Von Achim Detjen
Mit der Ankündigung der Aufhebung der Reichweitenbeschränkung für die von Kiew gegen Russland eingesetzten deutschen Waffen und dem Aussprechen von Ultimaten – sei es in Bezug auf den Taurus oder Sanktionen – hat der Bundeskanzler der Welt gezeigt, dass er gerne große Brötchen backen will. Und in Europa sogar die größten: Friedrich Merz will die Bundeswehrmacht zur “größten konventionellen Armee Europas” aufbauen. Whatever it takes.
Doch der Antrittsbesuch des Kanzlers in Washington erinnerte keineswegs an einen Besuch eines Feldherrn der zukünftig größten europäischen Streitmacht. Ganz im Gegenteil.
Merz, der in ungefährlichen Gefilden wie Parteitagen die lauten Töne liebt und von “deutscher Führung” schwadroniert, war dann in Trumps Gegenwart äußerst kleinlaut – wenn er überhaupt das Wort ergriff. Und was er sagte, war die übliche Kriegsrhetorik und ein weiterer Beleg für seine skrupellose Heuchelei – mit der er nur deshalb durchkommt, weil die mediale Gleichschaltung an der Heimatfront schon längst vollzogen wurde. Kein Hauptstadt-Journalist käme daher auf die Idee, den Kanzler zu korrigieren und kritisch darauf hinzuweisen, dass seine Behauptung, Kiew würde nur militärische Ziele angreifen, nicht einmal als Kalauer im Kölner Karneval zulässig wäre.
Auch dass er im Beisein Trumps die Geschichte von den Kindern aufwärmte, “die aus der Ukraine entführt und nach Russland gebracht wurden”, kurz nachdem die jahrelange Erzählung von “Hunderttausenden” nach Russland verschleppten Kindern in sich zusammengebrochen war, da die von Kiew in Istanbul vorgelegte Liste der “verschleppten” Kinder nur 339 Namen umfasste, zeugt davon, dass Merz entweder überhaupt nicht auf dem Laufenden ist, oder bewusst an diesem Gräuelmärchen festhalten will (schade, dass Kiew nicht die Liste der aus Kampfzonen nach Russland evakuierten Kinder veröffentlicht hat, die inzwischen wieder zu ihren Verwandten in die Ukraine zurückkehren konnten – denn diese wäre deutlich länger ausgefallen).
Der Eindruck, der Kanzler irrlichtert im Tal der Ahnungslosen umher, drängte sich auch beim Anschauen des Interviews auf, das Merz Trumps Lieblingssender nach dem Treffen im Weißen Haus gab. Bei FoxNews behauptete Merz ernsthaft, die Ukraine sei die “drittstärkste Atommacht” der Welt gewesen, und hätte sie ihre Atomwaffen in den 1990er Jahren nicht abgegeben, wären die Russen wohl auch nie einmarschiert.
In Wirklichkeit war die Ukraine nie eine Atommacht. Auf dem Territorium der Ex-Sowjetrepublik waren zwar Atomwaffen stationiert, allerdings befanden sich diese nie in Kiews Besitz und über deren Abschusscodes verfügte nur Russland als Rechtsnachfolger der UdSSR. Das wäre eigentlich ein gefundenes Fressen für Faktenchecker gewesen. Da diese aber in Deutschland im Auftrag der Regierung unterwegs sind, wurde nur der Wahrheitsgehalt der Worte von Trump auf die Goldwaage der regierungskonformen Berufszensoren gelegt.
Kleinlaut im Weißen Haus: J.D. braucht keine Boxhandschuhe
Unabhängig vom später (Nicht-)Gesagten war bereits die Ankunft des Bundeskanzlers in den USA ein beeindruckendes Beispiel eigener Bedeutungslosigkeit. Die auf dem Flugfeld anwesenden Journalisten rekrutieren sich aus der eigenen Entourage, und in Empfang genommen wurde der Oberste Befehlshaber der bald größten Armee Europas zwar von einem Mann in Militäruniform, allerdings einer mit deutschem Hoheitsabzeichen. Deutlicher hätte Washingtons “Who the Fuck is Fritz?” nicht ausfallen können.
