Von Felicitas Rabe
Wer könnte sich daran erinnern, dass es in Deutschland jemals so viele Negativschlagzeilen über Schwimmbäder gegeben hat wie in den vergangenen zwei Jahren: Von Gewaltdelikten und Schlägereien ist regelmäßig die Rede, dazu herrsche Personalmangel, und vielfach wird von unbeheiztem Wasser in den Schwimmbecken berichtet. Beiträge über Sanierungsstau und mangelhafte Wartung runden das Bild ab.
Im Bereich der öffentlichen Daseinsfürsorge haben sich die Badeanstalten gewissermaßen in “Problembären” verwandelt, die womöglich am besten beseitigt würden. Zwar wird den Freizeitschwimmern nicht direkt mitgeteilt, dass Schwimmbadbesuche besser zu unterlassen seien, aber das Negativimage und die lauernden Gefahren werden in der Presse regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht.
Hierzu gab es in den letzten beiden Sommern ungewöhnlich viele Berichte über Gewaltdelikte, Schlägereien und Messerstechereien in deutschen Freibädern, wie diesen ausführlichen Beitrag im Wochenmagazin Stern über die Freibad-Prügelei zwischen vier Jugendlichen oder den Spiegel-Artikel über eine Massenschlägerei in einer Berliner Badeanstalt, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Doch wer regelmäßig schwimmen geht, braucht sich kaum zu wundern, warum rüpelhaftes Verhalten bis hin zu Gewaltdelikten in Schwimmbädern zuletzt immer mehr ausartete. Ob riskantes Springen von den Längsseiten der Schwimmerbecken oder gefährliche Kopfsprünge in flaches Beckenwasser, ob Pöbeleien oder Kämpfe zwischen Badegästen – häufig scheint es so, als würden die Bademeister inzwischen immer mehr Fehlverhalten von Schwimmbadbesuchern übersehen, wenn nicht gar bewusst ignorieren.
Die längste Zeit galt ein deutscher Bademeister als Inbegriff einer Respektsperson, deren Anweisungen man unbedingt Folge zu leisten hatte. Verstöße gegen die Badeordnung wurden geradezu mit preußischer Gründlichkeit geahndet. Mittlerweile hat sich in diesem Berufsstand vielerorts eine Nachlässigkeit ausgebreitet, die Bände spricht. Fast scheint es so, als ließe man es auf vermehrte Unglücksfälle ankommen. Oder als sollten Badebetriebe als Orte sicherer Freizeitaktivitäten bewusst in Verruf geraten?
In einem Berliner Freibad erfuhr die Autorin im Gespräch mit einer jungen Bademeisterin, dass man dort zum Teil die Kumpels von eher problematischen Badegästen als Security-Kräfte angeheuert hätte – weswegen Sanktionen auf Fehlverhalten in dem Bad eher nicht stattfänden. Darauf angesprochen, warum sie als Bademeisterin denn selbst dabei zusehe, wie hier vor ihren Augen permanent Jugendliche mit Anlauf von der Längsseite ins Schwimmerbecken sprängen, wo gerade Sportschwimmer ihre Bahnen zögen, teilte die junge Frau mit, es sei kaum möglich, eine Badeordnung durchzusetzen, wenn der schichtführende Kollege kein Interesse daran habe.
In einem anderen Freibad wandte sich ein Security-Angestellter diesen Sommer einfach ab, als die Autorin ihm meldete, dass ihr beim Schwimmen zwei Jugendliche beinahe auf den Kopf gesprungen wären.
Aber neben den Gefahren, die sich aus der Nichtgewährleistung von Sicherheitsregeln ergeben, wird einem der Schwimmbadbesuch auch immer häufiger durch unbeheiztes Freibad-Wasser verödet. In Presseberichten dazu wird auch schon mal Russland die Schuld in die Schuhe geschoben. Demzufolge sind die Energiekosten wegen der russischen Politik angestiegen, weshalb man beim Heizen der Schwimmbäder sparen müsse.
In den letzten Wochen mussten die Badegäste aufgrund des warmen Wetters nicht in zu kaltem Freibad-Wasser schwimmen. Aber im Frühsommer konnten es nach kühleren Nächten an den Folgetagen nur hart gesottene Schwimmer für kurze Zeit im unbeheizten Wasser aushalten.
Warum es selbstverständlich zu sein scheint, dass zwecks Energieeinsparung flächendeckend Wasser in Außenanlagen nicht mehr geheizt wird, und wo das demokratisch entschieden wurde, darüber erfährt man in der Presse wenig. Ausgerechnet in der Zeit einer mutmaßlichen Gesundheitskrise wird der bekanntermaßen gesundheitsfördernde Schwimmsport eingeschränkt. Die Einschränkung des eher weniger gesunden E-Roller-Fahrens, insbesondere bei jungen Menschen, stand offensichtlich nicht zur Debatte, obwohl der bezügliche Energieverbrauch sicher den Energiebedarf der Schwimmbäder übersteigen dürfte. Oder man hätte die Nutzung von Streamingdiensten mit Zeitkontingenten einschränken können – das hätte die Gesundheit gefördert und Strom gespart.
Anfang des Jahres 2022 veröffentlichte das Statistika Research Department eine Statistik über den Bäderrückgang in Deutschland. Demnach habe es zwischen den Jahren 2000 bis 2019 hierzulande bereits einen erheblichen Bäderschwund gegeben: 2019 wurden landesweit nur noch 6420 Badeanstalten angegeben, 1400 weniger als noch im Jahr 2000 – dies entspräche einem Rückgang von etwa 70 Bädern pro Jahr.
