Von Anna Dolgarewa
Vor wenigen Tagen befreiten Russlands Streitkräfte Welikaja Nowosjolka – eine Stadt an der Kreuzung zwischen der Volksrepublik Donezk und den Gebieten Saporoschje und Dnjepropetrowsk. Doch gleich nach deren Einnahme stellte sich heraus, dass auf der Website der Staatsaufträge der Ukraine nach wie vor ein Auftrag zum Kauf eines Wagenhebers für Welikaja Nowosjolka mit einem Startpreis von 6.200.000 Griwna (umgerechnet knapp 143.000 Euro) zu finden ist.
Dabei räumen selbst ukrainische Quellen ein: vom Städtchen, wo vor der Militäroperation etwa 6.000 Menschen lebten, ist praktisch nichts übrig. Weniger als fünf Prozent der Bewohner bleiben und verstecken sich in Kellern. Kein Gebäude blieb unbeschädigt. Die Einnahme erfolgte ebenfalls nicht über einen Tag. Doch der Auftrag bleibt aktuell.
Diese Nachricht reimt sich mit einer anderen. Am 24. Januar ernannte Selenskij seine Sonderbeauftragte für die Krim, eine gewisse Olga Kurischko. Zuvor entließ er eine andere Beauftragte, Tamila Taschewa, die dieses Amt seit April 2022 innehatte.
Bedenken Sie nur: es ist elf Jahre her, seit die Krim ein Teil Russlands wurde! Seit drei Jahren läuft die spezielle Militäroperation, ganze Fahrzeugkolonnen rücken aus der Krim in die Gebiete Saporoschje und Cherson aus. Dabei lebt das Oberhaupt des Kiewer Regimes in irgendeiner Parallelwelt und ernennt und entlässt Sonderbeauftragte für die Krim. Seit 2014 wechselten sich auf diesem Posten mehrere Personen ab.
In erster Linie scheinen beide Geschichten von banaler Veruntreuung von Geldern zu handeln. Irgendein ukrainischer Unternehmer wird den Auftrag für den Kauf eines Wagenhebers für Welikaja Nowosjolka gewinnen. Irgendjemand anderer wird sich ordentlich am Budget für das Amt des Sonderbeauftragten des Präsidenten für die Krim bereichern. Daran gibt es nichts Neues: noch vor dem Maidan war die Ukraine ein höchst korrupter Staat, und die Ironie liegt darin, dass verträumte Jünglinge und Jungfern, die auf eben diesem Maidan demonstrierten, ausgerechnet davon schwärmten, die Korruption im Lande zu besiegen. Doch der stehlende Janukowitsch wurde von Poroschenko abgelöst, der noch mehr stahl. An Poroschenkos Stelle kam Selenskij, und wenn seine Vorgänger zumindest gesättigt waren, kam das junge Team des neuen Präsidenten hungrig an die Macht. Kurz, es gelang nicht, die Korruption zu besiegen.
Doch auf symbolischer Ebene handeln beide Geschichten davon, dass die Ukraine unfähig ist, in der Gegenwart zu leben. Sie lebt stets in der Vergangenheit, in irgendeiner Welt, in der Verhandlungen über Grenzen von 1991 noch möglich sind.
Wären in der Ukraine klügere Menschen an der Macht, die sich an der Gegenwart und nicht an Vergangenheit orientieren könnten, wäre ein Friedensvertrag längst unterzeichnet. Doch all diese Gespräche werden von der Ukraine wieder und immer wieder sabotiert: Sie lebt irgendwo im Gestern, oder gar im Vorgestern, wo sowohl die Krim, als auch der Donbass, und erst recht die Gebiete Cherson und Saporoschje noch unter Kontrolle Kiews stehen.
Freilich bedeutet das nicht, dass die Ukraine buchstäblich stagniert: So ist etwa die ukrainische Armee des Jahres 2025 nicht mit der ukrainischen Armee des Jahres 2014 vergleichbar. Doch die Verluste einzuräumen, sie zu akzeptieren und aufzuhören, sich zum eigenen Nachteil zu verausgaben – das, was in solchen Fällen sowohl Wirtschaftswissenschaftler empfehlen, wenn es um Investitionen geht, als auch Psychologen, wenn es um Beziehungen geht – das akzeptiert die Ukraine immer noch nicht.
Nicht zuletzt spielt dabei auch der erste an der Oberfläche liegende Faktor eine Rolle: die schreckliche ukrainische Korruption. Zu viele Nutznießer gibt es im Land durch die “unnachgiebige” ukrainische Position.
Für gewisse Menschen ist es also sehr vorteilhaft, in der Vergangenheit zu leben. Doch global kann es nur zu Verlusten und Niederlagen führen, wenn die Zukunft eintritt.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst verfasst speziell für RT am 28. Januar.
Anna Dolgarewa, geboren 1988 in Charkow, ist eine Journalistin, Dichterin und Kriegsberichterstatterin. Seit 2015 lebt und arbeitet sie in Lugansk, Donezk und Moskau.
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