In seiner Kritik des Duells zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seinem Herausforderer von der CDU, Friedrich Merz, weist der Ökonom Heiner Flassbeck auf ein Problem großen Ausmaßes hin: Es gibt unter den Bewerbern für das Kanzleramt ein enormes Defizit an Wissen darüber, wie eine Marktwirtschaft und wie Märkte funktionieren. Das gilt nicht nur für Scholz und Merz, sondern nach Auffassung von Flassbeck auch für die Kanzlerkandidatin der AfD, Alice Weidel. Weidel vertritt eine libertäre Position und will “deregulieren” und den Staat zurückdrängen. Dabei übersieht sie, dass die Regulierung und makroökonomische Steuerung die historische Antwort auf das Versagen des Marktes zu Beginn der Ära des Kapitalismus ist. Überlässt man den Markt sich selbst, führt das zu Krisen und damit zu schweren gesellschaftlichen Verwerfungen. Wirtschaft muss gesteuert werden, die Frage ist nicht ob, sondern wie.
Darauf haben weder Merz noch Scholz eine hinreichende Antwort. Scholz verstehe nichts von Wirtschaft, ist das harte Urteil des renommierten Ökonomen. “Die Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft wirklich erbärmlich dasteht, ist einfach an ihm vorbeigegangen”, stellt Flassbeck ernüchtert fest und fügt hinzu. “Er hat bis heute nicht begriffen, dass Regieren heißt, fähige Mitarbeiter zu haben, die Tag und Nacht nichts anderes tun, als dafür zu sorgen, dass die Regierungsspitze jederzeit informiert ist und dafür arbeiten kann, dass die Wirtschaft nicht abschmiert.”
Doch statt sich fähige Mitarbeiter ins Haus zu holen, habe Scholz einen Libertären und einen Klimakämpfer zu Ministern gemacht. Wer aber Mitarbeiter beschäftigt, die das Anforderungsprofil nicht erfüllen, muss Schiffbruch erleiden, folgert Flassbeck.
Seine Ahnungslosigkeit hat Scholz auch mit seinem Lob für die rigide Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) unter Beweis gestellt, zeigt Flassbeck. Die EZB hat angesichts der gestiegenen Inflation ab dem Jahr 2022 den Leitzins immer weiter erhöht und damit Kredite in einer anhaltenden Wirtschaftskrise verteuert, obwohl die gestiegene Inflation auf einen externen und vor allem einmaligen Schock durch das Sanktionsregime zurückzuführen war. Dadurch haben sich die Energiepreise verteuert. Das Mittel der Leitzinserhöhung war als Reaktion auf das Phänomen völlig unangemessen, denn die Inflationsrate wäre von allein gesunken. Durch die Maßnahme der EZB wurde die Inflation nicht bekämpft, sondern die Wirtschaft weiter abgewürgt. Scholz lobte im Rede-Duell mit Merz den Schritt dennoch und offenbarte damit seine Unkenntnis gegenüber volkswirtschaftlichen Zusammenhängen.
Merz macht es nach Auffassung von Flassbeck allerdings nicht besser.
“Doch Merz wäre nicht Merz, wenn er nicht noch den dümmsten aller Wirtschafts-Sätze gesagt hätte. Der Staat habe inzwischen ja eine Billion Euro an Einnahmen und müsse nun einmal mit dem auskommen, was er zur Verfügung habe. Ja, das ist gut, da kann er nächste Woche (wenn es sogar vier Geisterfahrer geben soll) mit Frau Weidel Arm in Arm schunkeln, weil die das genauso sieht. Eine Billion Euro ist ja wirklich viel, wer da behauptet, der Staat brauche noch mehr Geld, ist doch von allen guten Geistern verlassen”, ironisiert Flassbeck.
Schulden sind grundsätzlich schlecht, weiß man in Deutschland ganz sicher. Exportüberschüsse sind dagegen grundsätzlich gut. Mit seiner Beggar-thy-Neighbour-Politik hat Deutschland allerdings den Zorn seiner Handelspartner auf sich gezogen, ist eine von Flassbecks zentralen Positionen, die er seit Jahren nicht nur wiederholt, sondern wissenschaftlich belegt.
“Auch wissen beide nicht, dass die vorübergehende deutsche Scheinblüte der 2010er Jahre geprägt war von den deutschen Überschüssen im Außenhandel. Ohne diese Überschüsse gäbe es weder die schwarze Null, noch die niedrige staatliche Schuldenquote und die im Vergleich zu den europäischen Partnern gute Lage am Arbeitsmarkt. Die Überschüsse haben es Deutschland erlaubt, die mit dem Sparen einiger Sektoren notwendigerweise verbundene Schuldenaufnahme anderer Sektoren vollständig auf das Ausland abzuschieben (wie hier und in meinem Grundlagenbuch erklärt). Diese merkantilistische Vorgehensweise war nicht nur für die europäischen Partner untragbar, sondern stößt auch weltweit bei den Handelspartnern an Grenzen.”
Dass Trump Strafzölle verhängt, ist auch Deutschland geschuldet. Die Handelsbilanzüberschüsse sind seit Barak Obama bereits Streitthema. Deutsche Politik bestand in dieser Auseinandersetzung immer darauf, die deutschen Überschüsse seien dem Fleiß der deutschen Arbeitnehmer und der Genialität deutscher Ingenieure geschuldet. Dass sie dem Lohndumping infolge der Agenda 2010 und dem Bezug von günstiger russischer Energie geschuldet waren, hat man in Deutschland geleugnet. Jetzt bekommt es für die Verweigerung der Kenntnisnahme der Fakten die Rechnung in Form von Strafzöllen präsentiert, die sich gegen die deutsche Wirtschaft richten.
Das Fazit ist, keiner der Kandidaten ist in der Lage, die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands zu lösen. Nach der Wahl ist daher ganz unabhängig vom Ausgang vor allem eins sicher: Die deutsche Wirtschaft schmiert weiter ab.
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