Von Maria Marikjan
“Halten sich fest”
Zu den Stellungen von Kampfdrohnenpiloten brechen wir noch vor Sonnenaufgang auf. Wir fahren auf einer gefrorenen, zerschlagenen Wagenspur und gehen zu Fuß weiter. Der Drohnendetektor gibt keine Ruhe, doch der Kämpfer, der uns begleitet, empfiehlt, sich nicht zu sehr auf die Technik zu verlassen. “Wenn ihr ein Summen hört – ab in die Büsche! Hört genau hin und schaut aufmerksam unter die Füße.” Überall liegen Minen und Bomblets von Streumunition. Einige sind kaum zu sehen und wegen der Schlammperiode mit Schmutz “maskiert”.
Es ist die Umgebung des Dorfs Malaja Loknja, das noch vom ukrainischen Militär kontrolliert wird. Der Raum ist offen und gut zu beobachten, wegen ständiger Bedrohung durch FPV-Drohnen müssen wir uns beeilen. Nach einigen hundert Metern erreichen wir einen Unterstand. In einem engen Bunker, der kaum für Gäste ausgelegt ist, ist die Arbeit in vollem Gange: Drohnenpiloten befestigen Spreng- und Hohlladungsgeschosse an den Coptern.
“Jeden Augenblick kann der Befehl kommen, ein Ziel anzugreifen, also müssen wir bereit sein. In Malaja Loknja gibt es viele Drohnenbesatzungen. Sie verstecken sich in den Häusern – fast an jedem Haus gibt es Antennen und Transponder. Noch vor wenigen Tagen bewegten sich ukrainische Soldaten auf Panzerautos und gewöhnlichen zivilen Wagen. Zwischenzeitlich hat die Verkehrsdichte abgenommen. Zunächst fuhren hier jeweils drei bis vier Fahrzeuge vor. Wir stoppten sie noch vor der Frontlinie. Jetzt sind sie vorsichtig und ändern ihre Routen, fahren aber öfter mit M113, Bradleys und Abrams”, erklärt der Pilot der Drohnenbesatzung mit dem Funknamen Iwa (“Weide”).
Seine Erzählung wird vom Rasseln des Funkgeräts unterbrochen. Iwa stürzt sofort los, zieht sich beim Laufen seine Ausrüstung über und sagt knapp: “Jetzt fliegen wir zu einem Abrams.” Aufklärer berichteten: Der Panzer wurde beim Dorf Wiktorowka nahe Malaja Loknja gesichtet.
Gemeinsam mit dem Ingenieur der Besatzung, Sedoi (“Grauhaariger”), bereitet Iwa eine über Glasfaserkabel gesteuerte Drohne vor. “Sie kann 15 Kilometer weit fliegen und bis zu drei Kilogramm Sprengstoff tragen. Die Steuerung und Videoübertragung erfolgen nicht, wie bei gewöhnlichen Drohnen, über Radiosignal, sondern über den Draht. Daher ist sie vor Anlagen der elektronischen Kampfführung geschützt. Ein scharfes Bild die ganze Zeit bis zur Explosion. Hauptsache, der Draht reißt nicht”, sagt der Pilot.
Ein kaum bemerkbarer dünner Faden ist am Gehäuse der Drohne festgemacht, sein anderes Ende ist an der Steuerstation am Boden. Die Drohne ist bereit. Die Kämpfer befehlen, sich im Unterstand zu verstecken.
“Wir halten uns an die Sicherheitsregeln. Die Drohne startet mit bereits entsicherter Sprengladung”, betont Sedoi.
Der Pilot mit dem Funknamen Fasan steuert den “Vogel”. “Da ist der Abrams, in einem Stück. Nur aus irgendeinem Grund ‘barfüßig’, ohne Raupenkette”, kommentiert Iwa das Bild am Bildschirm. Die Drohne schleicht sich an den Panzer heran und explodiert an dessen Reaktivpanzerung. Ihr folgt eine weitere Kamikaze-Drohne, danach schalten sich weitere Drohnenbesatzungen ein. Kämpfer aus einer anderen Einheit erledigen den Panzer mit einer Lancet-Kamikaze-Drohne – der Abrams geht in Flammen auf.
