Von Thomas Frank
Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Deutsche das Gefühl haben, nicht mehr alles sagen zu dürfen, denn im Hintergrund vollzieht sich langsam und schleichend eine kulturelle Revolution, die einmal mehr unsere Freiheit bedroht. Nämlich die Freiheit, zu sagen und zu denken, was man will. Damit gemeint ist die “Cancel Culture“, die auch als “Lösch-” oder “Zensurkultur” bezeichnet wird. In Wikipedia wird der Begriff folgendermaßen erklärt:
“Cancel Culture (englisch) ist ein politisches Schlagwort, das systematische Bestrebungen zum partiellen sozialen Ausschluss von Personen oder Organisationen bezeichnet, denen beleidigende, diskriminierende, rassistische, antisemitische, verschwörungsideologische, bellizistische, frauenfeindliche, frauenverachtende, homophobe Aussagen beziehungsweise Handlungen vorgeworfen werden.”
Die Cancel Culture kommt aus den USA, wird von der Biden-Administration unterstützt und ist für mich eine der größten Bedrohungen für die Meinungsfreiheit, weil sie intolerant gegenüber abweichenden Meinungen ist. Sie zeigt, wie schnell man in Ungnade fallen kann, wenn man nur ein falsches Wort sagt. Ganze Existenzen und politische Karrieren können dadurch zerstört werden.
Die Diskussion nimmt immer paranoidere Züge an. Bei einer Anhörung im US-Senat zum Thema Abtreibung sprach die Berkeley-Professorin Khiara Bridges beispielsweise von “Menschen mit der Möglichkeit, schwanger zu werden”.
Als der republikanische Senator Josh Hawley nachfragte, ob damit “Frauen” gemeint seien, antwortete Bridges, dass bereits die Richtung von Hawleys Frage transphob sei und die Existenz von Transmenschen leugne. So unglaublich irre ist das schon geworden!
Aber nicht nur in den USA, auch in Deutschland haben die Cancel-Culture und Transgender-Aktivisten ein immer besseres Standing durch ihre Lobbyarbeit, sogar bis in die obersten rotgrünen Ränge hinein. Im Juni 2022 präsentierte die Bundesregierung die Eckpunkte zu einem geplanten Selbstbestimmungsgesetz, das Mitte 2023 in Kraft treten soll. Demzufolge darf jeder Bürger ab 14 (!) Jahren sein Geschlecht und seinen Vornamen wechseln können, auch ohne körperliche Geschlechtsumwandlung.
Der Autor René Pfister schrieb dazu im Spiegel: “Das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz sieht vor, dass ein Mensch, der sich als Frau definiert, aber alle äußeren Merkmale eines Mannes trägt, künftig ohne weitere Prüfung seinen Geschlechtseintrag im Pass ändern kann. Eine Transfrau kann dann nicht nur alle Schutzräume für Frauen aufsuchen: Toiletten, Saunen, Frauenhäuser. Sondern auch verlangen, dass die Behörden gegen jeden vorgehen, der sie als Mann bezeichnet oder den alten Vornamen erwähnt.”
Für Pfister ist dies ein Versuch, “bei den Bürgern mit staatlichem Zwang die Weltsicht der Transcommunity und ihrer Unterstützer durchzusetzen”.
Angestoßen von der politischen Diskussion ringen Ämter und Behörden inzwischen um den richtigen Sprachgebrauch. Richtig hysterisch benahm sich auch Hamburgs ehemalige grüne Gleichstellungssenatorin, Katharina Fegebank, die jetzt sogar Zweite Bürgermeisterin der Freien Hansestadt Hamburg ist. Unter ihrer Ägide sollte die Behördensprache der Hansestadt komplett gegendert werden: Die übliche Anrede “Herr” oder “Frau” sollte durch den Vornamen der Person ersetzt werden. “Lehrer” und “Lehrerinnen” sollten “Lehrkräfte” genannt, aus einer “Frau Doktor” sollte “Frau Dr.in” werden.
