Tief im Zentrum der Erde, ab etwa 5.000 Kilometern Tiefe, beginnt der sogenannte innere Erdkern. Anders als der ihn umgebende flüssige äußere Erdkern besteht der innere Erdkern aus Eisen und Nickel und ist aufgrund des hohen Druckes trotz der dort herrschenden Temperaturen fest. Genau wie die darüber liegenden, teils flüssigen Erdschichten rotiert auch der feste innerste Kern um die Erdachse – nach bisherigen Erkenntnissen allerdings ein wenig langsamer oder schneller als der Erdmantel. Nun haben Geowissenschaftler bei einer Analyse von Erdbebendaten festgestellt, dass dieser feste innere Eisen-Nickel-Kern der Erde innerhalb einer geschmolzenen äußeren Hülle nahezu reibungslos rotierend seine Drehung ein klein wenig verlangsamt hat.
Was zunächst nach einem Science-Fiction-Film à la “The Core” aus dem Jahr 2003 klingt, in dem ein solches Szenario vorhergesagt wird, geschieht jedoch wahrscheinlich nicht zum ersten Mal, nicht einmal selten. Obwohl niemand den Kern direkt untersuchen kann, können Geophysiker den Kern durch seismische Wellen analysieren, die etwa durch natürliche Erdbeben oder auch Atomwaffentests verursacht werden. Genau das haben die Geowissenschaftler Yi Yang und Xiaodong Song, Seismologen an der Universität Peking, für ihre neueste Studie getan. Die Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht wurde, beschreibt die Untersuchungen und Resultate zur Bewegung des inneren Erdkerns.
Die Wissenschaftler wollen nun herausgefunden haben, dass sich die Bewegung des inneren Kerns relativ zur äußeren Hülle kürzlich verlangsamt hat, so dass sie dies als “pausiert” bezeichnen, was “mit einer allmählichen Umkehrung [der Relativbewegung] des inneren Kerns als Teil einer etwa sieben Jahrzehnte dauernden Oszillation verbunden” zu sein scheint. “Wir machten überraschende Beobachtungen, die darauf hindeuten, dass der innere Kern seine Rotation in den letzten zehn Jahren fast eingestellt hat und möglicherweise eine Wende seiner Drehrichtung erfährt”, erklärten Yang und Song gegenüber Nature. Die letzte Umkehrung dieser Art konnte vermutlich in den frühen 1970er Jahren registriert werden.
Unser Wissen über das Innere der Erde ist trotz der technischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte immer noch sehr begrenzt. In der Antike glaubte man sogar an einen möglicherweise hohlen Kern der Erde. Dann kam die Vorstellung auf, dass der Erdkern aus Eisen und einem geschmolzenen Gemisch besteht, verbunden mit der Theorie, dass der Kern auch unabhängig relativ zum Erdmantel rotiert. Es war Song, der 1996 die Theorie der Drehung bestätigte. Seitdem versuchen Geowissenschaftler herauszufinden, wie schnell oder langsam der innerste Kern rotiert.
Zunächst wurde vermutet, dass der innere Kern alle 400 Jahre relativ zur Erdkruste eine volle Umdrehung schafft, angetrieben durch ein elektromagnetisches Drehmoment und ausgeglichen durch Gravitationskräfte zwischen Kern und Erdmantel. Andere Wissenschaftler stellten jedoch bald die Theorie auf, dass er sich viel langsamer dreht und 1.000 Jahre oder länger für eine vollständige Umdrehung relativ zur Erdkruste benötigt. Sowohl die Geschwindigkeit dieser Rotation als auch die Frage, ob und warum sie eigentlich variiert, sind bis heute jedoch umstritten. Unstrittig ist mittlerweile lediglich, dass sich wohl die Rotationsgeschwindigkeit des Erdkerns im Laufe der Jahrzehnte wohl tatsächlich ändert. Die Autoren der neuen Studie gehen zudem davon aus, dass eine Wechselwirkung zwischen der Rotation des Kerns und der des Erdmantels aufzuklären gilt.
