Der rechtsextreme israelische Finanzminister Bezalel Smotrich kolportiert im Rahmen eines Interviews im israelischen Armeeradio seine persönliche Gedankenwelt. Argumentativ soll die Mehrheit der im Gazastreifen lebenden palästinensischen Araber aufgefordert werden, in andere Länder auszuwandern, so Smotrich. Es seien für ihn drastische Maßnahmen erforderlich, um die Sicherheit Israels zu gewährleisten und damit “weitere Übergriffe der Hamas” zu verhindern. Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas reagierte am Sonntag in einer Rede umgehend:
“Wir werden keine Vertreibung zulassen, weder aus dem Gazastreifen noch aus dem Westjordanland.”
Für den israelischen Minister stehe eindeutig fest, dass nur angesiedelte Israelis “die Wüste zum Blühen bringen.” “Was im Gazastreifen getan werden muss, ist, die Auswanderung zu fördern”, so Smotrich, der Vorsitzende der ultrareligiösen Partei HaTzionut HaDatit (“der Religiöse Zionismus”), am Sonntag im israelischen Armeeradio. Wörtlich teilte er mit:
“Wenn es 100.000 oder 200.000 Araber in Gaza gibt und nicht 2 Millionen Araber, wird die ganze Diskussion am Tag danach ganz anders aussehen.”
Smotrich gab weiter zu Protokoll, dass der Gazastreifen generell in Israel anders gesehen würde, wenn die 2,3 Millionen Einwohner dort nicht mehr “mit dem Bestreben aufwachsen würden, den Staat Israel zu zerstören.” Und weiter:
“Der größte Teil der israelischen Gesellschaft wird sagen: ‘Warum nicht? Es ist ein schöner Ort, lasst uns die Wüste zum Blühen bringen, das geht auf niemandes Kosten.'”
Er schlug des Weiteren vor, einen internationalen Umsiedlungsplan für die Palästinenser auszuarbeiten. Smotrich wörtlich: “Es wird Einwanderung geben und wir werden im Gazastreifen leben” und “Sie wollen gehen, sie leben seit 75 Jahren in einem Ghetto und sind in Not.” Laut Smotrich würden die Menschen zudem mit anti-israelischer Propaganda aufwachsen.
Bis zu 1,9 Millionen Menschen – oder mehr als 85 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens – wurden nach Angaben der UNO vertrieben, seit die israelische Armee als Reaktion auf die Ereignisse vom 7. Oktober einen unerbittlichen militärischen Vernichtungsangriff startete. Die israelischen Streitkräfte (IDF) forderten dabei die Menschen zunächst auf, aus dem nördlichen Teil der palästinensischen Enklave zu fliehen, und wiesen schließlich diejenigen, die sich in der südlichen Stadt Khan Yunis aufhielten, an, sich noch weiter vom Kampfgebiet zu entfernen.
In einer ersten Reaktion erklärte die Hamas laut dem arabischen Sender Al Jazeera zu Smotrichs Äußerungen, “zwei Millionen Palästinenser zu vertreiben und etwa 200.000 im Gazastreifen zu behalten, sei ‘ein Kriegsverbrechen, das mit krimineller Aggression einhergeht.'”
In der Erklärung fügte die Hamas hinzu, dass die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen Maßnahmen ergreifen müssten, “um Israels Verbrechen zu stoppen und es für das, was es dem palästinensischen Volk angetan hat, zur Verantwortung zu ziehen.” Al Jazeera verweist in einem Artikel darauf, dass dies nicht die erste provokative Verlautbarung seitens Smotrich gewesen sei. Derartige Wahrnehmungen würden auch in den USA kritisch bewertet.
Smotrichs Partei, die Präsident Netanjahu vor fast genau einem Jahr zu der Mehrheit verholfen hat, die er benötigte, um zum sechsten Mal Ministerpräsident zu werden, hat seit Beginn des Konflikts einen Einbruch ihrer Zustimmungswerte erlebt. Aktuelle Meinungsumfragen würden zudem zeigen, dass die meisten Israelis die Rückkehr israelischer Siedlungen in den Gazastreifen aktuell nicht unterstützen würden, so Al Jazeera.
Israel lehnt weiterhin Forderungen nach einer sofortigen Waffenruhe kategorisch ab, obwohl die UNO wiederholt vor einer humanitären “Katastrophe” in der Enklave gewarnt hat. Israels Regierungspolitiker und die IDF behaupten weiterhin, dass die Hamas die volle und alleinige Verantwortung für den Tod der Menschen in Gaza trage und beschuldigen die Organisation fortdauernd, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu benutzen.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu teilte laut israelischen Medienangaben am Samstagabend mit, dass die rund 14 Kilometer lange sogenannte Philadelphi-Passage, entlang der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten, auch nach einem Kriegsende von Israel kontrolliert werden müsste. Nur so könne eine Entmilitarisierung des Gazastreifens gewährleistet werden.
Hussein Al Sheikh, Generalsekretär des Exekutivausschusses der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und Berater des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, kommentierte einen Tag später im Rahmen eines X-Postings. Netanjahus Ausführungen, dass Israel beabsichtige, wieder die Kontrolle über den Philadelphi-Korridor und den Rafah-Übergang auf palästinensischer Seite übernehmen zu wollen, sei “ein klarer Beweis für die Entscheidung, die Besatzung vollständig wiederherzustellen und die Vereinbarungen mit Ägypten zu zerstören.” Es sei damit auch die Beendigung aller Abkommen mit der PLO, so Al Sheikh weiter.
Der PLO-Generalsekretär erkenne rein Netanjahus Ansinnen, über die militärischen Aggressionen neue Fakten zu schaffen und forderte daher eine kollektive Antwort:
“Dies erfordert eine einheitliche palästinensisch-arabische Entscheidung, um die Folgen zu bewältigen.”
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