Auch andere Behörden, Städte, Politiker, Institutionen und Gutmenschen “gehorchen” dem Diktat der Woke-, Cancel Culture- und Gender-Aktivisten. Städte wie Stuttgart und Köln legen beispielsweise Straßenübergänge nur noch für “Zufußgehende” an, um das männliche “Fußgänger” zu vermeiden. Auch die Stadtverwaltungen in Hannover, Berlin, Frankfurt oder Stuttgart haben bereits angekündigt, sexuelle Vielfalt, also eine “geschlechtergerechte” Sprache, bei ihrer Ausdrucksweise stärker zu berücksichtigen, als hätten wir keine anderen, dringenderen Probleme.
In den USA geht der Irrsinn noch viel weiter: Der Internet-Browser Firefox änderte sogar sein “Master-Passwort” in “Hauptpasswort” um. Der Grund: Das Wort “Master” erinnere an Sklaverei (“Master/Slave”) und trage daher zum “Wachhalten von Rassismus” bei. In den USA wurde bereits eine Studentin als “Rassistin” bezeichnet, weil sie Bücher der weltberühmten Autorin Jane Austen (unter anderem “Emma”, “Mansfield Park”, “Stolz und Vorurteil”) gelesen hatte. Austen gilt bei den Woken als vorbelastet, weil ihre Familie damals in den Sklavenhandel verwickelt gewesen sei. Das Lesen der Bücher sei daher rassistisch.
Eng verbunden mit der Cancel Culture sind die Woke-Aktivisten. Der Ausdruck “woke” bedeutet “aufgewacht” oder “geweckt”. Das Wort hat sich als Begriff für politisches Bewusstsein und Aufmerksamkeit gegenüber sozialer Ungerechtigkeit etabliert. Als “woke” wird jemand bezeichnet, der sensibel für Themen wie Rassismus, Diskriminierung oder Klassismus ist und sich dafür aktiv engagiert.
Auch die Woke-Bewegung will uns vorschreiben, was wir – in ihrem Sinne – sagen dürfen und wie wir zu leben haben. Sie nimmt für sich in Anspruch, alle Missstände auf der Welt zu kennen und die richtigen Lösungen gegen Rassismus und Diskriminierung zu haben.
Hier ein kleiner Teil ihrer abstrusen Forderungen: Die “Zigeunersauce” wurde bereits aus den Supermarkt-Regalen entfernt und durch “Sauce ungarischer Art” ersetzt. Auch der “Mohrenkopf” oder der “Negerkuss” sind total verpönt und jeder, der die Wörter benutze, sei rassistisch und “rechts”. Sogar amerikanischer Apfelkuchen sei rassistisch und habe als Speise der Kolonialherren “blutige Wurzeln”, so die Aktivisten. Schach gilt ebenso als problematisch, weil die “weißen” Figuren den ersten Zug machen dürfen. Selbst die harmlose Frage “Woher kommst du?” wird von den “Woken” bereits als rassistischer Übergriff interpretiert.
Aber das ist noch längst nicht alles: Kinder sollen sich zu Karneval nicht mehr als “Indianer” oder “Scheich” verkleiden, denn damit würden “schmerzhafte Stereotype” bedient. Rastalocken bei Weißen gelten als verdammenswerte “kulturelle Aneignung”, weil sie die Haare von Schwarzen nachahmen würden. Hebammen sollen das Wort “Muttermilch” nicht mehr verwenden, sondern “Menschenmilch” sagen. Im angelsächsischen Raum werden “Frauen” von manchen Woke-Aktivisten nur noch als “Menschen, die menstruieren”, bezeichnet.
In den Augen der Irrsinns-Aktivisten ist man schon verdächtig, wenn man “weiß” ist oder “nichtschwul”. Man wird als “alter weißer Mann” beschimpft, so wie man früher “Neger” geschimpft hat, und alle finden das toll – und das alles ist erst der Anfang!
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