“Diese multidekadische Periodizität deckt sich mit Veränderungen in mehreren anderen geophysikalischen Beobachtungen, insbesondere der Tageslänge und dem Magnetfeld”, schreiben Yang und Song. “Diese Beobachtungen liefern Beweise für dynamische Wechselwirkungen zwischen den Erdschichten, vom tiefsten Inneren bis zur Oberfläche, die möglicherweise auf Gravitationskopplung und den Austausch von Drehimpulsen zwischen Kern und Mantel und der Oberfläche zurückzuführen sind.”
Um seine Theorie zu untersuchen, griff Song auf die gleiche Methode zurück, mit der er bereits in den 1990er Jahren gemeinsam mit Paul G. Richards auf die Rotation des inneren Kerns schließen konnte. Im Jahr 1996 hatte dieses Wissenschaftler-Duo seismische Wellenmessungen von wiederholten Erdbeben – sogenannten Dubletten – verfolgt, die zwischen 1967 und 1995 den inneren Kern durchquerten, etwa vom Südatlantik bis nach Alaska. Hätte sich der innere Kern relativ zur Erdkruste gar nicht bewegt, so hätten die Schockwellen stets denselben Weg nehmen müssen und somit dieselbe Geschwindigkeit behalten. Song und Richards erkannten jedoch, dass die seismischen Wellen in dem relativ langen Zeitraum zwischen den 1960er und 1990er Jahren um einen Bruchteil einer Sekunde schneller geworden waren.
In der neuesten Studie, die Song nun zusammen mit Yang durchführte, wurden diese alten Daten jetzt mit neueren Mustern ähnlicher seismischer Wellenaufzeichnungen verglichen. Die neuen Daten deuten darauf hin, dass sich die Pfade der der seismischen Wellen, die zuvor noch messbare zeitliche Änderungen aufwiesen, seit etwa 2009 kaum verändert haben. “Jeder Laufzeitunterschied war verschwunden. Dieses global konsistente Muster deutet darauf hin, dass die Rotation des Kerns im Inneren der Erde vor kurzem pausiert hat”, schlussfolgern Yang und Song.
Aus ihren Beobachtungen schließen die beiden Wissenschaftler zudem, dass das Verlangsamen des inneren Kerns bis zu einer Rotationsumkehr führen könnte ist. Dabei schwingt die Rotation des festen Eisen-Nickel-Kerns in einer etwa sieben Jahrzehnte dauernden Oszillation schneller oder langsamer als die Rotation der Erdkruste vor und wieder zurück. Ausgelöst wird dieser Prozess laut den Berechnungen der Forscher offenbar bereits bei Bestehen eines geringen Ungleichgewichts zwischen den elektromagnetischen und den Gravitationskräften zwischen Kern und Mantel. Das ist aber noch nicht alles. Die Forscher weisen darauf hin, dass der sieben Jahrzehnte dauernde Wechsel mit anderen periodischen Veränderungen auf der Erde zusammenfällt, etwa auch mit nachweisbaren Klimaschwankungen. So können auch Veränderungen der globalen Durchschnittstemperatur und der Anstieg des Meeresspiegels auf noch nicht vollends geklärte Weise mit den Prozessen tief im Innern unserer Erde zusammenzuhängen.
Für Yang und Song scheint diese im Erdmaßstab häufige, für den menschlichen Lebenszyklus aber relativ langsame, kaum wahrnehmbare Oszillation, die alle 60 bis 70 Jahre hin- und herschwingt, auf “ein Resonanzsystem über verschiedene Erdschichten hinweg” hinzuweisen – als würde der ganze Planet innerlich mit einer äußerst tiefen Melodie summen. Da man davon ausgehen kann und muss, dass der innere Erdkern dynamisch mit den äußeren Schichten der Erde wechselwirkt – sowohl durch elektromagnetische Kopplung mit dem äußeren Kern als auch durch Gravitationskräfte zwischen Kern und Erdmantel –, könnte die Studie auch dazu beitragen, besser zu verstehen, wie sich Prozesse im Inneren unseres Planeten auf das Geschehen an seiner Oberfläche auswirken.
“Diese Beobachtungen liefern Beweise für dynamische Wechselwirkungen zwischen den Erdschichten, vom tiefsten Inneren bis zur Oberfläche.”
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