Von Pierre Levy
Klarmachen zum Gefecht! Wir befinden uns im Krieg! Das ist die Botschaft, die die meisten europäischen Staats- und Regierungschefs, insbesondere der französische Präsident, immer wieder verkünden. Die Leiterin der europäischen “Diplomatie”, Kaja Kallas, kündigt ihrerseits an, dass Russland die Europäische Union “in den nächsten drei bis fünf Jahren” angreifen könnte …
Dieses obsessive Thema stand bereits auf der Tagesordnung des Europäischen Rates am 6. März. Dieselben Staats- und Regierungschefs trafen sich am 20. März erneut zu diesem Thema, mit derselben Rhetorik … und denselben Widersprüchen.
Die Europäische Kommission hatte ihrerseits am 4. März einen Plan mit dem Titel “Europa wieder aufrüsten” vorgeschlagen. Diese Bezeichnung wurde später in eine vorsichtigere “Bereit sein für 2030” geändert, da Italien und Spanien – deren Regierungen jedoch gegensätzlicher Couleur sind – geltend machten, dass der ursprüngliche Titel Besorgnis erregen und pazifistische Gefühle in der Bevölkerung verletzen könnte.
Und am 19. März veröffentlichte der EU-Verteidigungskommissar – ein neu geschaffener Posten, der dem Litauer Andrius Kubilius übertragen wurde – ein Weißbuch, in dem die als vorrangig erachteten militärischen Bedürfnisse und der institutionelle Rahmen, in den sich die Antworten einfügen könnten, dargelegt wurden.
Diese Aufregung zeugt von den kriegerischen Ambitionen, die in Brüssel und in vielen Hauptstädten vorherrschen, aber auch von den Problemen und Meinungsverschiedenheiten, auf die diese Ambitionen stoßen. Zwei Streitpunkte dominieren innerhalb der 27: Sollten die Anschaffungen von Verteidigungsgütern vorrangig, mit welchen Kriterien und Ausnahmen, an die europäische Industrie gehen? Und wie sollen die enormen Ausgaben finanziert werden, die diese Anschaffungen darstellen?
Die letzte Frage bleibt bis heute unbeantwortet, so gewaltig sind die Summen, um die es geht. In seinem Dokument vom 4. März gibt Brüssel an, dass in den kommenden Jahren 800 Milliarden Euro aufgebracht werden müssen. Einige halten diese Zahl sogar für zu niedrig …
Zu den laufenden Projekten hat Brüssel die “Union der Kapitalmärkte” wieder auf die Tagesordnung gebracht und sie in “Spar- und Investitionsunion” umbenannt. Die Idee wäre, die Finanzmärkte der Mitgliedstaaten zu standardisieren, ihre Überwachung zu zentralisieren und die Regulierung zu lockern. So könnten große Kapitalgeber dazu angeregt werden, in die Kriegsanstrengungen zu investieren; einige sprechen von einem Beitrag von 470 Milliarden Euro. In Wirklichkeit ist das Projekt ein alter Zopf, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass es bald zum Erfolg führen wird.
Inzwischen hat die Präsidentin der Europäischen Kommission ihren Vorschlag von 800 Milliarden Euro detailliert dargelegt: Brüssel würde auf den Märkten 150 Milliarden Euro aufnehmen und mit diesem Betrag Darlehen an freiwillige Mitgliedstaaten zu Vorzugszinsen vorschlagen. Berlin steht dieser Idee eher zurückhaltend gegenüber: Deutschland kann nämlich bereits allein von günstigen Zinssätzen auf den Märkten profitieren.
Paris und einige südeuropäische Länder drängen ihrerseits auf eine ehrgeizigere Perspektive: dass die 27 EU-Mitgliedstaaten gemeinsam Kredite aufnehmen, nach dem Vorbild des 750-Milliarden-Euro-Konjunkturprogramms nach COVID-19, und den Rahmen nutzen, um den Staaten Subventionen (nicht rückzahlbare Zuschüsse) zu gewähren. Einige Länder, die normalerweise bei gemeinsamen Schulden zurückhaltend sind – insbesondere die nordischen Länder – wären nicht dagegen.
Die Niederlande hingegen lehnen dies entschieden ab. Ursula von der Leyen erinnert ihrerseits daran, dass bald mit der Rückzahlung der 750 Milliarden Euro des Jahres 2020 begonnen werden muss und entgegen den damaligen Zusagen keine neuen Mittel gefunden worden seien, um diese Zahlungen zu leisten …
Zusätzlich zu den von der Kommission erwähnten 150 Milliarden Euro schlägt diese vor, die Regeln zur Bekämpfung übermäßiger Defizite der Mitgliedstaaten zu lockern. Diese müssen derzeit die Regel einhalten, die die Haushaltslöcher auf 3 Prozent des BIP begrenzt. Die Hauptstädte dürften nun einen Teil der Militärausgaben aus der Defizitberechnung herausnehmen und so Strafen vermeiden.
