Von Anastassija Kulikowa
Vor dem Hintergrund der anhaltenden gegenseitigen Angriffe zwischen Iran und Israel haben die Investoren eine abwartende Haltung eingenommen, schreibt die Nachrichtenagentur Bloomberg. Zu Beginn der Handelsaktivitäten am Montag stieg der Preis für Brent-Rohöl um 5,5 Prozent und erreichte 75 US-Dollar pro Barrel. Der Markt befürchtet, dass eine weitere Eskalation des Konflikts zu Unterbrechungen der Öllieferungen aus dem Nahen Osten führen könnte, von wo aus ein Drittel der weltweiten Rohstoffmengen exportiert wird.
Nach Angaben der Agentur seien am vergangenen Wochenende über 900 Schiffe von Störungen der Navigationssignale in der Straße von Hormus und im Persischen Golf betroffen gewesen. Die Schiffe, darunter Tanker, Frachter und Fischerboote, begannen, ungewöhnliche Routen zu zeigen – gerade Linien, Zickzackkurse auf dem Wasser und sogar das Auftauchen an Land.
Das Joint Maritime Information Centre (JMIC) habe gemeldet, dass es “extreme Störungen” von Signalen ausgehend von dem iranischen Hafen Bandar Abbas gebe. Das JMIC habe aber auch festgestellt, dass es keine Anzeichen für Vorbereitungen für eine Blockade der Straße von Hormus gebe, wie Bloomberg berichtet. Analysten weisen darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit von Schiffskollisionen gestiegen sei.
Darüber hinaus sind Händler über die Auswahl der Ziele für israelische Angriffe besorgt. So griff die israelische Armee mit Drohnen das iranische Gasfeld Süd-Pars im Persischen Golf an, was zu einer gewaltigen Explosion und einem Brand in der Erdgasaufbereitungsanlage führte. Danach stieg der Preis für Juli-Gas-Futures an der TTF-Börse in den Niederlanden um 2,21 Prozent auf 38,73 Euro pro Megawattstunde oder 470,92 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter, meldet das Medienunternehmen RBK unter Berufung auf Daten der ICE Futures-Börse.
Nach Ansicht von Ökonomen steigen die Energiepreise aufgrund der Risiken einer Verringerung der iranischen Exporte und einer möglichen Blockade der Straße von Hormus. Die Schwankungen werden auch durch die Aktivitäten von Spekulanten verstärkt, die die geopolitischen Spannungen zu ihrem Vorteil nutzen.
Igor Juschkow, Experte der Finanzuniversität der russischen Regierung und des russischen Fonds für nationale Energiesicherheit, erklärt:
“Die Weltmärkte reagierten mit einem Anstieg der Preise auf die Eskalation zwischen Iran und Israel. So stiegen beispielsweise am ersten Tag des Schlagabtauschs die Ölpreise um zehn US-Dollar pro Barrel. Mehrere Faktoren treiben die Notierungen nach oben. Der erste ist die mögliche Reduzierung der Ölexporte durch Iran.
Im Jahr 2018 traten die USA aus dem Abkommen über das iranische Atomprogramm aus und verhängten strikte Sanktionen gegen Teheran. Zu den Maßnahmen gehörte damals auch ein Verbot für Drittländer, iranische Rohstoffe zu kaufen. Danach ging das Exportvolumen erheblich zurück. Mit der Zeit begann China jedoch, die US-amerikanischen Restriktionen zu ignorieren und Energieressourcen von Teheran zu kaufen. Mittlerweile hat Iran fast das Niveau vor den Sanktionen erreicht.”
Nach Schätzungen von Experten fördert das Land etwa vier Millionen Barrel pro Tag und exportiert etwa 1,5 Millionen Barrel Rohöl pro Tag. Juschkow argumentiert:
“Bislang waren die Ziele der israelischen Angriffe iranische Nuklearanlagen. Allmählich weiten sich die Angriffe auch auf Industrieunternehmen aus. Wenn der jüdische Staat beginnt, die Ölinfrastruktur Irans anzugreifen, wird dies zu einem Rückgang der Exporte führen.”
Diese Entwicklung wird sich spürbar auf die Weltmärkte auswirken. Der Ölpreis könnte auf 80 bis 90 US-Dollar pro Barrel steigen, meint der Experte. Und er fügt hinzu:
“Wenn Teheran seine Öllieferungen an Drittländer vollständig einstellt, könnten wir einen Preis von sogar 90 bis 100 US-Dollar pro Barrel erleben. Eine solche Entwicklung ist durchaus möglich. Die Unsicherheit treibt die Notierungen nach oben.”
Der zweite Faktor, der die Energiepreise beeinflusst, sei die mögliche Sperrung der Straße von Hormus, fuhr der Gesprächspartner fort. Nach Ansicht von Juschkow sei ein solches Szenario weniger wahrscheinlich, da dann auch Teheran selbst kein Öl mehr exportieren könnte. Er meint:
“Die Blockade der Meerenge wäre eine extreme Maßnahme der iranischen Behörden. Zu einem solchen Schritt würden sie nur greifen, wenn die Islamische Republik existenziell bedroht wäre.
