Von Gert Ewen Ungar
Die russische Staatsduma hat einen Aufreger produziert, indem sie das Werbeverbot für LGBT-Inhalte verschärft hat. Es gilt jetzt nicht mehr nur für Minderjährige, sondern ist altersunabhängig. Gleichgeschlechtliche Lebensweise und Transsexualität dürfen künftig nicht als attraktive und erstrebenswerte Lebensweisen dargestellt werden. Damit es klar benannt wird: Weder Homosexualität noch Transsexualität sind damit verboten worden. Geschlechtsangleichungen werden weiterhin auch in Russland durchgeführt, Bars und Clubs für LGBT werden nicht geschlossen. Die in Deutschlands koordinierten Medien durchgereichte Headline, “Russland schränkt die Rechte von LGBTIQ-Personen weiter ein”, trifft es daher nicht. Es ist eine gezielt neben den Fakten platzierte Desinformation. Der Inhalt stimmt nicht, der antirussische Spin dagegen schon.
Zugegeben, das Gesetz ist eine Gratwanderung, und ob sie glückt, wird die Zukunft zeigen. Die Gratwanderung besteht darin, die politische Instrumentalisierung von sexueller Identität verhindern zu wollen, ohne spezifische Formen von Sexualität zu verbieten und damit Freiheitsrechte tatsächlich umfassend einzuschränken. Das ist ein wichtiger Unterschied. Es ist kein Gesetz gegen Schwule und Lesben, sondern ein Gesetz gegen die Instrumentalisierung von Homo- und Transsexualität zu politischen Zwecken.
Zentraler Inhalt des Gesetzes ist, dass Homo- und Transsexualität in Russland nicht mehr positiv beworben werden dürfen. Die Frage, die sich daran anschließen müsste, die aber natürlich nicht gestellt wird, ist: “Wer macht denn in Russland Werbung für LGBT und Identitätspolitik?” Das lässt sich relativ einfach sagen. Werbung dafür machen eigentlich ausschließlich LGBT-Organisationen, die aus dem Ausland unterstützt und finanziert werden. Gegen sie richtet sich das Gesetz, nicht gegen Schwule oder Lesben. Ich fühle mich als Schwuler, der in Russland lebt, vom Gesetz nicht angesprochen. Ich glaube nicht, dass es sich gegen mich als Person richtet.
Das Geld kommt aus dem Ausland
Was aber festgehalten werden muss, ist, dass aus dem westlichen Ausland finanzierte Organisationen für die Politisierung von Lebensweisen, Lebensstilen und sexueller Identität werben. Genau an dieser Stelle wird es eben auch problematisch, und auf genau dieses Problem hat die Duma reagiert.
Vermutlich versehentlich benennt das ZDF das Problem auch offen. Es geht nicht nur um LGBT. “Es geht den Politikern um so viel mehr”, sagt die Sprecherin aus dem Off und hat damit vollkommen recht. Dieses Mehr, von dem sie spricht, ist das eigentliche Ziel der Gesetzesverschärfung. Es geht darum, Einmischung und das Aufzwingen eines westlichen Modells zu verhindern. Es geht weniger um Menschen, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen, sondern um nationale Souveränität.
Dass dem so ist, macht der kurze Beitrag des ZDF ebenfalls klar. US-Außenminister Blinken, sagt die Sprecherin, hat sich vor der Abstimmung in die Diskussion eingemischt und damit natürlich auch deutlich gemacht, dass die russischen Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind.
Die politisch agierenden LGBT-Organisationen in Russland, vor allem das LGBT-Netzwerk, werden aus dem Ausland, auch aus Deutschland finanziert und unterstützt. Sie vertreten eine westliche Agenda, in der sexuelle Identität politisiert wird und vorwiegend junge Menschen dazu angehalten werden, über ihre sexuelle Identität in eine fundamentale Opposition zur Gesellschaft zu gehen.
Russland findet das nicht gut. Deutschland findet so etwas übrigens auch nicht gut. Deutschland stößt es schon auf, wenn ausländische Mächte in einem eigenen Nachrichtenkanal ihre Sicht auf die Dinge darlegen. In Russland war man da bisher toleranter. In Russland ist das Netzwerk der ausländischen Einfluss-Agenten wesentlich umfassender als in Deutschland, wo schon die Präsenz eines russischen Auslandssenders zu politischen Amokläufen führt und Grundrechte eingeschränkt werden. Man stelle sich vor, was in Deutschland los wäre, würde Russland ein ähnlich umfassendes Netzwerk an Einflussnahme in Deutschland unterhalten wie Deutschland in Russland.
