Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD ist noch keine zwei Wochen unterzeichnet, da scheint schon die darin enthaltene Freiwilligkeit beim Wehrdienst zu fallen. Erst hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius am Mittwoch im Bundestag erste Zweifel an der “zunächst” geplanten Freiwilligkeit geäußert:
“Ich sage ganz bewusst und ehrlich: Die Betonung liegt auf ‘zunächst’, falls wir nicht hinreichend Freiwillige gewinnen können.”
Der aktuelle Personalstand der Bundeswehr liegt bei etwa 180.000. In der Koalition besteht die Vorstellung, diesen binnen eines Jahres um mindestens 100.000 aufzustocken. Im Jahr 2024 gab es bei der Bundeswehr jedoch insgesamt nur 51.000 Bewerber, von denen in der Regel nicht alle tauglich sind.
Bundeskanzler Friedrich Merz hatte in seiner Regierungserklärung angekündigt, er wolle “die stärkste Armee Europas” aufbauen. Schon im April hatte Carsten Breuer, der Generalinspekteur der Bundeswehr, bei einer Podiumsdiskussion der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik erklärt, der “Bedarf für Deutschland liegt bei 460.000 Soldaten”.
Nun legte der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter nach: “Wenn Deutschland die Minimum Capability Requirements der NATO erfüllen will, brauchen wir laut Auskunft des Generalinspekteurs inklusive Reserve circa 460.000 Soldaten. Wenn wir allerdings einen möglichen Abzug der Amerikaner mitberücksichtigen, würde ich die Zahl eher zuzüglich Reserve sehen.”
Die US-Regierung unter Donald Trump vertritt die Ansicht, Europa müsse für seine Verteidigung selbst sorgen und hatte zuletzt auch einen Abzug der in Europa stationierten US-Truppen ins Spiel gebracht. Was deutsche Politiker wie Kiesewetter zum Anlass nehmen, um den Druck zur Aufrüstung weiter zu erhöhen:
“Angesichts der enormen Bedrohungslage in Europa und möglicher Szenarien, die von einem absehbaren Angriff Russlands auf NATO-Gebiet in den nächsten ein bis zwei Jahren ausgehen, brauchen wir eine sehr hohe Geschwindigkeit beim Personalaufbau. Leider ist damit die effektivste Möglichkeit, ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr zu schaffen, unrealistisch und es bleibt nur die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Anders wird ein solcher Personalaufbau nicht zu leisten sein.”
Der höchste historische Personalbestand der Bundeswehr lag bei 495.875, während des Kalten Krieges und mit allgemeiner Wehrpflicht, im Jahr 1983. Allerdings umfassten die betroffenen Jahrgänge damals noch bis zu 700.000 junge Männer, während es im Jahr 2025 nicht einmal 500.000 sind, wovon noch dazu mindestens ein Viertel keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, was die Zahl der möglichen Wehrpflichtigen weiter verringert.
Weshalb Kiesewetter bereits ausspricht, wie weit sich die Entwicklung noch vom freiwilligen Wehrdienst des Koalitionsvertrags entfernen könnte:
“Jedes Modell mit verpflichtendem Anteil für Frauen und für Männer hätte im Zuge der Grundgesetzänderung zur Schuldenbremse mitverhandelt werden müssen, indem Art. 12a Grundgesetz zeitgemäß auch auf Frauen angepasst worden wäre.”
Artikel 12 a Grundgesetz, der mit Abschaffung der Wehrpflicht im Jahr 2011 nur ausgesetzt, aber nicht gestrichen wurde, lautet: “Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.”
Allerdings wäre der Artikel 12a Grundgesetz nicht das einzige Hindernis vor einer derart umfassenden Wehrpflicht. Nach dem Jahr 2011 wurden zahlreiche Kasernengrundstücke, insbesondere in Städten oder stadtnahen Lagen, bebaut oder verkauft, schon der Grund zur Neuerrichtung müsste also erst erworben werden, dann bebaut. Große Teile der Bundeswehrstruktur wurden privatisiert, Küchen, Werkstätten et cetera, was sich bei einer schnellen Vervielfachung als problematisch erweisen könnte, da schon die Ausschreibungsverfahren zeitraubend sind. Eine rein freihändige Vergabe und Beschaffung erhöht aber das Risiko von Korruption deutlich.
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