Etwa 20 bis 25 Prozent des weltweiten Ölhandels und 20 bis 30 Prozent des weltweiten Flüssiggas-Handels werden über die Straße von Hormus transportiert. Sollte diese Sperrung erfolgen, würden die Preise für Rohöl weit über 100 US-Dollar pro Barrel steigen und die Preise für Flüssiggas würden mehrere Tausend US-Dollar pro Tausend Kubikmeter erreichen. Das heißt, dass Öl aus Saudi-Arabien, Irak und Kuwait sowie Flüssiggas aus Katar im Persischen Golf eingeschlossen wären. Es würde eine globale Energiekrise ausbrechen.”
Gleichzeitig würde die Blockade der Meerenge auch andere Folgen haben. Insbesondere könnten andere wichtige Akteure, wie die USA und die Europäische Union, in den Konflikt im Nahen Osten eintreten. Der Experte betont:
“Die Öffnung der Meerenge wird ihr Ziel sein, und die iranischen Behörden werden sich dem nicht lange widersetzen können.
Auch für Russland ist ein radikales Szenario mit einer Blockade nicht vorteilhaft. Es könnte zu einem Regimewechsel in Iran führen, und Teheran ist unser strategischer Partner. Moskau passt wohl eher die aktuelle Situation, in der es Spannungen und Risiken einer Verringerung der iranischen Ölexporte gibt. Das hält die Preise auf einem ziemlich hohen Niveau. Außerdem lenkt der anhaltende Konflikt im Nahen Osten die Aufmerksamkeit der USA von der Ukraine ab.”
Eine ähnliche Ansicht vertritt Stanislaw Mitrachowitsch, führender Experte des russischen Fonds für nationale Energiesicherheit und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Finanzuniversität der russischen Regierung. Er sagt:
“Die Preisbildung an der Börse setzt eine große Anzahl von Spekulanten voraus. Diese nutzen derzeit die Eskalation zwischen Iran und Israel, um die Ölpreise in die Höhe zu treiben.
Dabei ist noch unklar, wohin die derzeitige Verschärfung der Lage im Nahen Osten führen wird. Es ist nicht auszuschließen, dass die durch die Panik in die Höhe geschossenen Kurse wieder von ihren Höchstständen zurückfallen werden.”
Die weitere Entwicklung der Preise auf dem Markt hängt davon ab, nach welchem Szenario sich der iranisch-israelische Konflikt entwickeln wird. Es gibt zwei Szenarien: Eskalation und Deeskalation. Das erste Szenario geht davon aus, dass die iranische Führung die Straße von Hormus blockieren wird. Nach Einschätzung von Mitrachowitch liege die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios unter 20 Prozent.
Im Falle einer Deeskalation ginge es darum, eine Einigung zwischen den Parteien zu erzielen. Der Analyst erklärt:
“Beispielsweise würde die Islamische Republik zustimmen, Uran für ihr friedliches Atomprogramm außerhalb des Landes anzureichern. Bislang lehnen die iranischen Behörden eine solche Möglichkeit ab, aber dies könnte Teil eines Kompromisses sein. Israel würde im Gegenzug seine Militärschläge einstellen.”
Mitrachowitch präzisiert, dass in einem solchen Szenario der Ölpreis sinken könnte. Gleichzeitig sehe die Lage auf dem Gasmarkt etwas komplizierter aus.
Flüssigerdgas wird aus Katar ausschließlich über die Straße von Hormus transportiert. Im Falle einer Eskalation und einer Blockade der Meerenge sei mit einem Anstieg der Flüssigerdgaspreise in Asien und Europa zu rechnen, so der Experte. Er erinnert daran, dass Iran Gas über eine Pipeline in den Irak und die Türkei liefert. Wenn die israelischen Angriffe die Gasleitungen beschädigen, werden die europäischen Länder mit den Folgen zu kämpfen haben. Mitrachowitch erklärt:
“Ankara, das de facto ein halboffizieller Knotenpunkt ist, aggregiert Gas aus mehreren Quellen – Russland, Aserbaidschan und Iran. Die Türken verkaufen einen Teil des Gases weiter, unter anderem nach Europa. Wenn das iranische Erdgas nicht in die Türkei gelangt, wird sich dies zusätzlich auf die Kosten der Ressource für die Europäer auswirken.”
Dabei präzisiert er: Der Markt für Pipeline-Lieferungen sei weniger globalisiert und weniger integriert als der Markt für Flüssigerdgas, aber auch hier gebe es ein gewisses Maß an gegenseitiger Abhängigkeit. Jedenfalls sollte sich Moskau auf zwei Szenarien vorbereiten: sowohl auf eine Eskalation als auch auf eine Deeskalation, meint der Experte.
Im Moment profitiere Russland von den Ereignissen im Nahen Osten. Erstens steigen die Preise für Energieressourcen, sagt Mitrachowitch. Das gebe Moskau die Möglichkeit, viel Geld für seine Projekte zu sammeln. Zweitens lenke der Westen seine Aufmerksamkeit und auch seine Militärlieferungen von der Ukraine nach Israel um, was Russland ebenfalls zum Vorteil gereiche.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 16. Juni 2025 zuerst bei der Zeitung “Wsgljad” erschienen.
Anastassija Kulikowa ist eine Journalistin und SMM-Redakteurin der Zeitung “Wsgljad”.
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