“Ein begehrtes Ziel”
“Technik ist das begehrteste Ziel. So ließen wir einen Bradley bei Nowoiwanowka abbrennen. Der Schützenpanzer bewegte sich auf unsere Stellungen zu und war nur noch 500 Meter entfernt. Dann schloss sich uns eine andere Drohnenbesatzung an. Die Panzerbesatzung saß ab, wir schickten noch ein Geschoss nach – die Maschine geriet in Brand”, beschreibt Fasan eine der Kampfepisoden.
Die meisten Ziele gab es gerade in Nowoiwanowka – dort hielt sich das ukrainische Militär so gut es ging, weil das Dorf an einer Straße liegt, über die die Einheiten versorgt wurden.
“Sie kamen fünf bis sechs Mal am Tag über Leonidowo, manchmal in Kolonnen. Sie versuchten Gegenangriffe, aber erfolglos. Sobald ihre Infanterie absaß, schalteten sich unsere Stoßtrupps ein und mähten sie nieder. Und wir gaben Deckung aus der Luft.”
Indessen eskaliert die Lage am Boden – das ukrainische Militär beschießt die Zufahrtswege mit Streumunition. Das typische abrupte Knallen wird immer lauter. Nur 100 Meter vom Unterstand entfernt gibt es eine Explosion.
Die Kämpfer winken alles nur ab. “Wir haben schon Schlimmeres erlebt. Vor einigen Tagen ging ein Treffer ganz in der Nähe nieder, die ‘Decke’ wurde beschädigt, wir mussten sie reparieren. Jetzt ist sie wie neu”, zeigt der Kämpfer mit dem Funknamen Komar (“Mücke”) auf neues Gebälk.
Bei der Besatzung ist Komar der Jüngste, erst vor vier Monaten angekommen. Er hilft dem Ingenieur, die Drohnen zu beladen, und ist für Nachtwachen zuständig. Bisher lernt er von Älteren. Iwa kämpft dagegen seit den ersten Tagen der Spezialoperation. Bei Ugledar erlitt er eine schwere Quetschung: Sein gepanzerter Mannschaftstransporter fuhr auf eine Mine. Einige Monate später dann eine Explosionswunde: “Ein Splitter traf den Rücken. Ich verzichtete auf einen Krankenhausaufenthalt, die Wunde wurde versorgt, und ich kam zurück. Irgendwann komme ich dazu und hole ihn doch noch raus…”
Iwa wird von einem Ruf von außen unterbrochen:
“Jungs, macht mal schnell einen Tee. Mit viel Zucker!”
Vor dem Unterstand halten vier Soldaten an – drei Kämpfer eines Stoßtrupps und ein Sanitäter, wie sich später herausstellt. “Die Jungs gerieten in die Klemme, ich ging sie herausholen. Sie sind verwundet, können aber laufen. Sie liefen stundenlang und haben viel Blut verloren. Ein heißer süßer Tee kommt da ganz gelegen. Wir gehen zum nächsten sicheren Punkt und fahren von dort aus weiter”, zeigt der Kommandeur des Evakuierungstrupps auf seine Begleiter.
Am linken Fuß des Kämpfers des Stoßtrupps der 155. Brigade mit dem Funknamen Wolk (“Wolf”) fehlt der Schuh. Der Fuß ist verbunden und in mehreren Schichten von Lappen überdeckt.
“Wir gerieten unter Drohnenbombardement. Es war so: Zwei von uns überwanden das offene Gelände und setzten sich fest. Die restlichen vier wurden eingekreist. Wir kamen zurück, um sie abzuholen. Die ‘Vögel’ kamen wie Fliegen auf uns zu… Wir leisteten einander erste Hilfe, lagen einen Tag lang im Gebüsch und bewegten uns nicht einmal, um nicht entdeckt zu werden. Leider blieben nicht alle kampffähig. Erst am nächsten Tag drangen die Sanitäter zu uns durch. Sie wurden mit Streumunition beschossen. Die ersten vier schafften es raus. Dann rückten auch wir aus. Wie lange wir liefen, weiß ich gar nicht”, seufzt Wolk.
