Von Michail Katkow
“Grauenhaft”
Donald Trump hat einen Artikel von CNBC geteilt, der den Satz enthält:
“Putin sagte, dass Europa ‘seinem Herrchen bei Fuß stehen’ werden, denn die Zölle machten den Verbündeten Sorgen.”
Ab dem 4. März soll Washington Erwartungen zufolge die Zölle für Stahl und Aluminium um 25 Prozent erhöhen. Laut dem US-Präsidenten habe die EU “sämtliche Grenzen überschritten”, weil sie keine Autos und landwirtschaftlichen Erzeugnisse von den USA kaufe. Trump zufolge sei das “grauenhaft”.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Bereitschaft zu “harten Verhandlungen” mit Trump geäußert.
“Die vorrangige Aufgabe ist jetzt die Arbeit in vielen Bereichen, in denen unsere Interessen zusammenfallen, von den wichtigsten Lieferketten bis zu neuesten Technologien. Dies ist notwendig, um jegliche Ansprüche zu beseitigen und Grundlagen für eine festere Partnerschaft zu legen.”
Von der Leyen fügte hinzu, dass die EU ihre Interessen überall dort, wo es notwendig sein werde, verteidigen werde.
Ähnlich äußert sich Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen:
“Ich bin keine Anhängerin von Handelskriegen. In Wirklichkeit trete ich für das Gegenteil ein, dafür, dass wir miteinander handeln. Doch wenn die USA starken Druck auf den europäischen Markt ausüben, werden wir nichts anderes tun können, als hart zu reagieren. Leider werden wir eine harte Antwort geben müssen. Ich sage ‘leider’, weil es die einfachen Leute betreffen wird.”
Emmanuel Macron bezeichnete Trumps Politik als “Elektroschock” für die EU. Das Modell, bei der sich die EU auf den chinesischen Absatzmarkt, den US-amerikanischen “Militärschirm” und Gas aus Russland verlassen hatte, funktioniere nicht mehr, betonte er. Daher müsse die Abhängigkeit von Waffen aus den USA, einschließlich der Patriot-Luftabwehrsysteme, überwunden werden. Macron zufolge stehen französisch-italienische SAMP-T-Luftabwehranlagen den Patriot-Systemen in nichts nach.
Solidarisch damit zeigt sich der Vorsitzende des Europäischen Rates, António Costa:
“Europa muss mehr Verantwortung für die eigene Verteidigung übernehmen.”
Außerdem ruft er dazu auf, die Zusammenarbeit innerhalb der EU zu vertiefen, “um durch den Umfang die Kosten maximal zu reduzieren, operative Kompatibilität zu garantieren, eine stabile und langfristige Nachfrage für die Industrie und Vorhersehbarkeit zu schaffen sowie Duplizierungen zu vermeiden.”
Die ukrainische Wende
Trump will auf die EU auch den Großteil der Ukraine-Bürde abladen. Nach Angaben von Bloomberg gab er den Europäern zu verstehen, dass sie für die eigene Sicherheit nicht weniger als die USA ausgeben müssten und dass die Ukraine ausschließlich die Sorge Europas sei. Die Kosten dafür wurden bereits berechnet: 3,1 Billion US-Dollar innerhalb von zehn Jahren.
Die hypothetischen Friedenstruppen in einer Stärke von 40.000 Soldaten sollen 30 Milliarden Dollar kosten. Der gesamte Wehretat der EU müsste auf 3,5 Prozent des BIP erhöht werden.
“Der Präsident ist bereit, all das zu besprechen, unter anderem auch die Ukraine. Ich denke, dass das Grundprinzip hier folgendes ist: Die Europäer müssen Verantwortung für diesen Konflikt übernehmen. Trump will ihm ein Ende setzen. Danach werden alle Aufgaben zweifelsfrei auf die EU übergehen”, erklärte der US-Sicherheitsberater Mike Waltz.
