Die von Washington favorisierte “Spitzenkandidatin” für die Nachfolge des scheidenden NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg soll laut einem Bericht der New York Times (NYT) Chrystia Freeland sein, derzeit Kanadas Finanz- und stellvertretende Premierministerin.
Stoltenberg ist seit 2014 NATO-Generalsekretär. Seine Amtszeit sollte eigentlich am 30. September 2022 auslaufen. Wegen des Ukraine-Konflikts wurde das Mandat des 63-Jährigen bis zum 30. September 2023 verlängert. Der US-Zeitung zufolge will die transatlantische Militärallianz nun wohl zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine Frau an ihre Spitze setzen.
So nennt die NYT neben Freeland noch weitere Namen von Frauen, die als mögliche Nachfolgerinnen des Norwegers im Umlauf sein sollen. Weitere potenzielle Anwärterinnen auf den Posten seien demnach die estnische Premierministerin Kaja Kallas, die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová sowie die ehemalige Staatschefin Kroatiens Kolinda Grabar-Kitarović, die auch Botschafterin Zagrebs in Washington gewesen ist. Die von der NYT vorgelegte Liste der “favorisierten Kandidaten” deckt sich mit früheren Medienberichten in diesem Jahr.
Die Wahl eines neuen NATO-Chefs ist jedoch noch Monate entfernt, und “die Namen, die zuerst auftauchen”, könnten die Verhandlungen unter den Mitgliedern der Allianz nicht überleben, erklärten namentlich nicht genannte NATO-Vertreter gegenüber dem US-Blatt. Es könnte gar passieren, dass die Amtszeit von Stoltenberg um ein weiteres Jahr verlängert wird, wie einer der Beamten meinte.
Trotzdem gilt Freeland als “Spitzenkandidatin” für den Posten des NATO-Generalsekretärs. So heißt es in dem Artikel:
“Die Frage, wie jeder der Kandidaten zur Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland steht, wird ein entscheidender Faktor sein.”
Freeland, deren Mutter Ukrainerin war, ist für ihre starke pro-ukrainische Haltung bekannt. Sie sei laut NYT auch 2014 nach Kiew gereist, um den Sturz des “vom Kreml unterstützten” ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch zu feiern. Freeland ist die Enkelin von Michael Chomiak, der als Mykhailo Khomiak in der Ukraine geboren wurde und seinen Namen später änderte, als er nach 1945 nach Kanada auswanderte. Von der NYT wird er als “dankbarer Einwanderer nach Kanada” beschrieben, der während des Zweiten Weltkriegs als “jüngerer Mann in eine ukrainische nationalistische Bewegung involviert war, die die Nazis als nützliche Gegenspieler der Sowjets ansah”.
Die Zeitung erwähnte jedoch nicht, dass Chomiak ein prominenter ukrainischer Nazi-Kollaborateur und Chefredakteur der ukrainischsprachigen Propaganda-Tageszeitung Krakivs’ki Visti war. Das Blatt, das zwischen 1940 und 1945 erschien, wurde direkt von Nazi-Deutschland finanziert und von dem US-amerikanisch-kanadischen Historiker John-Paul Himka als “vehement antisemitisch” beschrieben.
Freeland selbst äußerte sich in Bezug auf ihre Abstammung bisher zweideutig. Sie weigerte sich, ihre Großeltern mütterlicherseits zu verurteilen, sondern lobte sie stattdessen. Im Jahr 2015 veröffentlichte sie einen Essay mit dem Titel “Meine Ukraine”, in dem sie erklärte, dass ihre Großeltern, die mit den Nazis kollaboriert hatten, “sich als politische Exilanten sahen, die die Verantwortung hatten, die Idee einer unabhängigen Ukraine am Leben zu erhalten”. So schrieb Freeland unter anderem:
“Dieser Traum lebte in der nächsten Generation weiter, und in einigen Fällen auch in der Generation danach.”
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