Yūsuke Narita, Professor an der renommierten US-Universität Yale, hat seine Behauptung zurückgenommen, wonach alte Menschen in Japan Massenselbstmord begehen sollten, um das Problem der schnell alternden Gesellschaft zu lösen. Das Land kämpft seit Jahren mit der Überalterung. Die Geburtenrate sank zuletzt immer weiter, die Einwohnerzahl schrumpfte infolgedessen. Zugleich wird die Zuwanderung durch eine strenge Migrationspolitik unterbunden. Japans Premierminister Fumio Kishida erklärte erst vor Kurzem das Kinderkriegen zur höchsten Priorität.
Narita hatte bereits im Jahr 2021 bei einem Auftritt in einer japanischen YouTube-Nachrichtensendung die seiner Meinung nach “einzige Lösung” für die Krise Japans vorgeschlagen. So hatte er damals betont:
“Ich habe das Gefühl, dass die einzige Lösung ziemlich klar ist. Ist es am Ende nicht Massenselbstmord und Massen-Seppuku der älteren Menschen?”
Der Assistenzprofessor für Wirtschaftswissenschaften an der Yale University hatte sich dabei auf den rituellen Selbstmord bezogen, der unter entehrten Samurai bis zum 19. Jahrhundert üblich gewesen war.
Die Kommentare Naritas waren für lange Zeit weitgehend unbemerkt geblieben, bis sie im vergangenen Monat im Internet aufgetaucht waren und am Sonntag in einem Artikel der New York Times zitiert wurden. Die US-Zeitung führte dabei zugleich mehrere Beispiele aus der Vergangenheit an, in denen Narita den Selbstmord befürwortet hatte. Darunter war etwa sein Vorschlag aus dem vergangenen Jahr an eine Gruppe von Studenten, dass Menschen sich einfach von Klippen stürzen könnten, oder ein Interview, in dem er sagte, dass die Möglichkeit, die Euthanasie “in Zukunft obligatorisch zu machen, in der Diskussion auftauchen” werde.
Den Daten des vergangenen Jahres zufolge hatte Japan mit fast 30 Prozent der über 65-Jährigen den höchsten Anteil älterer Menschen auf der Welt. Das Land hat außerdem eine der niedrigsten Geburtenraten und die höchste Staatsverschuldung unter den Industrieländern.
Die Äußerungen Naritas hatten vor allem Social-Media-Nutzer im Zuge der aktuellen Debatte ums Japans alternde Gesellschaft wiederentdeckt. Die New York Times billigte Naritas “Lösung” nicht direkt, wies aber in dem Artikel darauf hin, dass seine Äußerungen “die Tür zu dringend notwendigen politischen Debatten über eine Rentenreform und Änderungen des Sozialsystems” öffnen könnten. Zudem unterstütze eine Mehrheit der japanischen Öffentlichkeit die Legalisierung der freiwilligen Sterbehilfe.
Im Westen jedoch war der Schaden bereits entstanden. Stephen Miller, Redakteur in der britischen Zeitschrift Spectator, erklärte, dass die “US-amerikanische Presse auf dem besten Weg ist, Euthanasie zu befürworten“, während sich Hunderte von empörten Kommentaren unter einem Tweet der US-Zeitung stapelten, in dem die Geschichte beworben wurde. Naritas Akademiker- und Autorenkollegen warfen ihm vor, “unverantwortlich” zu agieren und “Hass gegen die Schwachen” zu schüren.
In einer Antwort an die US-Zeitung erwiderte der 37-Jährige selbst, seine Worte seien “aus dem Zusammenhang gerissen” worden: Er habe nicht über alte Menschen im Allgemeinen gesprochen, sondern “in erster Linie über das Phänomen in Japan, wo dieselben Tycoons seit vielen Jahren die Welt der Politik, der traditionellen Industrien und der Medien/Unterhaltung/Journalismus beherrschen”. Ausdrücke wie “Massenselbstmord” und “Massen-Seppuku” seien nur “eine abstrakte Metapher”, betonte er und fügte hinzu, dass er bereits im vergangenen Jahr beschlossen habe, solche Begriffe überhaupt nicht mehr zu verwenden.
Im Januar veröffentlichte die japanische Regierung Daten über die Zahl der Selbstmorde im Land im Jahr 2022. Demnach nahmen sich im vergangenen Jahr 21.584 Menschen das Leben, das seien 577 mehr als 2021 gewesen. Ein Beamter des Gesundheitsministeriums in Tokio kommentierte die Zahlen mit den Worten:
“Auffallend ist der Anstieg bei Männern zwischen 40 und 60 Jahren sowie bei Rentnern und Arbeitslosen.”
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