Die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) sieht hierin einen Grund für die zurückgehende Schwimmfähigkeit in Deutschland. Eine bereits im Jahr 2017 von der DLRG in Auftrag gegebene repräsentative forsa-Umfrage hat ergeben:
“Fast 60 Prozent der Zehnjährigen sind keine sicheren Schwimmer mehr.
Schulschwimmen als Schulsport findet vielfach nicht mehr statt. 25 Prozent der Grundschulen in Deutschland haben keinen Zugang mehr zu einem Bad – Schwimmausbildung wird so unmöglich.”
Aus Sorge über die steigenden Badeunfälle reichte die DLRG im Jahr 2019 bei der Abstimmungsplattform Openpetition.de die Petition “Rettet die Bäder! Schwimmbadschließungen stoppen!” ein, die von 120.000 Bürgern unterzeichnet wurde. Schwimmen sei eine der gefragtesten Freizeitaktivitäten der Deutschen, fügte die Lebensrettungsgesellschaft ihrer Petitionsbegründung hinzu.
Neben einer Freizeitstätte wären Freibäder “auch Teil des kommunalen Gesundheitsangebots und vor allem Sozial-, Bildungs- und Kulturstätte”. Schließlich könne es sich nicht jede Familie leisten, jährlich oder überhaupt in den Urlaub zu fahren. Das Freibad wäre für viele Bürger ein unersetzlicher Erholungsort und ein sozialer Treffpunkt in ihrem nahen Umfeld. Andere hielten dagegen. So schrieb das Handelsblatt im August 2020:
“Wer versucht, mehr über das Bädersterben herauszufinden, kommt zu dem Schluss: Das Bädersterben ist ein Mythos.
Bäder sind neben Eishallen nicht nur der teuerste, sondern auch der emotionalste Teil der öffentlichen Infrastruktur.”
Dem Handelsblatt zufolge schließe man aufgrund dieser Emotionen fälschlicherweise von einzelnen Schwimmbadschließungen auf einen Trend. Darüber staunt der Experte und der Laie wundert sich: Wer hätte gedacht, dass Eishallen und Bäder teurer wären, als etwa Schulen, Krankenhäuser, Brücken oder Flughäfen?
Auf dem Portal Kommunal.de fragte man auch schon im Jahr 2017, ob die Schwimmbadkultur in Deutschland baden gehe. Hier wird allerdings noch eine weitere Begründung für das Sterben der Badeanstalten geliefert, das von einigen Medien bestritten wurde. Laut Kommunal.de liegt den zu erwartenden Schließungen ein neues Steuerrecht zugrunde.
Bislang hätten die Kommunen die Verluste aus den defizitären Freibädern mit den Gewinnen aus der Versorgungsgesellschaft verrechnen können und dadurch Steuern gespart. Der Bundesfinanzhof ist der Auffassung, dies verstoße gegen das EU-Wettbewerbsrecht.
Insgesamt kann man sich des Eindrucks schlecht erwehren, dass dem deutschen Bürger das “Kulturgut” Schwimmbad madig gemacht werden soll. Dabei mangelt es an Transparenz, warum in einer Gesundheitskrise und beim allgemeinen Abbau der öffentlichen Daseinsfürsorge jetzt auch noch ausgerechnet das gesunde Schwimmen dran glauben soll.
Schließlich wurde entsprechend des neoliberalen Dogmas, spätestens jedoch seit Gründung der Welthandelsorganisation, in Dauerschleife verkündet, der Abbau von staatlichen Regelungen und Strukturen im Dienstleistungssektor führe angeblich zu einer besseren Versorgung (siehe Lobbypedia zu Neoliberalismus, Unterpunkt: “Markt als Ideologie”) und mehr Wohlstand für alle. “Denn wo die großen Schiffe stiegen, kämen auch die kleinen Boote höher”, oder wie Margret Thatcher als Anhängerin des Begründers der radikalen Marktideologie, Friedrich von Hayek, als Mantra zu sagen pflegte: “A Rising Tide lift all ships” und “A bigger cake means a bigger slice for everyone.” Wenn also der Gewinnkuchen für die Großkonzern-“Schiffe” größer wird, profitierten die Kleinunternehmer-“Boote” automatisch davon, und alle bekämen ein großes Stück vom Gewinnkuchen ab.
Mittlerweile wird immer offensichtlicher, dass seit der Umsetzung der marktradikalen Ideologie die gesamte Daseinsfürsorge einschließlich Krankenversorgung, Rente und öffentliche Infrastruktur auf dem Spiel steht. Die kleinen Boote einschließlich der kommunalen Versorgungsbetriebe sind so nach und nach am Absaufen, während der Gewinnkuchen der Konzernschiffe immer größer wird. Schwimmbäder kommen zwar häufig in den Medien vor, sind aber nur ein Teil der von Steuergeldern finanzierten Strukturen, die gerade ruiniert werden. Trotzdem, oder gerade deshalb, bemühte sich die neoliberale Globalisierungselite in den letzten beiden Jahren umso heftiger ihre “Global Governance Agenda” durchzupeitschen.
Und um jedwede Proteste bei den unübersehbaren Schwimmbadschließungen zu vermeiden, werden die Bürger jetzt per gemischter Salamitaktik vergrault.
Mehr zum Thema – Was ist eigentlich mit dieser “regelbasierten internationalen Ordnung” gemeint?