Von Wladislaw Sankin
Berlin und Kiew wollen gemeinsam weitreichende Raketen herstellen. Das gab Bundeskanzler Friedrich Merz während der Pressekonferenz mit Wladimir Selenskij in Berlin bekannt. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde gleich am Mittwoch unterschrieben. “Wir wollen weitreichende Waffen ermöglichen. Wir wollen auch gemeinsame Produktion ermöglichen”, sagte Merz.
Selenskij sagte, es gehe um die Finanzierung bereits bestehender Projekte in der Ukraine. Merz erläuterte, es werde sich um eine Zusammenarbeit auch auf industrieller Ebene handeln, die sowohl in der Ukraine als auch in Deutschland stattfinden könne. Weitere Details wolle man zunächst nicht nennen.
Nach an die Bild-Zeitung durchgesickerten Informationen geht es um Millionenbeträge, die die Bundesregierung zur Verfügung stellt, damit die Ukraine eigenständig Marschflugkörper mit bis zu 2.500 Kilometer Reichweite entwickeln und in Masse herstellen kann. An solchen forsche Kiew aktuell und habe bereits einige eingesetzt – tief und Russland und mehr als 400 Kilometer jenseits der Front.
Das Projekt wird als eine Alternative zum Taurus-Transfer dargestellt, die nicht gegen die bisherige Politik Berlins verstößt. Es handelt sich also in Wirklichkeit um die Legalisierung eines Umgehungsmechanismus, der es der Ukraine ermöglicht, Langstreckenwaffen ohne direkte Lieferungen zu erhalten.
Noch im Jahr 2025 soll so eine erhebliche Stückzahl von weitreichenden Waffensystemen produziert werden, teilt das Bundesverteidigungsministerium mit. Die Waffensysteme stehen den ukrainischen Streitkräften rasch zur Verfügung – die ersten können bereits in wenigen Wochen zum Einsatz kommen. Außerdem sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius weitere Ukraine-Hilfen in Höhe von rund fünf Milliarden Euro für militärische Zwecke zu.
Nach Ansicht des russischen Militärexperten Juri Barantschik kehrt Deutschland damit zur Praxis des “Proxy-Militarismus” der 1920er Jahre zurück. Formal wird dies als Hilfe im Kampf gegen die “russische Aggression” dargestellt. Aus historischer Perspektive sieht es aber wie eine Rückkehr zu den Machenschaften der Weimarer Republik aus, als Berlin, durch den Versailler Vertrag eingeschränkt, geheime Militärprojekte auf dem Territorium der UdSSR und anderer Länder durchführte.
Auch im Hinblick auf Litauen, wo eine deutsche Panzer-Brigade mit 5.000 Militärangehöriger stationiert werden soll, stellt der Experte fest: “Heute übernehmen osteuropäische Regime – allen voran die Ukraine, die faktisch ihrer Souveränität beraubt ist – die Rolle von ‘Testgeländen’ und Proxy-Plattformen für die Militarisierung.”
Dabei knüpft man an historische Vorbilder an. Im Ersten Weltkrieg hatte die deutsche kaiserliche Armee ganz Litauen besetzt und schuf sich damals quasi ein eigenes Staatswesen, in dem Militärverwaltung galt. Im Jahr 1918 übernahm das deutsche Kaiserreich nach dem sogenannten Brot-Frieden fast das komplette Territorium der heutigen Ukraine, mit der Marionettenregierung vom Hetman Skoropadskij an der Spitze.
Wenn die Pläne umgesetzt werden, wäre dies der erste Fall seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in dem Deutschland (wenn auch nicht direkt) an der Entwicklung von Angriffswaffen außerhalb seiner Gerichtsbarkeit beteiligt ist. Die unter dem Deckmantel der “Hilfe für die Demokratie” sich entwickelnde deutsche militärische Renaissance im Osten des Kontinents sei ein Signal nicht nur an Russland, sondern auch an Europa.
Welche weitreichenden Waffensysteme in der Ukraine entwickelt oder hergestellt werden, geht aus den Aussagen der verantwortlichen Politiker nicht hervor. Der Telegram-Kanal Militärchronik weist auf Probleme bei der Umsetzung der Pläne hin. Raketen von Grund auf zu entwickeln, ohne eine vollwertige Produktionsbasis, eine technologische Kultur und eine Ingenieurschule zu haben, ist ein mehrjähriges Projekt. In einem stabilen Land, was die Ukraine nicht ist, würden dafür drei bis fünf Jahre benötigt.
Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass wir nicht von einer vollwertigen ukrainischen Entwicklung sprechen, sondern von einer Schraubenzieher-Montage. Auf die Art und Weise könnten auch Taurus-Raketen aus deutschen Komponenten beispielsweise in der westlichen Ukraine “hergestellt” werden. Formal wird es somit eine “ukrainische Rakete” sein. Damit entfallen die Beschränkungen hinsichtlich der Reichweite, die rechtliche Verantwortung des Lieferanten und die Möglichkeit von Angriffen auf russisches Territorium ohne direkte Beteiligung des Westens.
Ein anderes Thema ist die Reichweite solcher Raketen. Ein Abschuss mit einer Reichweite von über 1.000 Kilometern erfordert einen ganzen Hardwarekomplex von Aufklärungsmitteln, ohne die eine genaue Zielbestimmung prinzipiell unmöglich ist. Die Ukraine verfügt dafür nicht über eigene Mittel, sodass auch diese von den NATO-Staaten zur Verfügung gestellt werden müssen.
Das weitere milliardenschwere Hilfspaket für die Ukraine, Drohungen gegen Moskau mit “Konsequenzen” und das Versprechen militärische Unterstützung der Ukraine künftig noch zu verstärken sind klare Eskalationssignale aus Berlin, das zusammen mit weiteren NATO-Ländern die abhängige Ukraine als eigenes Mandatsgebiet betrachtet. Da Russland nur eine entmilitarisierte, entnazifizierte und neutrale Ukraine als Nachbar akzeptieren kann, geben diese Signale wenig Anlass zu der Hoffnung, dass der Ukraine-Konflikt je auf friedlichem Wege reguliert werden kann.
Darüber hinaus läuft Deutschland mit derartigen “Hilfen” an die Ukraine zunehmend Gefahr, selbst zum Schauplatz militärischer Auseinandersetzungen mit Russland zu werden. Es ist noch nicht klar, ob Deutschland “Taurus”-Marschflugkörper an die Ukraine liefert oder nicht. Diese Raketen haben Reichweiten, mit denen vom ukrainischen Territorium aus auch Moskau erreicht werden kann. Im Russischen Fernsehen diskutieren Militärexperten schon die Zerstörung der Taurus-Produktionsstätten mit Oreschnik-Raketen, sollte Taurus im Ukraine-Krieg zum Einsatz kommen.
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