Von Alexander Männer
Die Situation um Moldawien könnte sich angesichts der heftigen Wirtschaftskrise im Land und des Krieges in der benachbarten Ukraine in naher Zukunft weiter zuspitzen. Es mehren sich derzeit nämlich die Anzeichen dafür, dass die ohnehin angespannte Lage in der Region auf dem Rücken der Moldawier noch weiter eskaliert und dass die ehemalige Sowjetrepublik in den Stellvertreterkrieg der NATO mit Russland hineingezogen werden soll.
Für die ersten großen Spannungen diesbezüglich hat Moldawiens westlich orientierte Präsidentin Maia Sandu gesorgt, indem sie den Konflikt um die abtrünnige und unter dem russischen Schutz stehende moldawische Region Transnistrien mit dem neutralen Status ihres Landes und einem verfassungswidrigen Beitritt zur NATO in Zusammenhang brachte. Sandu versucht, Moldawien entgegen der in der Verfassung festgeschriebenen Neutralität und dem Willen der moldawischen Bevölkerung, die einen NATO-Beitritt ablehnt, in die nordatlantische Militärallianz zu ziehen, und erklärte gegenüber dem US-Magazin Politico sogar, man sei bereit, über eine Mitgliedschaft in “großen Bündnissen” nachzudenken.
Darüber hinaus beschuldigte Sandu Russland, ausländische Saboteure einzusetzen, um die Führung ihres Landes zu stürzen, den Beitritt zur Europäischen Union zu verhindern und das Land für den Krieg gegen die Ukraine zu instrumentalisieren. Der vermeintlich aufgedeckte Plan des russischen Geheimdienstes “zur Zerstörung der Republik Moldau” soll ihr vom ukrainischen Staatschef Wladimir Selenskij zugespielt worden sein. Moskau hat diese Anschuldigungen als “unbegründet” zurückgewiesen.
Außerdem bedienen sich Vertreter der neuen, ebenfalls prowestlichen Regierung in Chișinău neuerdings einer deutlich aggressiveren Rhetorik gegenüber Transnistrien, was sich offenkundig auch gegen Russland richtet und den Status quo des seit dem Ende des moldawischen Bürgerkrieges vor über 30 Jahren eingefrorenen Konflikts gefährdet. Wobei es da noch die Ukraine gibt, die große Truppenverbände an der Grenze zu Transnistrien konzentriert hat und Chișinău bei einem Wiederaufflammen der Kämpfe zur Seite springen könnte.
Eskalation in Transnistrien unter Mitwirkung der Ukraine
Dies ist die derzeitige Ausgangssituation, bei der Russland und die von ihm unterstützte “Transnistrische Moldawische Republik” – ein international nicht anerkannter De-facto-Staat, der sich auf einer kleinen schmalen Fläche am Ostufer des Dnjestr-Flusses erstreckt und knapp eine halbe Million Einwohner hat – quasi Verbündete sind. Ihnen gegenüber stehen die Regierung in Chișinău, die Ukraine und die NATO, deren Führungsmacht, Washington, die aktuelle Entwicklung in Moldawien im Grunde kontrolliert und politisch fördert.
In diesem Sinne und vor dem Hintergrund der in den vergangenen Wochen verbreiteten These, dass die Neutralität Moldawiens nicht mehr zeitgemäß ist, ist innerhalb der neuen moldawischen Regierung bereits die Rede von einer “Demilitarisierung der Region” sowie dem “Abzug der russischen Truppen”, die dort im Rahmen einer UN-Friedensmission stationiert sind. Entsprechende Äußerungen hatte etwa der neue Premierminister Moldawiens Dorin Recean getätigt.
Eine “Belobigung” für seine Politik erhielt Chișinău von den US-Amerikanern nach Beratungen bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz. Außenminister Antony Blinken äußerte im Gespräch mit Sandu seine Unterstützung für die “Sicherheit, Unabhängigkeit, territoriale Integrität Moldawiens sowie für die Reformbemühungen” der Führung des Landes. Die USA seien jedoch besorgt bezüglich der Berichte über die von Russland ausgehenden “Verschwörungen”, die darauf abzielen, die Situation in Moldawien zu destabilisieren, so Blinken. Zugleich schätze man natürlich “die guten Bemühungen, die Moldawien unternimmt, um sich davor zu schützen”.
Insofern ist die Entwicklung in Moldawien derzeit durchaus besorgniserregend. Vor allem die Lage um Transnistrien, die nicht zuletzt seit den Anschlägen auf zwei Sendemasten von Unbekannten im April des vergangenen Jahres enorm angespannt ist. Deshalb ist im Hinblick auf eine mögliche Eskalation das folgende Szenario zu betrachten: Bei einem Ausbruch von Kampfhandlungen zwischen moldawischen Streitkräften und den russischen bzw. transnistrischen Einheiten könnten die Truppen aus der Ukraine die Grenze zu Transnistrien überqueren und mit der indirekten Unterstützung der NATO an der Seite Moldawiens in das Kampfgeschehen eingreifen.
Kiew ruft die moldawische Führung außerdem offen zum Kampf gegen Transnistrien auf und zeigt sich ukrainischen Medien zufolge auch bereit, Chișinău Hilfe zu leisten. Bei einem Einmarsch der Ukraine in der abtrünnigen Republik könnte sein Ziel unter anderem die Übernahme eines nahe der ukrainischen Grenze im Norden der Region gelegenen Munitionslagers sein, das riesige, noch aus Sowjetzeiten stammende Munitionsbestände enthält. Laut Experten lagern dort rund 20.000 Tonnen Munition, die die ukrainische Armee gerade bitter nötig hätte.
Für Russland wäre eine Eskalation in Transnistrien aus militärischer Sicht fatal, denn die russische Armee verfügt in der Region nur über einen Militärstützpunkt und etwa 1.700 Soldaten, die dort nominell als Friedenswächter dienen. Dies ist ein sehr kleines Truppenkontingent, das zudem über kaum schwere Waffen verfügt.
Allerdings leben in der Republik, die immer wieder einen Beitritt zur Russischen Föderation gefördert hat, unter anderem 200.000 russische Staatsbürger, deren Schutz für Moskau oberste Priorität hat. Ein Vorgehen gegen sie würde die Situation endgültig destabilisieren und eine harte militärische Reaktion der Russen zur Folge haben, die für die gesamte Schwarzmeerregion die schlimmsten Konsequenzen haben könnte. Aus diesem Grund ist eine Aggression gegen Transnistrien kontraproduktiv, und sie nutzt weder Moldawien noch Russland.
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