Am 26. September teilte der Betreiber der Unterwasser-Gaspipeline Nord Stream 2 mit, der Druck sei von 300 auf 7 Bar gefallen. Der Vorfall soll sich in der Nähe der dänischen Insel Bornholm ereignet haben, wo die Leitungen 70 Meter unter der Wasseroberfläche liegen. Die dänische Schifffahrtsbehörde meldete am Montag ein Gasleck in der Nähe der Insel, das für die Schifffahrt gefährlich sein könnte. Die Behörde richtete nahe der Insel Sperrzonen für den Schiffsverkehr ein. Diese Information wurde auch von der Nord Stream 2 AG bestätigt. Obwohl die Pipeline noch nicht in Betrieb genommen wurde, war sie mit Gas gefüllt und stand unter Druck. Das System war technisch in der Lage, jederzeit in Betrieb zu gehen.
Nord-Stream-2-Sprecher Ulrich Lissek zufolge gebe es an einer Stelle entlang der Pipeline ein Loch. Unter normalen Bedingungen beträgt der Druck in den Pipelinesträngen 105 Bar, aber jetzt sind es nur sieben Bar. Die Ermittlung der Ursache für den Druckabfall werde durch die Sanktionsregelung und den Mangel an Personal vor Ort erschwert, hieß es weiter.
Die Pipeline pumpt derzeit kein Gas, weil die Kompressorstation in Portowaja defekt ist, aber bis Anfang September war sie die Hauptroute für russische Gaslieferungen nach Europa. Das gleichzeitige Versagen beider Pipelines erweitert die Zahl der möglichen Ursachen des Unfalls.
Wiederum erklärten die deutschen Behörden, dass sie mit den dänischen Behörden und den örtlichen Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, um herauszufinden, was den Druckabfall in Nord Stream 2 verursachte.
Bei dem festgestellten Druckabfall in den beiden Gaspipelines von Nord Stream 1 und 2 könnte es sich um eine Sabotage handeln. Davon sprechen sowohl russische, als auch westliche Fachleute. Auch der russische Präsidentensprecher Dmitri Peskow schloss diese Variante nicht aus, wies aber gleichzeitig auf die Notwendigkeit einer Untersuchung hin. Wörtlich hieß es:
“Im Moment kann keine Variante ausgeschlossen werden. Offensichtlich gibt es eine Art Beschädigung in der Pipeline. Aber bevor die Ergebnisse der Untersuchung vorliegen, kann keine der Varianten ausgeschlossen werden.”
Der Vorfall sei besorgniserregend, fügte er hinzu.
“Das ist eine absolut beispiellose Situation, die dringend angegangen werden muss. Wir sind äußerst besorgt über diese Nachricht.”
Auch Der Tagesspiegel vermutet eine Sabotage. Dies erfordere den Einsatz von ausgebildeten Spezialkräften wie Tauchern oder einem U-Boot, so die Quellen der Zeitung.
Wiederum erklärte der russische Militärexperte Wadim Kosjulin in diesem Zusammenhang:
“Da es drei Beschädigungen gab, ist es definitiv eine Sabotage. Es ist aber bisher schwierig, einen konkreten Schuldigen zu benennen. Es ist jedoch offensichtlich, dass in erster Linie die Interessen Europas und Russlands betroffen sind. Mir fallen die USA und sogar Großbritannien ein.”
Es ist nicht klar, wer die Folgen des Unfalls beseitigen wird, da die Nord Stream 2 AG unter US-Sanktionen steht und sich außerdem in einem Insolvenzverfahren befindet, das jedoch bis Januar 2023 ausgesetzt wurde.
Nord Stream wird von Gazprom kontrolliert, wobei die europäischen Unternehmen Wintershall Dea, E.ON, Gasunie und Engie Minderheitsaktionäre sind. Gazprom lehnte es ab, die Frage zu beantworten, ob das Unternehmen bereit ist, mit den Folgen und mit der Wiederherstellung der Pipelines umzugehen.
Der Bau von Nord Stream 2 stößt seit mehreren Jahren auf den Widerstand der USA und einiger EU-Länder. Die Pipeline sollte die bestehende Unterwasserinfrastruktur von den Gazprom-Feldern nach Deutschland verdoppeln und parallel zur Nord Stream weitere 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr pumpen. Die Pipeline sollte im Dezember 2021 in Betrieb genommen werden, wurde aber von den USA mit Sanktionen belegt. Die deutsche Regierung zertifizierte das Projekt, stellte es aber nach dem Beginn der russischen Sonderoperation in der Ukraine vollständig ein. Im Mai erklärte Gazprom, dass es beabsichtige, den landseitigen Teil der Pipelineinfrastruktur für die Gasversorgung von Gebieten im Nordwesten Russlands zu nutzen.
Sergei Kondratjew, stellvertretender Leiter der Wirtschaftsabteilung am Institut für Energie und Finanzen der Russischen Föderation, merkte an, dass es schwierig sei, jetzt genau zu sagen, was passierte, aber die Geschwindigkeit des Druckabfalls – von 300 auf sieben Bar – deute wahrscheinlich darauf hin, dass es sich dabei um ein eine Art Explosion handele.
Laut Kondratjew sei das Nord-Stream-2-Projekt einzigartig und es gebe bisher keine Beispiele für Unfälle an Unterwasserpipelines mit einem Durchmesser von 1.420 Millimeter (dies gilt auch für Nord Stream). Derartige Unfälle seien selten.
So wurde beispielsweise im Oktober 2013 die Yacheng-Pipeline, die das chinesische Festland mit Hongkong verbindet, im Südchinesischen Meer beschädigt. Die Reparatur dauerte mehr als vier Jahre. Kondratjew betonte:
“Die Bedingungen in der Ostsee, insbesondere im Winter, sind schwierig und können die Reparaturarbeiten erschweren.”
Seiner Ansicht nach könnten die Reparaturarbeiten viel Zeit in Anspruch nehmen, da u. a. die erforderlichen Schiffe in Auftrag gegeben und Zahlungsmodalitäten gefunden werden müssen. Kondratjew fügte hinzu:
“Dieser Vorfall könnte auch Auswirkungen auf den Gasmarkt haben. Russland und Gazprom hatten vorgeschlagen, Nord Stream 2 anstelle von Nord Stream in Betrieb zu nehmen, nun wird diese Option zumindest auf einen Zweig beschränkt. Sollte sich der Unfall in der Nähe der Baltic-Pipe-Pipeline von Norwegen nach Polen ereignet haben, wäre außerdem eine zusätzliche Inspektion dieser Pipeline erforderlich.”
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