Diese Flexibilität würde die Staaten dazu veranlassen, ihre Verteidigungsbudgets zu erhöhen, wodurch 650 Milliarden Euro frei würden, schätzt Brüssel – eine Zahl, die es der Kommission ermöglicht, die angekündigten 800 Milliarden Euro zu erreichen. Aber wenn dieser Vorschlag das Risiko von Sanktionen zwar verringert, würde er die Staaten dazu bringen, Kredite aufzunehmen, und einige von ihnen sind bereits erheblich verschuldet.
Dies gilt vornehmlich für Frankreich. Daher die Zurückhaltung von Paris, während Berlin sich für eine stärkere Lockerung des Stabilitätspakts einsetzt – eine Umkehrung der üblichen Positionen. Das deutsche Parlament – bestehend aus den bisherigen Abgeordneten und nicht aus den am 23. Februar gewählten – hat gerade die nationale verfassungsrechtliche Schuldenbeschränkung gelockert.
Emmanuel Macron steht seinerseits wie viele seiner Kollegen vor einem politischen Problem. Denn es gibt nur drei Möglichkeiten, das Militärbudget zu erhöhen – mit dem erwähnten Ziel, bis zum Jahr 2030 100 Milliarden Euro pro Jahr zu erreichen, was einer Verdreifachung gegenüber dem Niveau von 2017 entspricht.
Die erste besteht darin, Mittel aus anderen Posten zu übertragen. Die Bewegung in diese Richtung ist schon angedeutet, hat aber ihre Grenzen: Es ist nämlich nicht einfach, die bereits durch jahrelange Sparmaßnahmen geplagten Budgets für Bildung, Gesundheit oder Justiz weiter zu kürzen. Einige schlagen vor, die Schraube bei der Rentenreform noch weiter anzuziehen, aber das hat bereits zu einem Aufschrei geführt.
Die zweite Möglichkeit ist die Kreditaufnahme. Der französische Wirtschaftsminister plant die Einrichtung eines Fonds, den die Bürger zeichnen könnten: Sie würden gebeten, ihre Ersparnisse anzulegen, gegen eine noch nicht festgelegte Verzinsung. Im besten Fall allerdings würden die mobilisierten Beträge jedoch kaum eine halbe Milliarde Euro erreichen, ein Tropfen auf den heißen Stein …
Bleibt die klassische Erhöhung der Verschuldung auf den Finanzmärkten. Aber die französische Verschuldung ist schon auf einem unerträglichen Niveau – das wird zumindest von den aufeinanderfolgenden Regierungen, den sie unterstützenden Medien und natürlich auch von Brüssel immer wieder behauptet. Und “die Märkte” könnten das Vertrauen verlieren, und also die Zinssätze für französische Anleihen und damit die Rückzahlungskosten in die Höhe treiben.
Es gibt schließlich einen dritten Weg: die Steuer. In seiner Rede vom 5. März schloss aber der französische Präsident diese Möglichkeit ausdrücklich aus. Diese Verpflichtung, keine zusätzlichen Steuern zu erheben, verdient es, im Lichte der martialischen Haltung analysiert zu werden, die ankündigt, dass das Land “im Krieg” sei.
Man erinnert sich an die erste Parlamentsrede von Winston Churchill am 13. Mai 1940. Er wandte sich an die Briten, die nun im Krieg gegen Nazideutschland standen, und erklärte:
“Ich habe nur Blut, Arbeit, Tränen und Schweiß zu bieten.”
Kann man sich vorstellen, dass er hinzugefügt hätte: “Aber ich verspreche Ihnen, die Steuern nicht zu erhöhen.”
Dieses Versprechen aus dem Élysée-Palast lässt sich zunächst durch eine politische Haltung erklären: Emmanuel Macron hat die Steuersenkung – vorrangig für die Reichsten – zu einem Markenzeichen seiner Präsidentschaft gemacht. Jegliches Zurückrudern in dieser Hinsicht würde die mageren parlamentarischen Kräfte verunsichern, die ihn noch unterstützen.
Vor allem aber gibt es eine offensichtliche Tatsache, die die Stimmung in der Bevölkerung betrifft. Sicherlich hat die massive und anhaltende Propaganda, die darauf abzielt, die Existenz einer “russischen Bedrohung” zu behaupten, höchstwahrscheinlich Punkte gesammelt. Aber wahrscheinlich auf eine oberflächlichere Weise, als ihre Autoren gehofft hätten.
Denn es ist eine Sache, den Kreml als Kriegstreiber und Kiew als einseitiges Opfer darzustellen; eine andere ist es, den Bürgern neue und schwere Opfer aufzuerlegen.
In Paris wie in Brüssel steht die massive “Aufrüstung” auf der Tagesordnung. Aber ihre Finanzierung ist noch lange nicht geklärt.
Mehr zum Thema – Euractiv: Der “Wiederbewaffnungsplan” der EU hat keine finanzielle Grundlage