
Von Wojennaja Chronika (@Warhronika)
Bei einer der jüngsten Sitzungen des russischen Sicherheitsrates äußerte sich Verteidigungsminister Andrei Beloussow zu mehreren wichtigen Punkten. Er berichtete unter anderem, dass die USA im Oktober im Rahmen von Übungen einen “nuklearen Raketenangriff” gegen Russland simuliert hätten. Beloussow merkte zudem an, dass die von den USA in Europa und im asiatisch-pazifischen Raum zu stationierenden Dark-Eagle-Raketen Zentralrussland in sechs bis sieben Minuten erreichen könnten:
“Diese Maßnahmen sind ein eindeutiger Beweis für eine aktive Aufstockung der strategischen Offensivwaffen durch Washington. Die Vereinigten Staaten und die US-Armee planen, Ende dieses Jahres einen neuen Hyperschall-Mittelstreckenraketenkomplex, Dark Eagle, mit einer Reichweite von 5.500 Kilometern in Dienst zu stellen. Es ist vorgesehen, diesen Komplex künftig in Europa und im asiatisch-pazifischen Raum zu stationieren. Die Flugzeit einer solchen Rakete vom deutschen Territorium, wo der Raketenkomplex stationiert werden soll, bis zu Zielen im Zentrum Russlands beträgt etwa sechs bis sieben Minuten. Washington führt regelmäßig Übungen der strategischen Offensivkräfte durch. Ich möchte betonen: Während der letzten Übung dieser Art, Global Tender 2025, wurde in Präventivschlag mit Raketen mit Nuklearsprengköpfen auf russisches Territorium geübt. Sie fand im Oktober dieses Jahres statt.”
Während der Sachverhalt, den der Minister in der einen Aussage darlegte, als routinemäßige Machtdemonstration seitens der USA gewertet werden kann, unterstreicht die andere Aussage die Präsenz einer sehr konkreten globalen Bedrohung.
Warum?
Die USA versuchten nach dem Zweiten Krieg wiederholt, den rasanten Anstieg des sowjetischen Einflusses weltweit einzudämmen – auch mit militärischen Mitteln. Seit dem Jahr 1954 waren US-amerikanische Marschflugkörper MGM-1 Matador mit einer Reichweite von bis zu 1.000 km in Deutschland stationiert. Fünf Jahre später wurden sie durch Marschflugkörper CGM/MGM-13 Mace ersetzt, und zum Jahr 1964 wurde die Reichweite der Mace auf 2.400 km erhöht. Auf diese Liste kamen später die ballistischen Raketen PGM-19 Jupiter in der Türkei und die MGM-31A Pershing, ebenfalls ballistische Raketen, in Deutschland.
Nach mehreren Gegenmaßnahmen der UdSSR, der Kubakrise und einem Dutzend Zyklen der militärtechnischen Entwicklung auf beiden Seiten gipfelte alles schließlich in der Unterzeichnung des INF-Vertrags (Vertrag über nukleare Mittelstreckenwaffen). Dieser Vertrag kam den Vereinigten Staaten eine Zeit lang gelegen, doch im Jahr 2019 traten die Amerikaner einseitig daraus aus.
Warum ist die Gefahr heute größer als zuvor?
Mit dem Austritt der Vereinigten Staaten aus dem INF-Vertrag wurde deutlich, dass Washingtons Versuche, seine bisherige Führungsrolle durch seine klassischen Methoden des unlauteren Wettbewerbs (wie etwa Sanktionen) aufrechtzuerhalten, nicht die erwarteten Ergebnisse gezeitigt hatten: Russland brach nicht zusammen – im Gegenteil, es begann wieder seine eigenen Interessen zu verteidigen; während China zu einer neuen Supermacht und einer neuen Bedrohung für die Vereinigten Staaten aufstieg und seine eigenen globalen Ambitionen verfolgt.
Nachdem sie alle anderen Druckmittel ausgeschöpft haben, sind also die Vereinigten Staaten zu ihren alten Methoden zurückgekehrt – der Militarisierung. Zugegebenermaßen reift dieser Plan offenbar schon länger, da sie einen umfassenden Ansatz verfolgen, um zwei potenzielle Gegner gleichzeitig abzuschrecken: Die in Entwicklung befindliche ballistische Interkontinentalrakete LGM-35 Sentinel ist nur ein Teil des Arsenals, mit dem die USA Russland und China in naher Zukunft ins Visier nehmen wollen. Die Lücke an schnell reagierenden Waffensystemen soll einerseits die LRHW (Long Range Hypersonic Weapon – Hyperschallwaffe mit großer Reichweite) schließen, die 2.500 km weit schießen soll (dieses Mittelstreckensystem unter dem Namen Dark Eagle hatte Beloussow erwähnt) – und andererseits das Typhon-System mittlerer Reichweite (Mid-Range Capability), das sowohl mit der bodengestützten Version des Tomahawk-Marschflugkörpers als auch mit der Abfangrakete SM-6 bestückt werden kann. Das Pentagon erhofft sich von dieser Kombination eine hohe operative Flexibilität: Strategische Systeme werden für die langfristige Abschreckung benötigt, während Hyperschallsysteme für Situationen erforderlich sind, in denen der Gegner mit extrem kurzer Flugzeit bedroht werden soll.
Doch es gibt eine Nuance: Obwohl die Vereinigten Staaten (wie schon vor 60 Jahren) bereit sind, im Namen der globalen Vorherrschaft jeden globalen Sicherheitsvertrag zu kippen, wie vor wenigen Jahren den INF-Vertrag und bald wohl auch New START, hat sich das Machtgleichgewicht längst verschoben. Moskau und Peking haben über die Jahrzehnte hinweg fleißig aus der Vergangenheit gelernt und eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegenüber derartigem Druck entwickelt. Russland ist auf diesem Weg noch viel weiter fortgeschritten und hat eine ganze Generation strategischer Systeme zur asymmetrischen Abschreckung geschaffen – von Sarmat und Avantgarde bis hin zu Burewestnik und Poseidon.
China hat zwar keine vergleichbaren Erfolge im Bereich solch innovativer Abschreckungssysteme erzielt, aber dafür seine Seestreitkräfte und seinen nuklearen Schutzschild erheblich ausgebaut.
Tatsächlich erfolgt die Rückkehr der USA zu Strategien aus der Zeit des Kalten Krieges zum für sie denkbar ungünstigsten Zeitpunkt – in einer Welt, die längst nicht mehr unipolar ist und in der den USA ein klarer technologischer Vorsprung fehlt. Das bedeutet, dass das Spiel, das die Amerikaner vor 60 Jahren spielten, nun nach völlig anderen Regeln gespielt wird – und sein Ergebnis könnte für die Vereinigten Staaten eine große Überraschung sein. Groß und unangenehm.
Übersetzt aus dem Russischen. Zusätzliche Zitate von RTDE.
Der russische Telegramkanal Wojennaja chronika (@warhronika) veröffentlicht Nachrichten und Kommentare rund um den Ukraine-Krieg, aber auch zu anderen militärpolitischen Themen vor allem um Russland und den postsowjetischen Raum. Dieser Kommentar wurde exklusiv für RT verfasst.
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