Von Dagmar Henn
Schon eigenartig, wenn die Pose der beleidigten Diva als politische Haltung durchgeht, wie bei Robert Habecks Ablehnung eines TV-Duells mit Alice Weidel. Dabei sollte man doch, gerade bei jemandem, der ständig betont, wie antidemokratisch die AfD sei, erwarten, dass er geradezu nach einer Gelegenheit lechzt, diesen Gegner zu entlarven. Nun, womöglich war das ein plötzlicher Anfall realistischer Einschätzung eigener intellektueller Fähigkeiten.
Allerdings – das ganze Konzept der geplanten “Kanzlerduelle” ist schräg. Es widerspricht dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, es widerspricht sogar der Form der deutschen Demokratie. Was an diesem konkreten Fall nur besonders sichtbar wird, weil die Manöver, die da stattfinden, allzu deutlich auf die Verhinderung einer ganzen Reihe von Themen abzielen. Was durch die Frage der Personen, die teilnehmen dürfen oder teilnehmen wollen, nicht nur notdürftig kaschiert wird.
Der Ursprung der Form des Kandidatenduells liegt nicht in Deutschland, sondern in den USA; sie entstand primär im Präsidentschaftswahlkampf. Nun gibt es zwei signifikante Unterschiede zwischen den politischen Systemen der USA und Deutschlands. Die Verfassung der USA ist um einen direkt gewählten Präsidenten aufgebaut und es gilt ein Mehrheitswahlrecht (auch für den Kongress). In Deutschland wird der Kanzler durch das Parlament gewählt, und es gilt ein Verhältniswahlrecht. Im ersten System sind Kandidatenduelle eine logische Konsequenz, bis auf die untersten Ebenen. Im zweiten, also in Deutschland, widersprechen sie im Grunde der politischen Entscheidung, die in der Wahl getroffen wird. Denn gleich, wie sehr eine einzelne Person in den Mittelpunkt der Darstellung gerückt wird, gewählt wird eine Partei. Was mit beinhaltet, dass der Spitzenkandidat selbst einer siegreichen Partei nicht notwendigerweise auf dem Kanzlersessel enden wird.
Trotzdem haben sich derartige Formate im Laufe der Jahrzehnte durchgesetzt, rein aus Unterhaltungsgründen. Und natürlich macht es wesentlich weniger Arbeit, einfach ein paar Gestalten einander gegenüberzusetzen, statt durch eine offene Darstellung politischer Inhalte “als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen” (Rundfunkstaatsvertrag § 11 Auftrag).
Das wäre noch hinnehmbar, wenn nicht vorab zusätzlich manipuliert würde. Eine Begrenzung auf jene Parteien, die aller Voraussicht nach mehr als 5 Prozent erzielen, ließe sich vielleicht noch rechtfertigen (obwohl auch das einen Anklang von selbsterfüllender Prophezeiung hat); aber schon der Schritt, diese Auswahl dann auf Zweierduelle einzudampfen, ist ausgesprochen fragwürdig. Wenn dann die Zusammensetzung dieser Duelle auch noch nach Lust und Laune geschieht, ist das endgültig nicht mehr haltbar.
AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel hat durchaus recht mit ihrer Feststellung, wenn es nach dem erwartbaren Wahlerfolg ginge, müsste die erste Paarung Friedrich Merz gegen Alice Weidel lauten, und für die zweite bliebe dann Olaf Scholz gegen Robert Habeck (was die Frage immer noch nicht klärt, wo dann Sahra Wagenknecht unterzubringen wäre). Wobei, wer weiß, vielleicht denkt es sich in den Reihen der öffentlich-rechtlichen Sender so, wie es der CDU-Altpolitiker Ruprecht Polenz twitterte:
2/2 Zusätzlich sollte es eine Runde mit den Spitzenkandidaten aller Parteien geben, die eine Chance haben, in den nächsten Bundestag einzuziehen.
