Von Gert Ewen Ungar
Merz erklärte heute im Bundestag im Hinblick auf den Ukraine-Konflikt, die diplomatischen Mittel zu seiner friedlichen Beilegung seien erschöpft. Merz sagte wörtlich,
“Wir werden der Ukraine weiter helfen, auch gegen den Widerstand der politischen Linken und der russlandfreundlichen Rechten. Die Mittel der Diplomatie sind ausgeschöpft.“
Diese Aussage lässt politische Beobachter ratlos zurück. Die Mittel der Diplomatie seien ausgeschöpft, sagt der Kanzler, und behauptet damit gleichzeitig, Diplomatie sei seitens der Bundesregierung zu irgendeinem Zeitpunkt des Konflikts ernsthaft bemüht worden. Diese Aussage ist schlicht falsch.
Es gibt seitens der deutschen Politik seit mindestens dem Jahr 2014 kein Bemühen darum, die Ukraine-Krise friedlich, mit den Mitteln der Diplomatie zu lösen. Dabei gibt es allerdings Schattierungen. Während Kanzlerin Angela Merkel mit Minsk 2 diplomatisches Bemühen noch vortäuschte, brachen die Folgeregierungen den Kontakt zu Russland weitgehend ab und zerstörten die deutsch-russischen Beziehungen systematisch.
Annalena Baerbock erklärte Russland den Krieg und versprach die Zerstörung der russischen Wirtschaft. Olaf Scholz schaffte es immerhin noch, am Ende seiner Amtszeit wenigstens noch einmal zum Telefonhörer zu greifen und mit Putin zu sprechen, auch wenn er es an echtem Bemühen um eine Lösung des Konflikts fehlen ließ. Er wollte lediglich die westlichen Forderungen durchsetzen. An Frieden hatte auch Scholz kein Interesse. Die von ihm bemühte Formel vom “dauerhaften und gerechten Frieden” bedeutete immer die strategische Niederlage Russlands.
Merz schafft dagegen noch nicht einmal den Griff zum Telefonhörer. Zwischen Außenminister Wadephul und seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow gibt es ebenfalls keinen Kontakt. Die Diplomatie ist daher nicht ausgeschöpft, sie findet ganz einfach seit geraumer Zeit gar nicht statt. Sowohl Merz als auch Wadephul verweigern bezüglich des Ukraine-Konflikts seit ihrem Amtsantritt im Mai jeder diplomatischen Initiative.
Unter einem etwas anderen Blickwinkel hat Merz allerdings dennoch recht. Das Zeitfenster, in dem eine diplomatische Lösung möglich gewesen wäre, beginnt sich zu schließen. Gibt es nicht noch ganz schnell ein sehr kräftiges Bemühen um Gespräche, ist die bedingungslose Kapitulation der Ukraine zu erwarten.
Die Ukraine verliert nach offiziellen russischen Angaben derzeit täglich um die 1.600 Soldaten. Die ukrainische Armee wird verschlissen, Russland rückt stetig vor. Das russische Fernsehen zeigt regelmäßig Interviews mit ukrainischen Kriegsgefangenen. Vor geraumer Zeit hat man den interviewten Männern noch abgenommen, Soldaten zu sein. Inzwischen handelt es sich bei den gezeigten um ganz erbarmungswürdige Gestalten, denen man auf den ersten Blick ansieht, dass sie einem Einsatz an der Front weder physisch noch psychisch gewachsen sind. Der Ukraine geht der menschliche Nachschub für den Fleischwolf an der Front aus.
Die Armee der Ukraine wird auf deutsches Betreiben hin verschlissen. Der Kanzler verspricht der Ukraine Unterstützung. Allerdings verfügt Deutschland nicht über die Mittel, die es bräuchte, um eine militärische Wende herbeizuführen. Merz verspricht daher Selenskij und den West-Ukrainern etwas, das er nicht halten kann.
Der Preis, den die Ukraine für das von Deutschland gegebene, aber nicht einlösbare Versprechen bezahlen muss, ist hoch. Jeden Tag 1.600 tote ukrainische Soldaten. Eine ganze Generation von ukrainischen Männern wird im Vertrauen auf ein falsches deutsches Versprechen ausgelöscht. Die dadurch herbeigeführte demografische Delle hat für die wirtschaftliche Zukunft der Ukraine schwerwiegende Folgen. Nicht Putin zerstört die Ukraine, Merz tut es.
Man benötigt keine umfassenden Kenntnisse in Soziologie, um absehen zu können, in welche Richtung sich das deutsch-ukrainische Verhältnis entwickeln wird, wenn sich der Rauch über dem Schlachtfeld gehoben hat. Deutschland hat mit der Sabotage von Minsk 2 maßgeblich zur Eskalation des Konflikts beigetragen, zu seiner Lösung kommt aus Deutschland nichts. Im Gegenteil tut Deutschland seit nunmehr drei Jahren alles dafür, den Konflikt in die Länge zu ziehen – auf Kosten der Ukraine.
Im Nachhinein wird auch den Ukrainern klar werden, wer für ihr Unglück die Verantwortung trägt. Russland ist es nicht, denn von russischer Seite wurde der Weg zu einer diplomatischen Lösung immer offen gehalten. Bereits gefundene Lösungen zur Regulierung des Konflikts wurden mehrfach vom Westen sabotiert – auch von Deutschland.
Ja, die Zeit der Diplomatie geht zu Ende. Allerdings auf eine andere Art und Weise, als Merz das dem Bundestag und den Deutschen suggeriert. Die Ukraine verliert diesen Krieg und Deutschland verfügt auch in der Allianz mit seinen europäischen Partnern nicht über die Mittel, daran etwas zu ändern. Weigert sich Merz weiterhin, zum Telefon zu greifen und ernst zu nehmende diplomatische Schritte zu unternehmen, bleibt ihm nur, den Krieg in die Länge zu ziehen und damit die Ukraine weiter ausbluten zu lassen. Die Geschichte, vor allem aber die Ukrainer, werden es ihm nicht vergessen. Garantiert!
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