Lebensweisenpolitik als Instrument der Einmischung
Wie sehr das LGBT-Thema gegenüber Russland instrumentalisiert wird, macht schon ein kurzer Blick auf deutsche Plattformen wie queer.de klar. Dort wird schamlos überzeichnet und agitiert. Es reiht sich eine Desinformation über Russland an die nächste. Es ist Hetze, die hier im Namen eines Kampfes für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung betrieben wird. Zum aktuellen Gesetz behauptet queer.de: “LGBTI-Aktivist*innen haben Russland aufgerufen, das Gesetz nicht zu verabschieden, da es jede öffentliche Erwähnung von sexuellen Minderheiten verböte.” Genau das ist falsch.
Natürlich kann man sexuelle Minderheiten weiterhin erwähnen. Man kann diese Information auch recherchieren. Dass es nicht recherchiert wurde und sich queer.de hinter einem anonymen Aktivisten-Zitat versteckt, ist eine simple Technik der Desinformation. Aber selbst wenn das Zitat authentisch wäre, muss man als Redakteur dennoch nicht jeden Blödsinn unkritisch zitieren. Das sich im Beitrag anschließende Geschreibsel von zunehmender Gewalt gegen LGBT in Russland fällt in die Kategorie “frei erfunden”.
Wie viele andere deutsche Medien und Organisationen auch wirft queer.de einfach unentwegt mit Dreck in Richtung Russland – in der Hoffnung, etwas werde schon hängen bleiben.
Auch das verdeutlicht, dass es für die Richtigkeit der These, das Thema Minderheitenschutz werde gegen Russland politisch instrumentalisiert, zahllose Belege gibt. Es stimmt einfach.
Insgesamt funktioniert die Propaganda-Technik auch ziemlich gut, denn vermutlich glaubt ein Großteil der Deutschen, dass es Schwule, Lesben und transsexuelle Menschen in Russland extrem schwer haben. Das stimmt natürlich in dieser Form nicht. Der deutsche Glaube daran ist das Ergebnis einer Dauerberieselung mit Desinformation.
Dass das LGBT-Thema vom Westen instrumentalisiert wird, sieht man in diesen Tagen ganz deutlich an dem absurden Theater, das die politische und mediale deutsche Elite in Katar aufführt. Es ist maximal populistisch, maximal undiplomatisch und maximal lächerlich. Es ändert nichts und hilft niemandem. Wenn jemand der Welt gerade bewiesen hat, dass sexuelle Identität als Thema zu politischen und populistischen Zwecken instrumentalisiert wird, dann war es die deutsche Innenministerin Nancy Faeser.
Eine Abwehrreaktion auf dieses durchweg neokoloniale Aufzwingenwollen einer bestimmten Sicht und Haltung auf menschliche Existenz kommt daher nicht nur aus Russland. Der missionarische Eifer schadet der Sache mehr, als er ihr nützt.
Abwehr gegen eine fremde Agenda
Ich würde auch die Gesetzesverschärfung daher nicht als Ausdruck einer tief verwurzelten Homophobie in der russischen Gesellschaft werten, wie das deutsche Medien verbreiten, sondern als Reaktion auf politische Einmischung und die westliche Weigerung der Akzeptanz von Diversität und Unterschiedlichkeit der Kulturen im internationalen Kontext. Alle müssen nach der westlichen, der deutschen Pfeife tanzen, ist nämlich die zentrale Botschaft, die deutsche Organisationen im Ausland versuchen durchzusetzen. Widerstand dagegen ist legitim. Russland widersetzt sich der Einflussnahme.
Es gibt darüber hinaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass dieser LGBT-Neokolonialismus irgendwann einmal zu einer tatsächlich repressiven Reaktion führt. Wem daher das Wohl der LGBT-Community tatsächlich am Herzen liegt, der sollte das Missionieren, die Einmischung in innere Angelegenheiten und den billigen Populismus einstellen. Die Duma hat es deutlich gesagt, es geht um diese Formen der Einmischung. Lasst das! Die russische LGBT-Community wird es euch danken. Die deutsche vermutlich auch.
