Das war Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bislang nicht gewöhnt. Gleich zwei klassische Medien, die zurückliegend eher als unbedingte und kompromisslose Unterstützer des Ministers und seines Handelns in der Corona-Politik galten, üben Kritik: die Tageszeitung Berliner Tagesspiegel und das ZDF.
Der Tagesspiegel fragt in einem Artikel provokativ:
“Wie viel Professor steckt in Lauterbach?: Die Zweifel am selbsterklärten Mann der Wissenschaft.”
Auch der Text des entsprechenden Twitter-Beitrags untermauert den überraschend harten und wertenden Tonfall des Artikels:
Bei Gesundheitsminister #Lauterbach finden sich kaum Anzeichen einer fundierten akademischen Vergangenheit. Das ergaben eine Suche und Gespräche mit alten Mitarbeitern. (T+)https://t.co/NVrm1m8WPg
— Tagesspiegel (@Tagesspiegel) May 23, 2022
Das eindeutige Hinterfragen der “Autorität” des Medienlieblings Lauterbach prägt den roten Faden des Tagesspiegel-Artikels:
“Doch auf was kann sich die akademische Autorität, die Lauterbach wie eine Monstranz vor sich herzutragen pflegt, berufen? Erhellend sind neben einem genauen Blick auf seine Veröffentlichungen dabei Gespräche mit Weggefährten seiner gar nicht so langen Zeit als Institutsdirektor in Köln.”
Die Gespräche hätten dem Autor des Tagesspiegel gezeigt, dass sich “die Anzeichen für eine fundierte akademische Vergangenheit des heutigen Gesundheitsministers vereinzeln, wenn nicht gar verflüchtigen” würden. Das erste Resümee lautet:
“Karl Lauterbach: Der Karrierewissenschaftler.”
Die Abschlussarbeit des Ministers zum zweiten Doktortitel, so die Tagesspiegel-Recherchen, verfüge “nicht über einen eigenen Methodenteil – für Absolventen von Lauterbachs Institut zum Beispiel ist dies heute verpflichtender Bestandteil jeglicher Abschlussarbeit”. Ein weiterer Abschnitt des Tagesspiegel-Artikelswird mit den Worten eingeleitet:
“Die unbefriedigende Suche nach epidemiologischen Aspekten.”
Die Diskussion um Lauterbachs eigene Darstellung als herausragender Epidemiologe mit entsprechender Berufserfahrung wird seit geraumer Zeit medial geführt, nicht jedoch bei genannten Mainstream-Medien. Im Artikel werden dann Zweifel geäußert:
“Auch nach wiederholter Nachfrage kann Lauterbachs Ministerium schließlich keine einzige Publikation (zu epidemiologischen Aspekten) nennen, die er (Lauterbach) als Erstautor vor der Kölner Berufung (als Institutsdirektor) in einem einschlägigen Journal – oder überhaupt einem – publiziert hat.”
Das Bundesgesundheitsministerium bleibe einer “kompletten Auflistung der Publikationen schuldig”. Zu seiner Tätigkeit als Institutsdirektor in Köln wird er von ehemaligen Mitarbeitern wie folgt beschrieben:
“Zu Beginn sei Lauterbach etwa einmal pro Woche am Institut aufgetaucht. Er sei von Anfang an sehr ‘umtriebig’ gewesen, habe sich vor allem um Medienpräsenz bemüht. Schon nach kurzer Zeit wurde dies für viele zum Ärgernis.”
Dutzende geladene Professoren hätten demnach “über eine Stunde” auf Lauterbach warten müssen, da dieser “frisch geschminkt … mit einem Fernsehteam zwei Räume weiter” die Zeit verbracht hätte. “Er war eher Wissenschaftsmanager, kein Wissenschaftler im klassischen Sinne”, erklärte ein früherer Wegbegleiter. Dann “hört die Verteidigung aber schon auf”, so der Tagesspiegel. Der Artikel endet mit der Feststellung:
“‘Mit epidemiologischen Methoden’, ist nun zu hören, ‘hat sich Lauterbach kaum beschäftigt’. Er sei eher derjenige gewesen, ‘der für die Thesen zuständig war’. Lauterbach bestreitet diese Darstellung.”
