auf, sich um die ukrainischen Kinder zu kümmern. Wie soll man angesichts solcher Wendungen nicht auf den Gedanken kommen, dass wir in Zeiten leben, in denen die Dunkelheit und das Licht besonders heftig aufeinanderprallen, alles Ähnliche von Ähnlichem angezogen wird und alles Morbide sich selbst entlarvt.
Marina Achmedowa ist Schriftstellerin, Journalistin, Mitglied des Menschenrechtsrates der Russischen Föderation und seit Kurzem Chefredakteurin des Nachrichtenportals regnum.ru. Ihre Berichte über die Arbeit als Menschenrechtsaktivistin und ihre Reisen durch die Krisenregion kann man auf ihrem Telegramkanal nachlesen.
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