— Ruprecht Polenz @polenz.bsky🇪🇺🇩🇪🇮🇱🇺🇦🪝📯😇 (@polenz_r) December 17, 2024
Ein hübscher Trick, dieses “da niemand mit der AfD koaliert”… schon ist Habeck mit seiner Partei, die in den Umfragen derzeit irgendwo zwischen zehn und dreizehn Prozent steht, als Beinahekanzler an Weidel vorbeigezogen.
Allerdings könnte man auch denken, dass Habecks Reaktion kein Zufall ist, sondern genau so beabsichtigt, um dann erklären zu können, leider, leider lasse sich ein zweites Duell nicht organisieren – wobei ja Habeck durchaus auch durch Sahra Wagenknecht ersetzt werden könnte.
Und alleine diese Fantasie, die Aufteilung Merz/Scholz und Weidel/Wagenknecht macht sichtbar, wo die wirklichen Probleme liegen, die diese Manöver auslösen. Diese Paarungen wären unter dem Gesichtspunkt der Unterhaltung (der einzige, der überhaupt für dieses dem deutschen Wahlrecht nicht entsprechende Format spricht) absolut langweilig. Weil es jeweils zu viel Konsens gibt und sich die Debatte weitgehend auf Nebensächlichkeiten beschränken wird, was dann zur Folge hat, dass in beiden Fällen für die Wahlentscheidung wesentliche Fragen gar nicht auftauchen. Abgesehen davon, dass auch diese saubere Geschlechtertrennung zur Langeweile beitragen würde.
Eine Variante, die nicht langweilt, würde aber genau die Themen auf den Tisch legen, die sowohl seitens des NATO-Blocks der deutschen Parteienlandschaft als auch seitens der Redakteure der öffentlich-rechtlichen Sender gerade nicht behandelt werden sollen, obwohl sie eine zentrale Rolle nicht nur für die Wahlentscheidung, sondern sogar für die deutsche Zukunft spielen.
Diese Liste beginnt bei Corona und reicht über Ukraine und Nord Stream bis zur EU. Das einzige Detail davon, das Merz und Scholz debattieren würden, wäre die Frage, ob die deutschen Taurus-Marschflugkörper auch noch nach Kiew geliefert werden sollen (samt Bedienpersonal, wie das bei diesen Dingern eben ist) oder nicht. Egal, wie man die beiden Frauen mit den beiden Männern mischen würde, es ginge immer um die ganze Liste.
Was sich nun keinesfalls als undemokratisch abqualifizieren ließe, im Gegenteil. Diese Debatten würden genau das liefern, was sie eigentlich, nach dem oben zitierten Auftrag, liefern sollen, eine Grundlage für eine informierte Entscheidung. Und sie wären auf jeden Fall spannend, ganz im Gegensatz zum avisierten Format Merz/ Scholz.
Wie die Variante Habeck/Weidel ablaufen würde, ist leicht vorstellbar. Habeck wäre thematisch, selbst sekundiert von der Moderation, ständig in der Defensive. Beim Thema Wirtschaft ebenso wie beim Thema Migration, von Nord Stream ganz zu schweigen. Und zumindest in diesem Punkt wäre eine persönliche Entscheidung von ihm, dieser Konfrontation auszuweichen, nachvollziehbar – die anderen beiden, Merz und Scholz, kämen nämlich davon, als hätten sie mit all dem nichts zu tun. Merz hat ja mitnichten die transatlantische Verblendung der Ampel kritisiert, sie ging ihm vielmehr nicht weit genug. Dass Habeck keine Lust hat, diese Suppe alleine auslöffeln zu müssen, kann man verstehen. Das allerdings wird er auf keinen Fall öffentlich als Grund angeben.
