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Von Doris Manner, Stuttgart
Bei Kriegsende war ich neun Jahre alt. 1942 und 1943 habe ich schlimme Fliegerangriffe in Stuttgart erlebt. Wie ich in Erinnerung habe, heulten jede Nacht gegen 11 Uhr die Sirenen. Stuttgart war ein Industriestandort. Die Innenstadt wurde fast vollständig zerstört. Mein Bruder und ich wurden schon 1943 zu Verwandten aufs Land geschickt. 1944 wurde meine kleine Schwester mit dem städtischen Kindergarten auf die Schwäbische Alb evakuiert. Dort verbrachten wir mit meiner Mutter das Kriegsende. Auf dem Land erlebten wir am Kriegsende die Angriffe von Tieffliegern, die direkt auf Menschen schossen, und schließlich den Einmarsch der französischen Truppen.
Wenige Tage vor dem Einmarsch floh eine Kompanie deutscher Soldaten vor den heranrückenden französischen Truppen. Stundenlang sah man die Soldaten höchstens mit einem Gewehr bewaffnet zu Fuß auf der Straße in Richtung Wald gehen. Dann und wann sah man einen Wagen, den sie mit sich führten.
Ganz anders zwei oder drei Tage danach die französischen Truppen! Von einem lauten Dröhnen wurde ich frühmorgens geweckt und rannte zur Straße. Sie kamen in Panzern an, die mir so groß wie Häuser erschienen, darauf jeweils ein Soldat, der das Geschütz bediente. Ein verdächtiges Geräusch, und er hätte geschossen! Die Straße war gesäumt von Menschen, die ihnen zuwinkten, genauso die Menschen aus den Fenstern der anliegenden Häuser. Es ging alles gut, ohne einen Schuss.
Als die Franzosen von den Soldaten im Wald erfuhren, zogen sie für ein paar Tage wieder ab. Aber diese Soldaten waren keine Gefahr. Wahrscheinlich hat jeder versucht, zu Fuß, ohne erwischt zu werden, nach Hause zu kommen.
Man hörte nichts mehr von ihnen.
Es war nun Frieden, keine Bomben fielen mehr vom Himmel, ein unglaubliches Gefühl, man konnte es kaum glauben. Es gab Hausdurchsuchungen, das Essen wurde knapp, da es keine Lebensmittelmarken mehr gab, um das Nötigste zu bekommen. Kinder kamen mit Rucksäcken aufs Land, um bei den Bauern um Nahrungsmittel zu betteln. Auf einem offenen Lastwagen, der durch einen Holzofen angetrieben wurde, fuhren wir nach Stuttgart, um nach den Großeltern zu sehen, die glücklicherweise die Fliegerangriffe in der Stadt gut überstanden hatten.
In der Innenstadt war fast alles zerstört. Der Schutt der zerstörten Häuser lag auf den Straßen. Darauf ging man wie auf einem schmalen Gebirgspfad. Straßenbahnen fuhren kaum noch. An den wenigen, die fuhren, waren statt der Fenster Bretter angebracht. Ich blieb ein halbes Jahr in Stuttgart bei meiner Großmutter. Schon in diesem ersten Sommer 1945 kam ihr Sohn, mein Onkel, der Soldat war, aus Russland zurück. Er war sehr traumatisiert vom Erlebten. Ende 1945 kam dann auch mein Vater aus britischer Kriegsgefangenschaft nach Hause. Anfang 1946 zogen wir zurück nach Stuttgart in unsere Wohnung, die nun zur Hälfte von einer Familie, die ausgebombt war, bewohnt war. Da wurde in Kriegszeiten kurzer Prozess gemacht. Wenn eine Familie ausgebombt war, wurde ihr Wohnraum in leer stehenden Wohnung zugewiesen. Die Zurückkehrenden mussten sehen, wie sie damit zurechtkamen. Gleichzeitig kamen aus Schlesien, Ostpreußen, dem Sudetengau etc. die vielen Vertriebenen nach Deutschland. Teils wurden sie gegen den Willen mancher Hausbewohner zwangsweise einquartiert.
1948 kam die Währungsreform. Die Reichsmark wurde abgeschafft, stattdessen kam die DM. Plötzlich waren wieder Waren in den Schaufenstern, die man davor zurückgehalten hatte, weil die Reichsmark nichts mehr wert war. Es ging langsam aufwärts.