Dies ist sein zweiter Kampfeinsatz und die zweite Verwundung. Die erste schwere Verletzung am Bein erlitt er im März 2024, bei Nowomichailowka in der Donezker Volksrepublik. Dort geriet er ebenfalls unter eine von einer Drohne abgeworfene Granate und brauchte fast ein Jahr, um sich zu erholen.
“Er redet sich klein. Im Übrigen wurde er auch noch mit dem Tapferkeitsorden ausgezeichnet”, fügt der Kommandeur des Evakuierungstrupps hinzu.
“Hier gibt es viel mehr ‘Vögel’. Doch was kann man schon tun, wir müssen die Brut von unserem Boden vertreiben. Deswegen bin ich hier. Ich hoffe, es wird schon mit dem Fuß. Bisher kann ich ihn noch spüren…”
Nachdem er einige Schlücke vom pappsüßen Tee genommen hat, reicht Wolk die Tasse an seine Kameraden weiter. Hilfe lehnen sie alle ab und setzen nach einer kurzen Rast ihren Marsch fort.
“Keine Gegner für uns”
“Es ist wirklich schwer – der Gegner versucht zu verhindern, dass wir uns seinen Stellungen nähern. Wir arbeiten in Waldstreifen, in Hainen und verbringen die meiste Zeit in Bewegung. Auch die Landschaft spielt eine Rolle. Wegen ständiger Temperaturschwankungen kann die Technik nicht immer über Felder fahren, deswegen muss man zu Fuß gehen, was riskant ist”, bemerkt der Kommandeur eines Scharfschützentrupps mit dem Funknamen Fanat (“Fan”). Seine Kämpfer halten hier Wache, Seite an Seite mit Drohnenpiloten und Stoßtruppsoldaten.
Die Scharfschützen verbringen Tage an ihren Stellungen. Ihre Ziele sind in der Regel Besatzungen mit Maschinengewehren und automatischen Granatwerfern. Eine der Episoden aus dem Kursker Grenzgebiet, an die sie sich erinnern, ist der Hain von Olgowka, wo sie ukrainische Soldaten eingekesselt hatten.
“Das war im Herbst, wir deckten einen Stoßtrupp. Es war ein Erfolg, wir stellten sicher, dass unsere Jungs problemlos anrücken. Was die ukrainischen Soldaten angeht, wurden sie anscheinend von ihrem Kommando einfach aufgegeben. Wir treffen hier sowohl Mobilisierte als auch Spezialisten von ukrainischen Sondereinheiten, darunter aus ‘Kraken’. Diese sind ideologisch aufgeladen, fliehen aber trotzdem vor unserem Ansturm”, betont Fanat.
Dies bestätigt auch der Kommandeur eines Stoßtrupps mit dem Funknamen Manitu: “Jetzt rücken wir zu einer der Siedlungen vor. Ich möchte insbesondere von ausländischen Söldnern erzählen, die bei ukrainischen Verbänden dienen. Franzosen, Amerikaner, Spanier, Briten… was es nicht alles gibt. Gegenwärtig haben wir es mit Litauern zu tun. Viele denken, dass die Legionäre Profis sind. Das stimmt nicht. Wenn wir uns ihnen nähern, verteidigen sie sich, doch nach einem zweiten Sturm verlassen sie ihre Stellungen. Für uns sind sie keine Gegner.”
Die Söldner agieren unter anderem als Sperrtrupps für zwangsrekrutierte Ukrainer. “Unter denen gibt es fast keine Jungen, hauptsächlich sind es Menschen über 50. Sie werden an die vorderste Front gepresst und sind gar nicht motiviert. Sie schießen zurück und ergeben sich bei erstbester Gelegenheit”, erklärt Manitu.
Die Lage am Frontabschnitt der 155. Brigade der Pazifikflotte verschärft sich. Das ukrainische Kommando schickt weiter Eliteverbände in den Kampf, um die besetzten Stellungen zu halten. Indessen kesseln die Marineinfanteristen Kiews Truppen immer weiter ein und rücken Schritt für Schritt vor.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 31. Januar.
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