Und vielleicht noch ein kleiner Einschub an dieser Stelle, weil auch das immer missverstanden wird. Die westliche Toleranz in der Gesetzgebung gegenüber LGBT ist kein Ausdruck demokratischer Kultur. Diese Toleranz wurde von oben, von EU-Kommission und EuGH aufgezwungen. Es gab in keinem Land der EU ein Referendum zu LGBT-Rechten. Vermutlich wäre all das, für was sich die EU aktuell rühmt und was sie als Zeichen demokratischer Kultur verkauft, beim Wähler durchgefallen. Demokratie wurde im Zusammenhang mit der Durchsetzung einer identitätspolitischen Agenda ausgehebelt, weil sie mit den Mitteln der Demokratie nicht durchzusetzen gewesen wäre. Das sollte nicht vergessen werden.
Inzwischen kommt daher auch immer mehr Kritik an all dem westlichen Eifer aus der LGBT-Community selbst. Dass ihre Lebensweise instrumentalisiert wird, sehen viele und haben es satt. Gehört werden diejenigen nicht, die für Mäßigung plädieren, sondern wie immer nur die lauten.
Die Selbstwahrnehmung als diskriminierte Gruppe treibt in Teilen der queeren Community seltsame Blüten. Dass der Weg zur Gleichberechtigung noch weit ist, gehört zum vielfach wiederholten Standardstatement einer jeden Gay-Pride in Deutschland. Da steht man dann in einem teuren Fetisch-Outfit mit Gleichgesinnten beim Bier beisammen, verfügt über ein überdurchschnittliches Einkommen, besitzt eine Eigentumswohnung in einem zentral gelegenen Viertel in einer deutschen Großstadt mit einem schicken Auto in der Garage und bestätigt sich gegenseitig, zu einer unterdrückten Minderheit zu gehören. Das ist natürlich völlig schräg, aber der Blick ist schwer zu korrigieren, denn es fehlt sowohl an Einfühlungsvermögen in andere Lebenssituationen als auch an der grundlegenden Bereitschaft zu gesellschaftlicher Solidarität.
Identitätspolitik eint die Gesellschaft nicht
Das wiederum verweist auf einen weiteren Punkt in der russischen Argumentation. Nach all den Jahren des Einsatzes für Diversity und LGBT, nach Ehe für alle, der Einführung eines dritten, diversen Geschlechts, das in jeder Stellenausschreibung genannt werden muss, nach all den Antidiskriminierungsgesetzen ist die deutsche Gesellschaft nicht etwa weiter zusammengewachsen, besser, gleicher, solidarischer und gerechter geworden, sondern sie fällt auseinander.
Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer, die Gruppe ohne gesellschaftliche Teilhabe und politische Repräsentation ist nicht kleiner, sondern größer geworden. Die Gräben der gesellschaftlichen Spaltung werden immer tiefer. Der Fokus auf sexuelle Identität schafft es offenkundig nicht, Gesellschaften besser und freier zu machen. Dafür gibt es einen Grund, denn der Fokus auf sexuelle Identität nimmt den Einzelnen in den Blick, verliert aber das gesellschaftliche Ganze aus den Augen. Identitätspolitik ist ein Projekt der Spaltung von Gesellschaft, keines, das Gesellschaft eint und versöhnt. Die russische Argumentation ist in diesem Zusammenhang absolut stimmig.
Ich persönlich habe für die Verschärfung aktuell keinen Anlass gesehen. Warum sie jetzt kam, vermag ich nicht zu sagen. Vermutlich ist es einfach eine weitere Absetzungsbewegung vom Westen, ein Signal, das gehört werden sollte.
Ich glaube aber auch nicht, dass sich für mein Leben hier in Russland dadurch etwas ändert. Ich fühle mich im Gegensatz zur Verschärfung des Paragrafen 130 StGB in Deutschland, der die Meinungsfreiheit einschränkt, vom russischen Gesetz nicht getroffen. Wir werden sehen, ob das stimmt und wie die Gerichte das Gesetz auslegen. Wir werden sehen, ob meine Interpretation stimmt. Aber man sollte bei all dem einsetzenden Gezeter über die Gesetzesverschärfung in Russland im Auge behalten, dass nicht nur ich die konkreten Auswirkungen aktuell noch gar nicht genau abschätzen kann, sondern alle.
Man sollte sich dagegen in Erinnerung rufen, dass all das, was 2013 bei der Einführung der ursprünglichen Form des Anti-Gay-Propaganda-Gesetzes in düstersten Farben für die Zukunft der LGBT-Community in Russland vorhergesagt wurde, alles nicht eingetroffen ist. Ich verstehe die Motivation und den Hintergrund für die Gesetzesverschärfung. Aber natürlich bleibt es eine Gratwanderung.
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