Das Wirtschaftsmagazin Bloomberg kommt in einer Analyse der Wohlstandsverteilung in Deutschland zu dem Schluss, dass Deutschland zwar “reich” sei, aber die Deutschen “arm” und “wütend”. Wie lässt sich dieser scheinbare Widerspruch erklären?
Laut der letzten Erhebung der Bundesbank von 2021 verfügen die obersten zehn Prozent der Haushalte über ein Nettovermögen von mindestens 725.000 Euro und kontrollieren mehr als die Hälfte des Vermögens des Landes. Die untersten 40 Prozent hingegen besitzen ein Nettovermögen von höchstens 44.000 Euro. Daraus ergibt sich im Durchschnitt das mediane, also mittlere Budget von lediglich 106.600 Euro pro Haushalt.
Das klingt auf den ersten Blick nicht dramatisch, aber im internationalen Vergleich wird klar: Der deutsche Medianhaushalt verfügt nur über ein wenig mehr Nettovermögen als der griechische mittlere Haushalt – 106.206 Euro in Deutschland im zweiten Quartal 2023 gegenüber 97.749 Euro in Griechenland.
Wie die Berliner Zeitung feststellt, sind “nur noch die mittleren Haushalte in Estland, Ungarn, Litauen und Lettland laut den letzten Daten der Europäischen Zentralbank (EZB) aus dem 2. Quartal 2023 schlechter aufgestellt.”
Alle anderen ost- und südeuropäischen Länder, so die Zeitung weiter, seien dagegen finanziell viel besser gestellt als Deutschland. Als Beispiel nennt die Berliner Zeitung:
“In der Slowakei verfügt ein mittlerer Haushalt über ein Nettovermögen von 116.244, in Portugal über 126.605, in Slowenien über 154.025, in Italien über 161.062 und in Spanien über 197.236 Euro. Am reichsten sind die mittleren Haushalte in Luxemburg mit 734.745 Euro Nettovermögen. Deutschland liegt damit deutlich unter dem Median der Eurozone (etwa 150.000 Euro).”
Weiter verweist die Zeitung darauf, dass die Zahlen der Bundesbank aus dem Jahr 2021 zudem noch nicht die Entwicklung seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges berücksichtigen:
“Die Inflation hat die Reallöhne und die Kaufkraft der Haushalte aufgefressen, und die Einkommensarmut hat in Deutschland deutlich zugenommen.”
Laut dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung lebten im Jahr 2022 fast 17 Prozent der Menschen in Deutschland in Armut, rund zehn Prozent sogar in ernster Armut. Die Zahl der sehr armen Menschen, die weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben, ist demnach zwischen 2010 und 2019 um gut 40 Prozent gestiegen, stellt die Berliner Zeitung fest und schreibt weiter:
“Ein Viertel der Kinder in Berlin lebt in Armut.”
Die Zeitung erwähnt in diesem Zusammenhang auch, dass die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und führende deutsche Ökonomen seit langem das Steuersystem Deutschlands kritisieren. Denn die Belastung sei zu sehr auf die Löhne ausgerichtet, die Vermögens- und Erbschaftssteuern bei den Oberschichten seien dagegen niedrig. So gebe es beispielsweise für Unternehmer pauschale Befreiungen von der Erbschaftssteuer, da sonst Arbeitsplätze und Investitionen gefährdet werden könnten, wie die Zeitung schreibt.
Der Artikel in Bloomberg kritisiert, dass diese Regeln viel zu bequem seien, und das Ergebnis sei, dass die Steuern auf große Erbschaften oft niedriger seien als auf kleinere Vermächtnisse. Der Autor des Artikels in Bloomberg, einem eigentlich wirtschaftsliberalen Blatt, fordert, dass “Europas größte Volkswirtschaft ihr Steuersystem, das gerade die Arbeit benachteiligt, reformieren und eine breitere Kapitalverteilung fördern” müsse.
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