Die libysche Regierung der nationalen Einheit gab in der Nacht zum Dienstag das Ende einer Militäroperation in Tripolis bekannt. Nach der Ermordung des hochrangigen Militärs Abdel Ghani al-Kikli kam es in der Hauptstadt des international anerkannten libyschen Teilstaates Tripolis zu Zusammenstößen.
Militärische Ausrüstung wurde in die Stadt gebracht, Schüsse waren zu hören, in mehreren Vierteln wurde die Beleuchtung abgeschaltet und der internationale Flughafen Mitiga stellte den Betrieb vorübergehend ein. Die UNO zeigte sich sehr besorgt und forderte ein Ende der Auseinandersetzungen.
In der Erklärung des Verteidigungsministeriums heißt es, dass “der Plan zur Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität” in dem strategisch wichtigen Viertel Abu Salim vollständig umgesetzt worden sei. Das Verteidigungsministerium habe seine Einheiten angewiesen, alle Operationen in der Region zu beenden. Der Zweck, Einzelheiten der Operation und die Zusammensetzung der beteiligten Kräfte wurden nicht bekannt gegeben.
Nach Angaben des Fernsehsenders Al Wasat TV führte die Operation dazu, dass die Regierungskräfte die vollständige Kontrolle über das Gebiet Abu Salim übernahmen, das zuvor als Hochburg der Strukturen galt, die Abdel Ghani al-Kikli, dem Leiter des Sicherheits- und Stabilitätsapparats des libyschen Präsidentenrates, treu waren. Al-Kikli selbst kam in dieser Nacht ums Leben.
Die Ermordung von Abdel Ghani al-Kikli
Am Abend des 12. Mai begannen in Tripolis die Zusammenstöße. Lokalen Quellen zufolge kam es zu Kämpfen zwischen Mitgliedern der 444. Brigade und Kräften des Sicherheitsapparats. Vorläufigen Berichten zufolge wurde Abdel Ghani al-Kikli auf dem Gelände des Hauptquartiers der 444. Brigade getötet.
Von russischen Medien zitierte Quellen aus dem Sicherheitsapparat weisen darauf hin, dass Al-Kikli möglicherweise zu einem Treffen im Hauptquartier “gelockt” worden sei, wo man ihn anschließend erschossen habe. Sein Tod löste eine heftige Eskalation und Schießereien in der Stadt aus.
Zum politischen Hintergrund der Personalie Al-Kikli gibt es unterschiedliche Angaben. Al-Kikli sei ein Unterstützer des Marschalls Khalifa Haftar gewesen, schreibt etwa die russische Zeitung Gazeta.ru. Anderen Berichten zufolge gehörte er zu den von der Türkei unterstützten Kräften.
Laut amtlichen Angaben wurden mindestens sechs Menschen bei Zusammenstößen auf der Straße verletzt. Die Rettungsdienste wurden in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Gepanzerte Fahrzeuge und zusätzliche Kräfte wurden in die Stadtteile Salahaddin und Al-Hadaba sowie in die Innenstadt von Tripolis entsandt. Nach Informationen des russischen Militärbloggers und Kenners der Region, Oleg Blochin, kamen entgegen offiziellen Berichten bei den Zusammenstößen dutzende Menschen ums Leben.
Die von den Vereinten Nationen anerkannte Regierung der nationalen Einheit, die von Abdel Hamid Dbeiba geführt wird, hat ihren Sitz in Tripolis. Der östliche Teil des Landes wird von einer Regierung kontrolliert, die vom Repräsentantenhaus gebildet und von der Libyschen Nationalen Armee (LNA) unter dem Kommando von Khalifa Haftar unterstützt wird. Beide Regierungen beanspruchen Legitimität und internationale Anerkennung.
Haftars Besuch in Moskau
Kurz vor der Eskalation in Tripolis stattete Feldmarschall Khalifa Haftar, Befehlshaber der LNA, Moskau einen offiziellen Besuch ab. Seine Ankunft am 7. Mai fiel mit den Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Sieges zusammen. Während seines Besuchs führte Haftar Gespräche mit dem russischen Verteidigungsminister Andrei Beloussow und dem Sekretär des Sicherheitsrates, Sergei Schoigu. Am 10. Mai fand auch ein Treffen Haftars mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin statt.
Bei den Treffen wurden die Stärkung der militärischen Zusammenarbeit, die regionale Stabilität und die Koordinierung der Bemühungen in Nordafrika erörtert. Nach Angaben des LNA-Kommandos brachte die russische Seite ihre Wertschätzung für die Sicherheitsbemühungen in Libyen zum Ausdruck und bekräftigte ihr Interesse an einer strategischen Partnerschaft.
Das russische Verteidigungsministerium bestätigte, dass eines der Themen der Gespräche die Lage in Libyen war. Die russische Seite brachte ihre Unterstützung für den politischen Dialog in Libyen zum Ausdruck.
Seit dem Sturz und der Ermordung von Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 hat Libyen kein einheitliches Regierungssystem wiederhergestellt. In dem Land gibt es zwei konkurrierende Machtzentren.
Trotz der Bemühungen der Vereinten Nationen und des Genfer Forums 2021 sind bislang keine nationalen Wahlen abgehalten worden. Gründe dafür sind der fehlende Konsens der Eliten, ungelöste Fragen der Ressourcenverteilung und die Unsicherheit für die am Wahlprozess Beteiligten. Vor diesem Hintergrund sind weiterhin zahlreiche bewaffnete Gruppen aktiv, von denen einige außerhalb der Kontrolle der offiziellen Strukturen operieren.
Laut Medienberichten sind auf dem von der LNA kontrollierten Territorium russische Militärspezialisten präsent. Aktuell sei auch der Ausbau der Militärbasen und logistischen Stützpunkte für die russische Militärmission auf dem afrikanischen Kontinent im Gespräch. Sollte der libysche Bürgerkrieg erneut aufflammen, könnte dies die Pläne gefährden.
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