Von Tatjana Montjan
Ein Hubschrauberabsturz, bei dem gleichzeitig der Innenminister eines Landes, sein Stellvertreter und ein Dutzend weitere Personen sterben, bietet verständlicherweise einen fruchtbaren Nährboden für Verschwörungstheorien. Und so verwundert es nicht, dass diese sofort nach der Tragödie von Browary, einem Kiewer Vorort, in dem am Mittwoch der Hubschrauber des ukrainischen Innenministers Denis Monastyrski auf einen Kindergarten stürzte, wie Pilze aus dem Boden schossen. Hat sich die ukrainische Machtelite gespalten? Stritten Innen- und Verteidigungsministerium um Korruptionsgelder oder die Aufteilung westlicher Hilfen? Stand Monastyrski jemandem im Wege? Es ranken sich so viele Gerüchte und Erklärungsversuche um seinen Tod, dass es höchste Zeit ist, Klarheit zu schaffen.
Denis Monastyrski, der im Juli 2021 den “unsinkbaren” Arsen Awakow als Chef des ukrainischen Innenministeriums ablöste, war ein Laufbursche für Awakows langjährigen Helfer Anton Geraschtschenko. Letzterer ist dem deutschen Publikum am ehesten als geistiger Vater der Mirotworez-Prangerseite bekannt. Monastyrski war eine besonders unscheinbare und unbedeutende Figur. Kein Räuber, kein Draufgänger, kein Gauner, sondern ein einfacher Assistent mit einem Jura-Diplom, der in der Lage war, das Wesentliche in Dokumenten zu verstehen und einfachere Korrespondenz persönlich zu verfassen. Von Natur aus war er ein recht sanfter und konfliktfreier Mensch ohne jede Spur von Führungsqualitäten. Alles in allem: ein klassischer Nerd.
Seine Ernennung zum ukrainischen Innenminister war ein Kompromiss zwischen Selenskij und Awakow, die ihn zur Marionette für die Öffentlichkeit und die Medien erkoren. Daher ist für jeden Kenner der Kiewer Szene amüsant, Theorien zu lesen, wonach Monastyrski angeblich wegen eines beanspruchten Anteils am Waffenhandel exekutiert wurde oder weil er den Oberkommandierenden Saluschnyj mit seinem Wissen über diese Art von Machenschaften erpresst hatte.
In Wirklichkeit wird das Kiewer Innenministerium von ganz anderen Leuten geleitet. Einer der eigentlichen Tonangeber war der stellvertretende Minister Jewgenij Jenin, der seine turbulente Karriere beim Geheimdienst SBU unter Kutschma begann und von dort ins Außenministerium versetzt wurde, wo er für Transnistrien zuständig war. Welche Interessen der SBU in Transnistrien hat, dürfte jedem klar sein: Es geht um Milliarden Dollar schwere Geschäfte mit Schmuggelware zwischen der Ukraine und der nicht anerkannten Republik. Unter Poroschenko wurde Jenin zum stellvertretenden Generalstaatsanwalt, unter Selenskij kehrte er kurzzeitig als stellvertretender Minister ins Außenministerium zurück und wurde anschließend stellvertretender Minister im Innenministerium.
Genauer gesagt kam Jenin durch die Schirmherrschaft des Leiters des Präsidialamtes Jermak und seines Stellvertreters Oleg Tatarow, der die Strafverfolgungsbehörden beaufsichtigt, in das Innenministerium. Tatarow ist auf operativer Ebene der tatsächliche, aber vor den Augen der Öffentlichkeit verborgene Leiter des Innenministeriums. Seine Leute sitzen nicht nur an der Spitze des Innenministeriums, sondern auch in den Führungsetagen der Polizei. Jenin, als professioneller Schwätzer, passte perfekt in diese Vertikale und überwachte eine Reihe seiner wirtschaftlichen Lieblingsthemen, einschließlich der Grenzschutzbeamten, ohne die es weder Schmuggel noch illegale Migration gibt.
Die zweite Führungsfigur des Innenministeriums ist der schon erwähnte Anton Geraschtschenko, dessen Assistent, wie geschildert, der verstorbene Monastyrski war. Geraschtschenko deckt den Rücken seines früheren Chefs Awakow (was die Vorbedingung für dessen Abtreten war), unterwarf sich in jeder anderen Frage jedoch Jermak und Selenskij und führte alle Befehle aus dem Präsidialamt aus. Übrigens hat Geraschtschenko, der den Spitznamen “Verfaulter Speck” trägt, einen öffentlichen Telegram-Kanal mit bis zu 500.000 Abonnenten, der voll von russophober und kannibalistischer Propaganda ist.
Es gab keine Illoyalität, Konflikte und Zusammenstöße im Innenministerium, erst recht nicht zwischen Monastyrski einerseits und Selenskij oder Saluschnyj andererseits. Was Jenin betrifft, so war er ein zu loyaler und für alle Beteiligten zu wertvoller Kader, um beseitigt zu werden. Die logischste Version der Absturzursache sind daher banale und bekannte Konstruktionsfehler des Airbus-Super-Puma-Hubschraubers und mögliche Pilotenfehler angesichts der im ukrainischen Speckreich geltenden Vorschrift, so nah am Boden wie nur irgend möglich zu fliegen. Der Nebel an der Absturzstelle an jenem Morgen sorgte dann für den Rest.
Übersetzt aus dem Russischen.
Tatjana Montjan ist eine bekannte ukrainische Rechtsanwältin und Publizistin. Vor Beginn der russischen Militäroperation musste sie Kiew verlassen, nachdem sie vor der UNO über die Zustände in der Ukraine gesprochen hatte. Derzeit lebt sie im Donbass, engagiert sich für humanitäre Hilfe und unterhält tagesaktuelle Videoblogs. Man kann ihr auf ihrem Telegram-Kanal folgen. Seit Neuestem führt sie eine Meinungskolumne beim russischen RT.
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