Kommentar von Sergei Axjonow
Zu sagen, auf dem Schlachtfeld zwischen Ost und West – der Ukraine – gebe es, wie bei Remarque, “nichts Neues”, wäre massiv gelogen. Die Frontenlage ändert sich, wenn auch langsam, aber stetig. Und zwar zu unseren Gunsten. Erst in den vergangenen 24 Stunden (Stand Redaktionszeitpunkt des Originalartikels am 10. August 2022) sind die verbündeten Streitkräfte Russlands und der beiden Volksrepubliken des Donbass der Befreiung der Stadt Soledar ernsthaft nähergekommen, indem sie das Gelände der Gipsfabrik Knauf erobert haben. Ein jedes von all diesen Industriegebieten und -geländen ist eine besondere Herausforderung für die Sturminfanterie, denn im Regelfall bietet dort ein komplexer Irrgarten aus unterirdischen Tunneln ideale Bedingungen für die Verteidigung. Um Leben der Soldaten zu schonen, gehen unsere Befehlshaber übervorsichtig vor. Gut so. Denken Sie an das Metallurgiekombinat Asowstahl in Mariupol, oder auch an das Nitrochemiewerk Asot in Sewerodonezk. Da musste man sich richtig reinknien. Jetzt ist auch das Gipswerk Knauf unser.
Mit der Einnahme dieser Industriefestung haben sich die Kämpfe auf die Straßen der Stadt verlagert. Die vollständige Befreiung wurde bisher durch Fortbestehen nahe gelegener Stützpunkte des Feindes verhindert. Erst nach dem Fall von Jakowlewka und Belogorowka im Norden und Bachmutskoje im Süden von Soledar wird es möglich sein, die Stadt in die Zange zu nehmen und von feindlichen Truppen zu säubern. Ähnlich ist die Situation im benachbarten Artjomiowsk (heute auch: Bachmut). Die Kämpfe sind hart, der Feind zeigt sich bissig, verlegt Reserven hin und her und versucht, sich an bereits verlorene Wohnorte wieder anzukrallen. So ist das Bild auch in Peski. Die Siedlung scheint eingenommen worden zu sein, ist aber eben noch nicht vollständig vom Gegner gesäubert worden. Es gibt einen Vorstoß bei Marjinka und wir rücken auch bei Awdejewka vor. Diese Ortschaften sind besonders wichtig, um den Artillerieterror gegen Donezk zu stoppen. Mit Einnahme der Orte wird das tägliche Morden der ukrainischen Streitkräfte aufhören.
Militärexperten zufolge zählt das Aufgebot der ukrainischen bewaffneten Formierungen im Westen der Volksrepublik Donezk bis zu 45.000 Mann. Das ist eine ernst zu nehmende Kraft und es wird für unsere Jungs nicht einfach sein, sie zu zermürben oder herauszudrängen. Der bisherige Verlauf der Ereignisse zeigt indes deutlich: Dies ist trotz alldem nur eine Frage der Zeit.
Der naive Versuch Kiews, den Druck, der über seine Truppen im Donbass herrscht, mit Gerüchten über einen bevorstehenden Gegenangriff in der Region Cherson zu verringern, ist nicht geglückt. Die schier nicht endenden Äußerungen von Beamten, dass es bald losgehen würde, seien Teil einer Informations- und psychologischen Operation der bewaffneten Formierungen der Ukraine gegen Russland, um den Feind zu demoralisieren – dies gab Michail Podoljak, Berater des Chefs des ukrainischen Präsidialamtes, letzten Endes doch zu. Offenbar erkannte er, dass es sinnlos war, weiter zu lügen. Das mit dem Demoralisieren hat nicht ganz geklappt. Eher im Gegenteil.
In Kiew ist man sich darüber im Klaren, dass man früher oder später sowohl den Donbass als auch die südrussischen Gebiete endgültig verlieren wird. Daher versucht man, diese Gebiete buchstäblich zu vernichten. Ukrainische Truppen morden die Zivilbevölkerung, indem sie Lepestok-Tretminen über Wohngebieten ausstreuen, Kohlezechen fluten, Dämme und Brücken sprengen, Fabriken zerstören, Getreide auf den Feldern sowie in den Speichern verbrennen und dergleichen mehr. Schlimmer als damals Hitlers Truppen – bei Gott! Und in den letzten Tagen wird auch noch die Bedrohung einer nuklearen Katastrophe immer deutlicher spürbar. Für den wiederholten zielgerichteten Beschuss des AKW Saporoschje mit Artillerie und Mehrfachraketenwerfern kann es keinen anderen Beweggrund geben, als eben eine solche Katastrophe herbeizuführen.
Und das wird nicht bloß “eine” nukleare Katastrophe sein. Sollte es im Falle eines Falles zu einer vom Menschen verursachten nuklearen Katastrophe kommen, wird ihr Ausmaß die Folgen der Unfälle in den Kernkraftwerken von Tschernobyl und Fukushima bei weitem übersteigen, sagen Experten voraus.