Der Kanzler habe sich aber tapfer geschlagen, resümierten später deutsche Leitmedien. Schließlich hat er nicht auf die Fresse bekommen, so wie Selenskij bei seinem Besuch im Oval Office Ende Februar. Was aber nur daran lag, dass Trumps Vize-Schläger J.D. Vance es nicht für nötig hielt, sich an so einem wie Merz die Finger schmutzig machen zu müssen.

Wer so devot daher gekrochen kommt wie der Möchtergern-GröFaZ, um bloß jede Konfrontation zu vermeiden aus Furcht, den Chef des Hauses zu erzürnen, für den hat Trump nur Verachtung übrig. Und er ist so freundlich, es einem auch spüren zu lassen – indem er das bellizistische Gebrabbel von Merz einfach ignorierte und stattdessen sein tolles Englisch lobte. Denn Nichtbeachtung ist auf dem diplomatischen Parkett die größte Form der Verachtung.
Aber wer es wagt, dem US-Präsidenten im eigenen Wohnzimmer vollgekokst auf die Eier zu gehen – auf deren Preise Trump ja im Beisein des Kanzlers zu sprechen kam – für den packt J.D. gerne die Boxhandschuhe aus. Die Einschläge hat der Schauspieler aus dem Präsidentenpalast in Kiew im Oval Office zu spüren bekommen. Aber immerhin hat dieser den Mut bewiesen, sich zu schlagen.
Hinter Trumps Rücken: Die lachenden MIK-Marionetten
Merz fehlt dazu der Mut. Dissens ist nur hinter Trumps Rücken angesagt, etwa wenn er mit den kriegslüsternen Trump-Gegnern Lindsey Graham und Richard Blumenthal feixend im Flur des Weißen Hauses zusammenkommt. Die beiden Senatoren waren jüngst in Kiew, kurz bevor Selenskij mit Angriffen in Russland auf Zugbrücken und strategische Bomber sowie der Attacke auf die Krim-Brücke den Versuch unternahm, die Friedensverhandlungen endgültig zu versenken.

Die Szene auf dem Flur war natürlich auch ein direkter Affront gegenüber Trump, und sie zeigt, dass Merz nicht über das geringste taktische Gespür verfügt – allein seine Bedeutungslosigkeit hat ihn davor bewahrt, dass ihm seine kognitive Inkompetenz zum Verhängnis wurde. Immerhin hatte Graham jüngst die Autorität des US-Präsidenten öffentlich in Frage gestellt. Doch der Bundeskanzler ist Trump einfach nur egal. Deshalb kam er ungestraft davon.
Das von Merz und seiner Parteikollegin Ursula von der Leyen verkündete massive Aufrüstungsprogramm, mit dessen Hilfe Deutschland und Europa so schnell wie möglich “kriegstüchtig” gemacht werden sollen, ist ohne massive Waffenkäufe in den USA gar nicht zu stemmen, zu groß ist die technologische Abhängigkeit. Die Europäer wären ja nicht einmal in der Lage, einen möglichen Wegfall der US-Waffenlieferungen an die Ukraine zu kompensieren, weswegen sie erwägen, die “Trump-Lücke” selbst durch Waffenkäufe in den USA zu schließen.
Es ist nichts anderes als ein gigantisches Umverteilungsprojekt zugunsten der Taschen der Geldsäcke, die als Shareholder den US-amerikanischen Militärisch-Industriellen Komplex (MIK) beherrschen. Und Graham und Blumenthal zählen zu den prominentesten Marionetten dieses Komplexes und des Deep Staate. Das erklärt, warum sie aus dem Lachen nicht mehr herauskamen, als sie den BlackRock-Zögling im Weißen Haus trafen.
Das gigantische und schuldenfinanzierte Rüstungsprogramm soll natürlich der arbeitenden Bevölkerung in Rechnung gestellt werden. Und deshalb beschwert sich Merz, “wir” – gemeint ist der Homo Proletarius – würden zu wenig arbeiten.
Wenn Merz von Arbeit redet, dann meint er deren intensivere Ausbeutung, quasi “bis an die Substanz”, wie es der ehemalige Banker und jetzige CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann in Bezug auf das Bürgergeld formulierte, der sich ja bekanntlich daran stört, dass deutsche Rentner “zu wenig” arbeiten. Wohlwollend wäre wohl Klassenbewusstsein das einzige positive Attribut, das man diesen Gestalten attestieren könnte.