Er sei “ein Mann der Wissenschaft, das sagt er heute immer wieder”, heißt es im Artikel. Jederzeit “könne er an das Institut in Köln zurückkehren. Dort wünschen sie Lauterbach eine erfolgreiche Zeit als Minister”.
Das ZDF widmete dem Minister einen Beitrag in der Sendung Berlin direkt vom 22. Mai, einen Tag nachdem Lauterbach Gastgeber des G7-Gesundheitsminster-Treffens in Berlin war. Der Beitrag trägt den Titel:
“Lauterbach und die fehlenden Daten.”
Und hier der #berlindirekt-Beitrag von Heike Slansky über die fehlende #Corona Datenlage und die Pflicht der #Bundesregierung zur Evaluation.@ZDF Mediathek (Video)https://t.co/Hx9R8BPrJV
— Berlin direkt (@berlindirekt) May 22, 2022
Die Anmoderation auf der Webseite des ZDF lautet:
“Auch im dritten Jahr der Pandemie liegen noch immer keine wissenschaftlichen Auswertungen der Corona-Daten vor. Was haben Schulschließungen, Lockdown und Ausgangssperren gebracht? Welchen Nutzen und welchen Schaden? Es bleibt weiterhin ungeklärt.”
Der Beitrag beginnt mit dem Satz: “Kommt im Herbst ‘das Killervirus’, wie der Gesundheitsminister prophezeit?” Zum Thema Verantwortung für die politisch verordneten Corona-Maßnahmen und deren Auswirkungen erfolge “immer das gleiche Mantra”. Es folgen Videoausschnitte mit dem Minister, in denen er jeweils hervorhebt, diese seien “weiterhin wirksam”:
‘Die Regionen, in denen Hotspot-Regelungen eingeführt worden sind, sind letztlich in den Infektionszahlen ungefähr vergleichbar”Seitdem die größte Gruppe der Infizierten die Geboosterten sind, werden diese Zahlen vom RKI nicht mehr veröffentlicht'(via @berlindirekt) pic.twitter.com/H4mWbhH6yK
— TheRealTom™ ✊ (@tomdabassman) May 22, 2022
Im Beitrag wird diese These am Beispiel der Hotspot-Regelungen beginnend ab April 2022 in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern hinterfragt. Die Ergebnisse würden zeigen, dass die “Infektionskurve, verglichen mit dem Rest des Landes, verblüffend ähnlich verlief”. Der ZDF-Zuschauer erfährt zudem, dass das RKI, “seitdem die mit Abstand größte Gruppe die Geboosterten sind”, keine aktuellen Zahlen mehr zu “Infizierten” publizieren würde. Das Robert Koch-Institut (RKI) unterliege dem BMG, dem Ministerium von Lauterbach, so der Beitrag erläuternd.
Es folgt im Beitrag ein entlarvendes Zitat von Lauterbach vom Dezember 2021 bezüglich Evaluierungsmöglichkeiten von Daten:
“Die Gesundheitspolitik, aus meiner Sicht, kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich in der Wissenschaft verankert findet, in der evidenzbasierten Medizin.”
Der ZDF-Beitrag endet mit der Zusammenfassung:
“Unzureichende Daten, kaum Erkenntnisse über Wirkung und Nebenwirkungen von Corona-Beschränkungen. Noch immer stolpert Deutschland durch die Pandemie!”
Die Springer-Zeitung Die Welt titelte am 23. Mai: “Lauterbachs Gier nach Aufmerksamkeit wird allmählich obsessiv.” Die FAZ berichtete am selben Tag: “Ärztechef Reinhard im Interview: “Habe den Eindruck, dass Lauterbach manchmal sehr einsam entscheidet”.
In den Mainstream-Medien ist bezüglich der Qualifizierung des Medienlieblings Karl Lauterbach eine kurzfristige, aber spürbare Zäsur zu erkennen.
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