Die Entscheidung der EZB fällt nur wenige Wochen nach dem umstrittenen “Tag der Befreiung”, den US-Präsident Donald Trump am 2. April ausrief – begleitet von pauschalen Strafzöllen in Höhe von 20 Prozent gegen zahlreiche Handelspartner. Zwar wurden diese Maßnahmen für 90 Tage ausgesetzt, China blieb davon jedoch ausgenommen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser protektionistischen Politik sind schwer abschätzbar – für Europa birgt sie erhebliche Risiken für Handel und Wachstum.
Die EZB erklärte, der Disinflationsprozess schreite “gut voran”, betonte jedoch gleichzeitig, dass die Festlegung der geldpolitischen Ausrichtung künftig stärker datenabhängig erfolgen werde. In einer Zeit “außergewöhnlich hoher Unsicherheit” wolle man von Sitzung zu Sitzung entscheiden.
Die EZB-Chefin Christine Lagarde und der EZB-Rat halten damit an ihrem seit Mitte 2024 eingeschlagenen Kurs einer schrittweisen geldpolitischen Lockerung fest. Die Inflation lag zuletzt bei 2,2 Prozent – nahe dem Zielwert von zwei Prozent. Damit sehen die Währungshüter Spielraum, die konjunkturelle Schwäche durch günstigere Finanzierungsbedingungen abzufedern.
Die Wirtschaft im Euroraum zeigt derzeit zarte Erholungstendenzen. Laut einer Umfrage von S&P Global unter Einkaufsmanagern konnte im März sowohl in der Industrie als auch im Dienstleistungssektor ein leichter Aufschwung verzeichnet werden. Die Industrieproduktion stieg erstmals seit zwei Jahren wieder an. Auch die Geschäfte der Dienstleister entwickelten sich besser als im Februar – wenn auch auf niedrigem Niveau. Im vierten Quartal 2024 lag das BIP-Wachstum im Euroraum bei lediglich 0,2 Prozent.
Die EZB dürfte sich mit weiteren Zinsschritten künftig schwerer tun. Einerseits spricht der Rückgang der Inflation für eine fortgesetzte Lockerung. Andererseits drohen von außen neue Schocks: Die Zollpolitik der USA, geopolitische Spannungen in Ostasien sowie mögliche Energiemarktverwerfungen werfen lange Schatten auf die wirtschaftliche Entwicklung in Europa.
Dennoch bleibt die Zentralbank entschlossen, den eingeschlagenen Kurs fortzusetzen – mit Augenmaß, aber auch mit einem klaren Ziel: Preisstabilität in einem Umfeld wachsender globaler Unsicherheiten.
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