Und damit Wohlstand für die breite Masse Schnee von gestern bleibt, will Merz die Reaktivierung von Nord Stream unbedingt verhindern und dafür sorgen, dass diese Aorta der deutschen Wirtschaft “nie wieder” pulsiert. Auch das zur Freude der Shareholder von US-Firmen, die gerne mit ihrem teuren Flüssiggas in die Bresche springen.
Die Abrissbirne und seine Trümmertruppe
Wurde der letzte männliche Kanzler, den die CDU vor ihm gestellt hat, vom Volksmund noch halb gehässig halb liebevoll zur “Birne” getauft, so wird es im Fall von Merz nur noch hässlich werden: Er wird als Abrissbirne in die deutschen Annalen eingehen.
Und die um ihn versammelte Trümmertruppe ist dabei gerne behilflich. Allen voran Außenminister Johann Wadephul, dessen kognitives Handicap so groß ist, dass er nicht mal weiß, mit wem er spricht. Und seine Lügen sind so plump wie die des Kanzlers: Es habe kein Versprechen der NATO gegenüber Russland gegeben, sich nicht nach Osten auszudehnen, so der Minister jüngst im Bundestag. Dabei kann selbst jeder Studienabbrecher in wenigen Minuten die Dokumente zusammengoogeln, die belegen, dass es dieses Versprechen nicht nur gab, sondern dass es eine zentrale Voraussetzung für die Zustimmung der Sowjets zur deutschen Einheit war.
Auch Kanzleramtschef Thorsten Frei ist ein würdiger Vertreter dieser Abriss-Kolonne. Er wolle offenlassen, ob Kiew den Taurus bekommt. Dass über die Lieferung des Marschflugkörpers überhaupt öffentlich diskutiert wird, sei ärgerlich, so der CDU-Mann, auf dessen Tisch die Berichte der deutschen Geheimdienste landen. Und wie der Autor dieser Zeilen unlängst spekulierte, dürfte den Diensten klar sein, dass die Russen auch Ziele in Deutschland ins Visier nehmen, sollten sie mit dem Taurus angegriffen werden – beispielsweise indem sie einen “Warnschuss” mit einer Oreschnik auf deutsche Rüstungsanlagen abgeben. Und genau das wird in Russland inzwischen offen diskutiert.
Daher hat sich die Frage “wird der Taurus fliegen oder nicht?” erübrigt, denn das Echo seines Abflugs würde Berlin nicht verkraften. Doch Frei will diese Frage offenlassen. Was die medialen Wasserträger der Regierungsermächtigten dem Volk als Ausdruck einer genialen strategischen Ambiguität andrehen wollen, ist in Wahrheit nur Ausdruck des Wunsches, Merz nicht schon wieder als nur labernden Lappen dastehen zu lassen. Zugleich ist es der Nicht-Übereinstimmung von Wunsch und Realität geschuldet. Man wünscht sich so sehr, die V2 2.0-Wunderwaffe würde Moskau in Schutt und Asche legen, doch stattdessen würde ihr Abflug vor allem Berlin krachende Nächte bescheren.
Des Kanzlers Taurus-Ultimatum hat sich als Wahlkampf-Schaumschlägerei erwiesen – was in diesem Fall ja sogar zu begrüßen ist. Wer aber immer nur droht und nicht abliefert, der verprellt eigene Verbündete. So beschwerte sich nun der litauische Präsident Gitanas Nauseda darüber, dass die von Merz nicht umgesetzten Sanktionsdrohungen gegen Moskau ohne Konsequenzen geblieben seien und damit die “Glaubwürdigkeit all unserer Maßnahmen gegenüber Russland” untergraben. Merke: Ohne die entsprechenden Eier lieber nicht auf dicke Hose machen!
Also wird aus dem Fritz kein GröFaZ? Doch, nur steht in seinem Fall das “F” nicht für Feldherr, sondern für Falschspieler, für Fantast, für Fake – und nach der nächsten Rechtschreibreform zur “Vereinfachung” der deutschen Sprache womöglich auch für “Fasager”.
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