Polenz stellt sich zumindest noch eine Runde der “Übrigen” vor. Was aber bei einem Männertrio Merz, Scholz und Habeck und einer gemischten Runde Weidel, Wagenknecht und Lindner endet. Bedeutet letztlich, Merz wird Habeck mit dem Heizgesetz, Scholz und Habeck mit dem Thema Migration angreifen, Scholz und Habeck ihn wiederum mit dem Thema Soziales – was, solange die Punkte Nord Stream und Ukraine nicht Teil der Debatte sind, nur eine dumme Heuchelei wird. Lindner wird in der “Resterunde” versuchen, das Ganze auf eine Besteuerungsdebatte zu reduzieren und den Themen Ukraine, NATO und EU auszuweichen. Nein, auch da wird kein Schuh draus.
Letztendlich wird der Versuch, die unerwünschten Themen zu umgehen, den Führungsetagen der Sender wichtiger sein als die Frage, ob die Sendung das Anschauen lohnt oder gar, ob die Wähler die für ihre Wahlentscheidung wichtigen Informationen erhalten. Denn da regiert das Eigeninteresse, und das besteht darin, die Narrative der letzten Jahre nicht in Frage stellen zu lassen.
Wobei dabei womöglich überreizt wurde. Der Focus beispielsweise meldet, noch bevor ARD und ZDF überhaupt mitteilten, eine zweite Runde mit Weidel und Habeck sei geplant, dass es bereits bekannt gewesen sei, dass Habeck daran nicht teilnehmen würde, und kommentiert:
“ARD und ZDF schneidern sich die Teilnahmekriterien, wie es ihnen passt – dagegen ist die Kandidatenauswahl beim Dschungelcamp geradezu transparent.”
Übrigens, wenn man nach den parteipolitischen Präferenzen der Journalisten geht (41 Prozent Grüne), wäre eine Teilnahme von Habeck an derartigen Sendungen ohnehin unangebracht. Das, was er zu sagen hätte, wird von ihnen sowieso schon tagein, tagaus vorgetragen. Wollte man das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wiederherstellen, müssten während dieses Wahlkampfs gerade die tabuisierten Themen in den Vordergrund gerückt werden, um sich der Vorgabe der Unparteilichkeit zumindest ein Stück weit anzunähern. Aber nachdem sich alle Vorhersagen der unerwünschten Kritiker, sowohl bezogen auf die Corona-Maßnahmen als auch bezogen auf die Folgen der fatalen Ukraine-Politik, bewahrheitet haben und das Land wirklich bis zum Hals in der dadurch gegrabenen Grube steckt, ist das letzte Mittel, das noch verbleibt, die konsequente Durchsetzung des Schweigegebots. Die Probleme verschwinden zwar nicht, wenn man nicht darüber redet (Merz/Scholz dürfte in dieser Hinsicht neue Rekorde setzen), aber vielleicht kann man ja gerade noch bis zum Wahltag so tun, als gäbe es sie nicht.
Das kann die Wirklichkeit noch auf vielfache Weise unterlaufen. Immerhin ist da auch noch ein Monat einer Regierung Trump in den USA. Und die Entlassungsankündigungen aus der deutschen Industrie, die von Runde zu Runde größer werden. Und Dunkelflauten. Wobei, wer es schafft, den Genozid in Gaza medial verschwinden zu lassen, kann auch hier das Zaubertuch über den wirklichen Verfall breiten. Wenigstens bis zur Bundestagswahl.
Vielleicht kann der ganze Zirkus, wenn er schon die Deutschen mit Debatten beschenkt, die man sich schenken kann, zumindest eines bewirken: dass endlich etwas breiter und lauter darüber nachgedacht wird, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch in irgendeiner Form das tut, was er eigentlich tun sollte. Und wenn das nur ein Kollateralnutzen aus der Auseinandersetzung um die Bestückung dieser Sendungen ist, die sicher noch eine Zeit lang anhält. Jeder Zentimeter wiedererrungenen journalistischen Anstands wäre das wert.
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