Aber täglich sah man noch Lastwagen hinter Lastwagen, die den Schutt der zerstörten Häuser in ein höher gelegenes Gebiet transportierten und zu einem Berg aufhäuften. “Monte Scherbellino” nannte man ihn. Er wurde der höchste Punkt Stuttgarts. Es begann nun eine Zeit, in der man anfing, zu leben. Nach und nach besserte sich alles in den 50er-Jahren. Die jungen Leute gingen tanzen, die Musik wurde noch von richtigen Kapellen gespielt. Man liebte schöne Kleider und schöne Autos. Man sah sich Hollywood-Filme an. Langsam füllten sich die Straßen mit Autos, und die ersten Fremdarbeiter kamen. In Deutschland ließ sich gut Geld verdienen. NIE WIEDER KRIEG!, hieß die Parole.
Da kam 1954 wie aus heiterem Himmel das Ansinnen, Deutschland müsste wieder eine Bundeswehr haben. Der Widerstand regte sich parteiübergreifend. Im Radio wurden fast täglich bewegende Reden von Gegnern der Wiederaufrüstung aus der Paulskirche in Frankfurt übertragen. In Städten gab es Gegenveranstaltungen mit Rednern aus Politik und von der Kirche, wunderbare Reden. Ich habe an einer Kundgebung in Stuttgart teilgenommen.
Aber Adenauer wischte alles mit einer Handbewegung weg. Seine “christliche” Partei, die CDU, hatte die Mehrheit und drückte die Sache durch. Es wurde gegen den Willen der Mehrheit der deutschen Bevölkerung eiskalt regiert!
Wie kann man sich dagegen wehren, fragte ich mich. Inzwischen war ich 19 Jahre alt und interessierte mich für Politik. Ich kam zu dem Schluss, dass man dieses System durchschauen und dann von innen bekämpfen muss!!!
Diese Kaltschnäuzigkeit, wie gegen des Willen des Volkes entschieden wurde, hat bei vielen jüngeren Menschen Zorn erregt. Es kam die “68er-Generation”, wie man sie nannte, die alles Deutschtum, dem sie die Schuld an den Kriegen gab, auslöschen wollte. Frauenpower kam auf, und die Männer wurden als Machos gebrandmarkt. Die Polizei wurde der Feind Nr. 1 dieser Generation. Es gab unschöne Szenen. Heute weiß man, dass es eine gewollte Umerziehung der Deutschen war, die bei den Studenten begann, um Chaos zu erzeugen und um uns jedes Selbstbewusstsein als Deutsche zu nehmen, uns kleinzuhalten.
(…)
Das Gute hat gesiegt, das Schlimmste ist uns erspart geblieben. Ich habe in der Zeit der Wende in Berlin gelebt. Zufällig kam ich gerade vorbei, als in Berlin-Zehlendorf die Mauer geöffnet wurde. Eine Gruppe von Menschen aus dem Westteil stand davor und auf der anderen Seite eine große Gruppe aus dem Ostteil. “Kommt herein, kommt herein!”, forderten sie uns auf. Wir gingen dann zusammen in ein Gasthaus in der Nähe, wir tranken zusammen, redeten und freuten uns. Es hätte alles so schön werden können. Aber die Fäden zogen andere, die nichts Gutes mit der Wiedervereinigung und der Wende im Sinn hatten.
Heute befinden wir uns wieder in einer entscheidenden Phase. Man kann nur beten, dass die Vernunft über Fanatismus und Eigennutz siegt. Ich bete für Präsident Putin, der so besonnen sein Amt ausübt. Ich bete für die Menschen in Russland und in aller Welt. Der Großteil der Menschheit will in Frieden leben.
Ich habe noch schöne Erinnerungen aus der Zeit des “Kalten Krieges”. Damals kam das Russische Staatsballett regelmäßig nach Westdeutschland. Man bewunderte die russischen Tänzer, die russischen Sportler, die Eishockey-Spieler. Und jedes Jahr kamen die Donkosaken nach Deutschland. Wie sehr liebe ich die russischen Volkslieder und die russischen Schriftsteller wie Tolstoi und die Musik von Tschaikowski, Schwanensee. Etwas Schöneres kann man sich nicht denken. Wo ist das alles geblieben?
(…)
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