Der ehemalige Bundesminister auf verschiedenen Positionen, frühere Vize-Kanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel bekleidet seit Jahren Chef-Posten in den Aufsichtsräten verschiedener Großkonzerne: Siemens Energy, Deutsche Bank und Rheinmetall. Seit 2019 ist der Ex-Politiker auch Chef des Elitenvereins Atlantik-Brücke. In den vergangenen Wochen wurde Gabriel wieder eine gefragte Medienfigur. Am Donnerstag nahm er an einer Pioneer-Konferenz teil, ein Interview mit ihm erschien bei Focus.
Im Gespräch mit dem Magazin machte Sigmar Gabriel mehrere Vorschläge, wie die Europäische Union einer Spaltung durch das Wirken des neuen US-Präsidenten Donald Trump entgegenwirken kann. Da Trump die liberale Demokratie und eine regelbasierte internationale Ordnung untergrabe, müsse die EU selbst proaktiv werden und beispielsweise Kanada dazu einladen, Mitglied der Europäischen Union zu werden.
“Die sind sowieso europäischer als mancher europäische Mitgliedstaat. Sie sind bloß geografisch nicht in Europa. Aber dafür kann man ja Regeln schaffen”, sagte Gabriel.
Dies sei nicht undenkbar. Kanada sei ein enorm wichtiges Land, warb Gabriel. Es sei strategisch Arktis-Anrainer. “Wir müssen Bündnispartner sammeln – es liegt an uns selbst, wie die Zukunft Europas aussieht.” So könnten die “universellen Ideen des Westens” gerettet werden.
Mit diesen Ideen, die allerdings in der Formulierung Gabriels einen Widerspruch in sich selbst darstellen, könne Trump nichts anfangen, der die Rolle der USA als globale Ordnungsmacht aufgebe. Die USA seien “imperially overstretched” und setzten auf die Stärkung der bilateralen Kontakte in der EU, was die “zentrifugalen Tendenzen” innerhalb des Bündnisses verstärke. Leider habe Trump aber “überall Weggefährten”. Zu diesen zählte er Viktor Orbán, Alice Weidel, Robert Fico, Andrej Babiš, Herbert Kickl und Marine Le Pen.
Außerdem stellte Gabriel fest, dass nicht mehr der Atlantik das Gravitationszentrum der Welt sei, sondern der Pazifik. “Zwei Drittel des Weltsozialprodukts werden dort hergestellt. Zwei Drittel der Menschheit leben da, und es gibt dort inzwischen fünf Nuklearmächte.” Die Verschiebungen seien “tektonisch” und die Krise sei für die Europäer “existenziell”.
Gabriel räumte ein, dass die Europäer mit der Entdeckung der globalen Seewege die Welt 600 Jahre dominiert hätten. Diese Zeiten seien aber vorbei. Den Zustand der Welt verglich der Ex-Politiker mit der Gesetzlosigkeit einer Provinzstadt im “wilden Westen”:
“Wo der Sheriff die Mainstreet verlässt, kommen die Gangster. Wo Amerika geht, versuchen autoritäre Staaten wie China, Russland, der Iran oder auch kleinere regionale Akteure den Raum zu füllen. Die einzigen, die hilflos daneben stehen und auf diese veränderte Welt schauen, sind wir in Europa. Wir werden als die letzten Vegetarier in der Welt der Fleischfresser gesehen.”
Die Vorschläge des langjährigen politischen Schwergewichts und jetzigen Lobbyisten der Rüstungsindustrie Gabriel scheinen keine bloßen Gedankenspiele eines “Ehemaligen” zu sein. Der CDU-Chef und aussichtsreichste Kanzlerkandidat Friedrich Merz sieht die Weltlage ähnlich. In einer Grundsatzrede bei der Körber-Stiftung hat er eine Reihe sicherheitspolitischer Maßnahmen skizziert, die offenbar darauf abzielen, nun auch einmal als “Fleischfresser” in andere Regionen der Welt militärisch die Arme auszustrecken. Laut einem Bericht des Bundeswehr-Verbandes möchte Merz anstelle der gelegentlichen Durchfahrt einer deutschen Fregatte durch die Straße von Taiwan “eine europäische Marinebasis” in der indopazifischen Region bauen.
Die Zukunft der Beziehungen zu den USA unter Donald Trump sieht Merz allerdings nicht so negativ. Es gebe keine zweite Partnerschaft wie jene zwischen Europa und den USA, sagte er. Die Präsidentschaft von Donald Trump biete sich auch als Chance.
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