Laut einer Prognose des russischen Verteidigungsministeriums wird sich die Zone der Verseuchung mit radioaktivem Material auf die Gebiete Kiew, Charkow, Poltawa, Cherson, Odessa, Nikolajew, Kirowograd und Winniza, die Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie die Grenzgebiete von Weißrussland, Rumänien und Bulgarien ausdehnen. Landwirtschaft wird unmöglich werden. Aufgrund des Fehlens von Getreide wird es auch nicht mehr möglich sein, welches zu exportieren. Bei einer Verseuchung von Flüssen in den oben erwähnten Gebieten werden auch die Küsten Abchasiens, Georgiens und der Türkei kontaminiert sein. Das Schwarze Meer und der Bosporus werden für die Schifffahrt unbrauchbar. Die Aussichten sind so schrecklich, dass man sich nicht vorstellen kann, dass Kiew von diesem Vorhaben absehen wird: Anstatt den Krieg weiterzuführen, mit einer klaren Aussicht, ihn zu verlieren, wäre es nicht besser, auf solch extravagante Weise Selbstmord zu begehen? So ähnlich scheinen die längst dem Wahnsinn anheimgefallenen ukrainischen Politiker zu denken.
Wenn man sich solch ein “Vermächtnis einer Jugend” zu Gemüte führt, denkt man, dass die drei Millionen Ukrainer, die es mittlerweile geschafft haben, nach Russland zu kommen, über ihre Entscheidung froh sein müssten. Eine nukleare Apokalypse ist selbst für diejenigen, die an Krieg gewöhnt sind, eine zu grimme Aussicht. Aber es bleiben Millionen von Russen und Ukrainern – unsere Landsleute – zu Hause. Dieses Problem muss angegangen werden.
Der stellvertretende russische Botschafter bei der OSZE, Maxim Bujakewitch, wandte sich jüngst an die Weltgemeinschaft:
“Wir rufen die OSZE, die Vereinten Nationen, die IAEO und alle anderen, die Einfluss auf das Kiewer Regime nehmen können, auf, maximalen Druck auf dieses auszuüben. Die Angriffe der ukrainischen bewaffneten Formierungen auf das AKW Saporoschje sind eindeutig zu qualifizieren – als Nuklearterrorismus.”
Der UN-Sicherheitsrat trat am 11. August auf Initiative Moskaus zusammen. Es stimmt, dass diese oberste internationale politische Autorität sich bisher in höchstem Maße unverantwortlich verhalten hat. Wie sich herausstellte, blockierte das UN-Sekretariat (genaugenommen dessen Departement für Sicherheit) kürzlich eine Inspektion des IAEO-Generaldirektors Rafael Grossi im Kernkraftwerk Saporoschje, obwohl er sich um einen Besuch vor Ort förmlich gerissen hatte. Hierauf wies die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa mit Nachdruck hin. Ihrer Wertung nach setzte diese Entscheidung eine Kette von zerstörerischen Ereignissen in Gang. Kiew habe in der Entscheidung der UNO eine Ermutigung gesehen, was zum weiteren massiven Beschuss des Kernkraftwerks geführt habe. Sacharowa wörtlich:
“Die Welt steht am Abgrund. Und das sind keine gefährlichen Experimente von Wissenschaftlern, sondern kriminelle Aktionen des Kiewer Regimes.”
Auch der westliche Hegemon USA zeigt sich noch nicht zu sehr besorgt. Vielmehr spielt man dort auch in diesem Anliegen sogar aufseiten Kiews: Washington hat Russland aufgefordert, die Kontrolle über das AKW Saporoschje an die ukrainischen Behörden zurückzugeben. Übersetzt aus der Diplomatensprache ins Deutsche: “Der Beschuss wird weitergehen, bis ihr, Moskau, euch zurückzieht. Wenn das Kernkraftwerk in die Luft geht, werden zwar alle darunter leiden, aber doch eben nicht die US-Amerikaner.”
Biden hätte den Beschuss mit einem einzigen Anruf bei Selenskij einstellen lassen können. Aber das ist dem alternden US-Präsidenten offenbar egal. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Russland und Europa ihre Anstrengungen bündeln werden, um Selenskij eine Zwangsjacke zu Gesicht stehen zu lassen, während in der Zwischenzeit alle Hoffnung auf dem technischen Genie der sowjetischen Konstrukteure des Kernkraftwerks Saporoschje ruht, die Sicherheitsmargen bis hin zu einem Atomschlag vorgesehen haben. Das sind aber auch Zeiten, in denen wir leben …
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Übersetzt aus dem Russischen.
Sergei Axjonow ist Journalist, Politologe und Schriftsteller. Er blickt auf eine turbulente Laufbahn als Politiker und politischer Aktivist (Nationalbolschewisten, “Anderes Russland”) sowie Menschenrechtsaktivist in Russland zurück.