Der NATO-Generalsekretär Mark Rutte unterstützte den “Ausgleich” der Anteile der EU und der USA bei der Ukraine-Hilfe:
“Wir müssen viel mehr tun, damit wir alles Notwendige für die Eindämmung und Verteidigung haben und eine gerechte Verteilung der Lasten gewährleisten.”
Die Führer der EU fordern, sie zu den Verhandlungen der USA mit Russland zuzulassen. Das Bundesaußenministerium teilte mit, auf eine Besprechung des weiteren Vorgehens gemeinsam mit den US-Verbündeten zu warten. Die gemeinsamen Ziele sollten demnach darin bestehen, die Ukraine in eine Position der Stärke zu versetzen. Ein “gerechter und stabiler” Frieden in der Ukraine sei eine notwendige Bedingung der transatlantischen Sicherheit.
Die EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas warf Washington den Versuch eines neuen “Münchner Abkommens” vor. “Es ist notwendig, der Ukraine zu helfen, sich vor der Aggression zu schützen, damit der Konflikt nicht an Fahrt gewinnt”, betonte sie und versicherte, dass die EU das Kiewer Regime selbst im Fall eines Ausbleibens der US-Unterstützung nicht im Stich lassen werde.
An der Schwelle eines neuen Kriegs
Dmitri Suslow, stellvertretender Leiter von Russlands Rat für Außen- und Verteidigungspolitik, merkte gegenüber RIA Nowosti an, dass Trump eine Strategie der Stärkung der US-Hegemonie umsetze. “Die EU ist für ihn eine Quelle von wirtschaftlichen Ressourcen. Die USA müssen ihre Kräfte und Mittel auf Asien, auf den Kampf gegen China, umleiten, und die Europäer sollen das durch die Aufstellung eigener Armeen innerhalb der NATO kompensieren. Außerdem will Trump den Ukraine-Konflikt schneller beenden und die Verantwortung für Kiews Nachkriegszukunft der EU aufbürden”, erklärte er.
Nach Suslows Ansicht geht Trump davon aus, dass Europa in dieser Frage keinen anderen Ausweg habe, weil es nicht zu einem unabhängigen Kräftepol werden könne. “Hier ist seine Schätzung richtig. Mit Ausnahme einiger Radikalen wie Kallas gehen die Führer der EU keine Konfrontation mit Washington ein und sind bereit, mehr für die Verteidigung auszugeben”, fügte der Experte hinzu.
Gleichzeitig warnen die Europäer Trump davor, dass sie nicht aus eigenen Kräften Russland widerstehen werden können. Sollten die USA sie im Stich lassen, warte auf die EU ein Zusammenbruch, der den gesamten kollektiven Westen betreffen werde. “Letztlich werden die USA eine große geopolitische Niederlage erleiden”, schlussfolgert Suslow.
Nadeschda Arbatowa, die Leiterin der Abteilung für europäische politische Studien des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, meint dagegen, dass die EU in der Lage sei, Widerstand gegen Trump zu leisten und sogar ihre Positionen zu festigen.
“Er mag keine internationalen Organisationen, einschließlich der EU. Ihm fällt es leichter, mit einzelnen Ländern zusammenzuarbeiten, weil die USA dabei immer stärker sind. Doch es ist schwierig, Verbündete innerhalb der EU zu finden, um sie zu zerstören. Selbst zahlreiche Rechtsextreme, die Trump nahe standen, halten Europa in Wirklichkeit für ihr Vaterland. Unter anderem überzeugte sie die Erfahrung der Corona-Pandemie, dass die Europäer nur gemeinsam ein weltweites Kraftzentrum bilden können. Selbst Viktor Orbán erweist sich bei näherer Betrachtung als gar kein so eingefleischter Trump-Anhänger, denn er unterhält enge Beziehungen zu China”, erklärte sie gegenüber RIA Nowosti.
Arbatowa zufolge könnte Trumps Taktik dazu führen, dass die Europäer mehr für die eigene Sicherheit und die Schwächung der Abhängigkeit von den USA ausgeben werden. Auch wenn vieles aus dem Nichts aufgebaut werden müsse, habe die EU ein großes Wachstumspotenzial.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 17. Februar.
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